- • Startseite
- • Gender
-
•
Sexismus von Frauen
Sind Männer Müll? Wegen dieser Frage kochte das Internet vor ein paar Wochen über. Der Hashtag #menaretrash, maßgeblich ausgelöst durch ein Gedicht der Autorin Sibel Schick mit dem Titel „Männer sind Arschlöcher“ im feministischen Missy Magazine, spaltete vor allem die Twitter-Community heftig. Die Befürworterinnen – darunter auch einige Männer – argumentierten in etwa so: Man darf ruhig mal so drastisch übertreiben, damit Männer endlich verstehen, wie Frauen sich seit Jahrhunderten fühlen. Die Gegenseite – wiederum nicht ausschließlich männlich besetzt – antwortete sinngemäß: Was für ein Bullshit, mit solchen Beleidigungen verhärten sich die Fronten doch noch mehr.
Wenig überraschend führte der Hashtag nicht dazu, dass sich reihenweise Männer beschämt die Augen rieben und fortan zum Feminismus bekannten. Dafür tauchte in der Kritik wieder ein bestimmtes Argument auf: Wenn Frauen Männer pauschal als Müll bezeichnen, um Sexismus zu kritisieren, dann verhalten sie sich doch selbst sexistisch. Auf den ersten Blick klingt dieser Vorwurf logisch: Schließlich wird Sexismus gemeinhin definiert als die Diskriminierung einer Person auf der Basis des Geschlechts. Wenn ich als Frau also sage, Männer sind Müll, jemand ist folglich schon allein deshalb ein Arschloch, weil er ein Mann ist, dann tue ich genau das. Ich werte diese Person auf Grundlage von etwas herab, für das sie gar nichts kann: ihr Geschlecht.
Funktioniert Sexismus also in beide Richtungen? Laura Chlebos, die an der Ruhr-Universität Bochum im Bereich Gender Studies arbeitet und eine Kampagne gegen sexualisierte Gewalt auf dem Campus konzipiert, widerspricht. Sie sagt: „Sexismus ist Diskriminierung aufgrund des Geschlechts. Eine solche Diskriminierung geht immer auch einher mit einem Machtvorteil. Und den haben in unserer Gesellschaft nun mal immer noch Männer.“ Auch der Duden definiert Sexismus vor allem männlich besetzt: als die „Vorstellung, nach der ein Geschlecht dem anderen von Natur aus überlegen sei, und die [daher für gerechtfertigt gehaltene] Diskriminierung, Unterdrückung, Zurücksetzung, Benachteiligung von Menschen, besonders der Frauen, aufgrund ihres Geschlechts“.
Frauen haben nicht die Macht, Männer so zu unterdrücken, wie es jahrhundertelang mit Frauen passierte
Fminismus ist auch 2018 nicht ohne Grund immer noch ein Thema. Solange Unternehmen an Frauenquoten scheitern und gewaltige Einkommensunterschiede zwischen Männern und Frauen herrschen, lässt sich schwer behaupten, die Gleichstellung der Geschlechter sei erreicht. Sexistische Diskriminierung begegnet uns im Alltag meistens in Form bestimmter Szenarien. Die Klassiker: Ein Mann, der einer Frau gegenüber anzüglich wird (und ihr entgegnet, sie solle sich nicht so anstellen, wenn sie sich dann wehrt). Eine Gruppe Jungs, die Witze über die Oberweite der Mädchen macht. Oder: Ein Chef, der sagt „Sie sind zwar kompetent, aber seien wir mal ehrlich: Früher oder später werden Sie ja doch schwanger“ – und den Job dann einem Kollegen gibt.
Jeder Frau wird mindestens eines dieser Beispiele bekannt vorkommen, während Männer kaum davon betroffen sind. Sexismus ist also quasi Symptom des Machtgefälles, das Laura Chlebos schildert. Anders gesagt: Erhebt ein Mann den Vorwurf des umgekehrten Sexismus, obwohl er sich selbst doch durch sein Geschlecht in einer Lage befindet, die ihm immer noch in vielen Bereichen ein gesellschaftliches Privileg verschafft, dann übersieht er was. Nämlich, dass Frauen so, wie sich die Welt unter den Menschen entwickelt hat, die Macht gar nicht besitzen, Männer so zu unterdrücken, wie es jahrhundertelang mit Frauen passierte. Das, was da gewachsen ist, lässt sich nicht einfach rückgängig machen.
Laura Chlebos macht das gerne an einem bestimmten Beispiel deutlich. „Ein beliebtes Gegenargument von Männern ist, sie seien beim Tanzen im Club von Frauen angefasst worden, obwohl sie das nicht wollten. ,Das war doch genauso sexistisch wie umgekehrt‘, heißt es dann. Dann sage ich: Das ist nicht zu entschuldigen. Aber bist du danach nach Hause gegangen und hattest Angst, dass diese Person dich auf deinem Heimweg belästigt oder vergewaltigt? Ein solches Beispiel wird ganz schnell das Privileg deutlich, das man als Mann immer noch hat.“
Klingt nachvollziehbar. Aber ist das im Jahr 2018 wirklich noch so eindeutig – die Frau immer als die Unterdrückte, der Mann immer als Unterdrücker? Existiert nicht Geschlechterdiskriminierung gerade in Grauzonen, die beide Seiten betreffen? Auch Frauen tragen schließlich dazu bei, dass das Männlichkeitsideal in vielen Gesellschaften immer noch das des muskulösen, potenten, gutverdienenden Workaholics ist. „Jetzt sei mal ein Mann“ ist ein Spruch, den wiederum Jungs nur zu gut kennen, auch wenn wir beim Bild des perfekten Mannes längst weg von Holzhacken und Führungsposition sind. „Wir wünschen uns einen aufgeklärten Mann, der Hausarbeit macht und die Kinder betreut. Aber wenn wir ihn dann haben, dann ist uns das wieder viel zu unmännlich“, sagt die Philosophin Svenja Flaßpöhler.
Auch Frauen können dazu beitragen, dass anderen Frauen Sexismus widerfährt
Sie hat ein Buch namens „Die potente Frau“ geschrieben, in dem sie kritisiert, dass Frauen zu sehr an der Opferrolle festhalten und auch ihr eigenes Verhalten gegenüber Männern zu wenig hinterfragen. Üben Frauen also auch Sexismus aus? „Aber ja“, sagt Flaßpöhler. „Auch bei #metoo findet man natürlich Sexismen. In dieser Debatte wurden Männer immer wieder in abwertender Weise auf einige bestimmte Merkmale reduziert: Der Mann als aggressives, triebgesteuertes Wesen, der nur das eine will und die Frau als Objekt benutzt.“
An #metoo wurde schon von vielen Seiten – auch von prominenten Frauen – bemängelt, dass es zu sehr pauschalisieren würde. Aber auch abseits der Debatte sieht Flaßpöhler das Problem für die Frauen nicht nur bei den Männern: „Ein Geschlechterverhältnis besteht klarerweise aus zwei Seiten. Wahrscheinlich kennt jede Frau die Situation, dass man denkt: Mein Gott, warum hab ich mir gerade diesen Spruch reindrücken lassen? Wenn ich als Frau mich nicht gegen Sexismen wehre, bin ich konstitutiver Teil der Macht. Ich stütze sie durch meine eigene Passivität und erfülle damit natürlich auch ein Stereotyp: das der unmündigen Frau, die kein eigenes Begehren besitzt.“
Klar: Auch Frauen können heftig dazu beitragen, dass anderen Frauen Sexismus widerfährt. Sei es durch mangelnde Solidarität in entsprechenden Situationen, sei es dadurch, dass sie einen Frauenfeind ins Weiße Haus wählen. Aber: Nur weil Frauen es auch machen oder machen können, heißt es ja nicht, dass sie es genauso machen.
Wenn man sich die größeren Sexismus-Debatten der letzten Zeit – jenseits von #menaretrash oder #metoo – mal anschaut, stößt man auf folgende Fälle:
a) Ende Mai erschien auf t-online.de ein Artikel über den Liverpool-Torwart Loris Karius, der ein Spiel am Vorabend verpatzt hatte. Die These der Autorin: „Lieber Loris, Kopf hoch! Ich und Tausende andere Frauen finden dich auch am Tag danach noch zum Anbeißen.“ Der Aufschrei, der darauf folgte: Was wäre wohl erst passiert, wenn das ein Mann über eine Frau geschrieben hätte?
b) Die junge österreichische Politikerin Sigi Maurer veröffentlichte Facebook-Nachrichten eines Geschäftsprofils, von dem ihr Sachen geschrieben wurden wie: „Hallo Du bist heute bei mir beim Geschäft vorbei gegangen und hast auf meinen Schwanz geguckt als wolltest du Ihn essen“. Sie tat das, weil sie sonst keine rechtliche Handhabe gegen den Inhaber als mutmaßlichen Verfasser hatte und keine andere Möglichkeit sah, sich zu wehren. Konsequenz: Er zerrte sie wegen Rufschädigung vor Gericht.
Zwei exemplarische Fälle. Zwei völlig unterschiedliche Machtverhältnisse. Denn die Frage zu a) – „Was wäre passiert, wenn das ein Mann geschrieben hätte?“ – lässt sich leicht beantworten: Es ist passiert und passiert andauernd. In der Bild-Zeitung steht quasi täglich ein Text, der Frauen auf ihr Äußeres reduziert oder herabwürdigt. Kann man für a) also wirklich dieselbe Bezeichnung verwenden wie für das, was in Fall b) passiert ist: Sexismus?
Als Frau kann ich einen Mann in Bezug auf seine Männlichkeit verletzen und beschimpfen
„Es ist wichtig, dass die Begriffe nicht verschwimmen“, sagt Laura Chlebos. „Sonst haben sie keine Schlagkraft mehr, die es in der Debatte über Geschlechtergerechtigkeit unbedingt braucht.“ Die Heftigkeit der Reaktionen bei #menaretrash hat gezeigt, dass die Schlagkraft auch ohne differenzierende Wortwahl groß war – nur half das weder Feminismus noch Diskussionskultur. Die Spaltung wurde eher größer als kleiner. „Differenzierung ist das entscheidende Stichwort. Es geht darum, sein eigenes Bild, das man vom anderen Geschlecht hat, zu hinterfragen“, sagt auch Svenja Flaßpöhler.
Wie kommen wir da hin? Die Lösung wäre vermutlich, wie so oft, ein Kompromiss. Es muss möglich sein, Kritik daran zu üben, dass auch Frauen Geschlechterdiskriminierung betreiben, nicht zuletzt gegenüber dem eigenen Geschlecht. Wenn wir uns in der Debatte nicht ewig im Kreis drehen wollen, braucht es dafür aber vielleicht einen neuen Namen. Einen, der klar benennt, der aber nicht gleichsetzt. Solange wir den nicht haben, muss es reichen, auf „Diskriminierung“ auszuweichen. Oder „Beleidigung“ oder „Herabwürdigung“.
Als Frau kann ich einen Mann in Bezug auf seine Männlichkeit verletzen und beschimpfen – und dafür kritisiert oder auch angefeindet werden. Und es wäre ein Irrtum, zu glauben, dass ich damit den Feminismus in irgendeiner Weise voranbringe. Diese Äußerung dann aber einfach genauso „Sexismus“ zu nennen wie das, was zum Beispiel Sigi Maurer passiert ist, vernachlässigt den Kontext, weshalb wir überhaupt über Sexismen, über Frauen und Männer und Gerechtigkeit diskutieren. Und das können wir uns im Jahr 2018 nun wirklich nicht mehr leisten.
Update am 9. Oktober: Sigi Maurer wurde vom Wiener Straflandesgericht wegen übler Nachrede schuldig gesprochen. Sie kündigte an, dagegen in Berufung zu gehen.