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Was bringt es, wenn Städte sexistische Werbung verbieten?

Foto: Wolfram Steinberg / picture alliance / dpa

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Entblößte Hintern auf großflächigen Werbetafeln, nackte Frauen, die auf beleuchteten Flächen für Sofas werben: Solche Motive sieht man immer noch häufig. Aber immer mehr Städte arbeiten dagegen: Frankfurt, Leipzig, München, Bremen und jetzt auch Flensburg – das sind alles Städte, die in den vergangenen Jahren ein Verbot sexistischer Werbung durchgesetzt haben. Auch an anderen Orten wie Ulm oder Pforzheim gibt es gesonderte Regeln. Ein riesiger Erfolg, könnte man meinen, oder?

So einfach ist es nicht. Die Städte können das Verbot nämlich nur auf ihren eigenen Flächen durchsetzen. Beim Beispiel München sind das unter anderem 440 Großflächen, 2700 Stromkästen und mehr als 1000 Litfaßsäulen. Das ist allerdings nur ein Teil der Werbung, die man in der Stadt sieht. Werbung in den U-Bahnhöfen kann beispielsweise nur die Münchner Verkehrsgesellschaft vorab sichten, ist aber bei einer Änderung auf das Einverständnis der Agenturen angewiesen. Sie kann also nicht eigenmächtig entscheiden, sondern muss auf die Zustimmung der Werbetreibenden hoffen. Bislang gab es nur einen Streitfall, bei dem ein Plakat trotzdem aufgehängt wurde.

Gegen die viele andere sichtbare Werbung in Städten sind die meisten Verbote wirkungslos: Handzettel oder Aufkleber auf Autos und Lieferwägen sind keine öffentlichen Flächen der Stadt: Die schlanke, nackte Frau mit der Pfanne vor ihrem Busen muss den Spruch „So schön kann fettfrei kochen sein“ also weiterhin ertragen, wenn sie großflächig auf den LKW einer Firma für Küchenzubehör gedruckt wurde.

Laut Stevie Schmiedel, Pressesprecherin des Vereins Pinkstinks, haben die in letzter Zeit häufig beschlossenen Sexismus-Verbote also vor allem eine Außenwirkung, betreffen aber nur einzelne Fälle. Die Protest- und Bildungsorganisation Pinkstinks setzt sich schon viele Jahre gegen Sexismus und Homophobie ein. Außerdem wüssten die großen Agenturen natürlich, wie sie mit dem Verbot umgehen müssen, sagt Schmiedel: „Die denken sich: ‚Je besser wir uns benehmen, desto weniger denken die über Regulierung nach‘“. Wenn Agenturen ihre Werbung nur anpassen, um die Städte ruhigzustellen, dann hat ein Umdenken wahrscheinlich noch nicht stattgefunden.

Seit Geltungsbeginn des Verbots im April 2017 wurden in Bremen drei Plakatmotive entfernt.

Keine Frage, die Verbote sind als Signal gegen Sexismus und Diskriminierung eine wertvolle Errungenschaft. Besonders, wenn sich die Mainstream-Werbung danach richtet. Aber viel mehr bringen die Verbote nicht. Das kann Susanne Gieffers, Pressesprecherin der Gleichstellungsstelle Bremen, bestätigen: „Für Orte, die nicht in öffentlicher Hand sind, real oder virtuell, haben wir als Land eben keine Handhabe. Das zeigt ja auch die vergleichsweise geringe Zahl der abgehängten Plakate.“ Seit das Verbot in Bremen gilt, also seit April 2017, wurden in Bremen drei Plakatmotive entfernt.

Bremen orientiert sich stark an den Grundsätzen des Deutschen Werberates. Das ist die Selbstkontrollinstanz der Werbewirtschaft. Wenn ein Fitnessstudio mit einem straffen knapp bekleideten Hintern wirbt, ist das für den Deutschen Werberat nicht per se sexistisch, da Fitnesscenter auf die Verbesserung körperlicher Fitness ausgelegt seien. Kritisch werde es erst, wenn zu dem Gesäß ein herabwürdigender Slogan dazukäme: Zum Beispiel, wenn „Frisch, prall und saftig muss er sein“ zwischen gespreizten Frauenbeinen steht, obwohl es eigentlich um Äpfel gehen sollte.

Beim Werberat kann jeder Beschwerden einsenden. Ein 15-köpfiges Gremium entscheidet dann über die Einsendungen. Die Mitglieder des Beirats sind Vertreter aus der werbenden Wirtschaft, den Medien und Agenturen. Pinkstinks stellt deshalb deren Neutralität in Frage. Die genannte LKW-Werbung für Küchenzubehör hat der Werberat nicht beanstandet. In der ersten Hälfte des Jahres 2018 hat das Gremium 233 Fälle untersucht, die hauptsächlich geschlechterdiskriminierende Werbung betrafen. Der zweitgrößte Teil bezog sich auf ethisch und moralische verwerfliche Werbung. In 55 Fällen wurde die Werbung gestoppt oder geändert.

Das klingt jetzt vergleichsweise viel, aber der Deutsche Werberat hat längst nicht die Bekanntheit, die er bräuchte. Das Problem haben auch die Gleichberechtigungsstellen der Städte. Dort können Bürger und Bürgerinnen selbst Beschwerden einsenden. Die Behörde gibt dann eine Einschätzung ab, ob die Werbung wirklich sexistisch ist oder nur Geschlechterklischees bestärkt. Meist wird aber empfohlen, sich als Bürger direkt an das entsprechende Unternehmen oder die Agentur zu wenden. Außerdem: Den richtigen Ansprechpartner in der jeweiligen Stadt zu finden, ist gar nicht so leicht. Dazu kommt noch die Hürde, sich wegen einer Beschwerde extra bei dieser Stelle zu melden.

Was der politisch korrekte Großstädter nicht lustig findet, bringt vielleicht den Typen vom Dorf zum Lachen

Mit einem sogenannten Werbemelder*in will Pinkstinks sexistische Anzeigen sichtbar machen. Auf der Webseite kann man ein Handyfoto der Werbung hochladen, die man als sexistisch empfindet. Das Ganze geht auch per App. Alle Meldungen werden dort sortiert (nach sexistisch, stereotyp und nicht-sexistisch) und auf einer Deutschlandkarte sichtbar gemacht. 4000 Einsendungen gab es seit 2017. Das sind fast zwei Mal so viele wie der Deutsche Werberat bekam. 80 Prozent davon haben nach Pinkstinks Angaben tatsächlich auf sexistische Motive hingewiesen. Der Großteil bezog sich auf Handzettel oder PKW-Aufkleber. Flächen, bei denen die städtischen Verbote also ohnehin nicht greifen.

Dazu passt, dass bisher hauptsächlich Großstädte gegen diskriminierende Werbung vorgehen. „Es gibt ein großes Stadt-Land-Gefälle, vor allem im südlichen Raum auf dem Land in Bayern und Baden-Württemberg. Da braucht es besonders Sensibilisierung“, sagt Stevie Schmiedel von Pinkstinks. Denn: Was der politisch korrekte Großstädter nicht lustig findet, bringt vielleicht den Typen vom Dorf zum Lachen. Dieses Problem könnte ein bundesweites Gesetz kaum lösen. Das wäre nämlich nötig, um Werbung im privaten Bereich kontrollieren zu können. Aber für Schmiedel ist das nur „nice to have“. Wirklich helfen könne nur Aufklärung über Geschlechterrollen durch gezielte Kampagnen. Die Verbote sind also ein erster Schritt, aber sie betreffen bisher nur eine Handvoll Städte. Flensburg ist sogar die erste in Schleswig-Holstein.

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