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Selbstbestimmungsgesetz aus Sicht einer Betroffenen
Anmerkung: Der Bundestag hat am Mittwoch, den 19. Mai 2021, beschlossen, dass es ein Selbstbestimmungsgesetz für trans Personen vorerst nicht geben wird. Entsprechende Gesetzentwürfe von FDP und Grünen wurden mit großer Mehrheit abgelehnt. Das bedeutet, dass das 40 Jahre alte sogenannte Transsexuellengesetz weiter bestehen bleibt. Viele trans Personen äußern ihre Enttäuschung in den sozialen Medien, auch Donnerstagmorgen trendet das Hashtag #Selbstbestimmungsgesetz auf Twitter. Vor knapp einem Jahr, als der Gesetzesentwurf gerade frisch veröffentlicht wurde, hat unsere trans Autorin Anouk Schmitz aufgeschrieben, welche Hoffnungen sie mit dem Selbstbestimmungsgesetz verbunden hatte. Diesen Text veröffentlichen wir aus aktuellem Anlass noch einmal.
Vor nun schon fast drei Wochen haben die Grünen ihren Gesetzesentwurf zum Selbstbestimmungsgesetz veröffentlicht. Damit soll es endlich möglich sein, den Namen und Geschlechtseintrag selbstbestimmt ändern zu lassen, ganz ohne Hürden. An dem Tag war ich bis spät abends unterwegs und kam komplett fertig um 22 Uhr Zuhause an. Ich wollte nur kurz nochmal auf Twitter, bevor ich schlafen ging. Meine ganze Timeline war voll mit Tweets über dieses Gesetz. Ich konnte es gar nicht richtig glauben. Was ich dort las, schien einfach perfekt. Ich war aufgeregt und setzte mich direkt dran, den Gesetzesentwurf zu lesen. Allein die Vorstellung, dass es möglich sein könnte, so ein progressives Gesetz in Deutschland zu haben, machte mich richtig emotional. Die Möglichkeit, selbstbestimmt den eigenen Namen und den Geschlechtseintrag offiziell ändern zu können, wäre einfach so ein großer Schritt auf dem Weg zur Akzeptanz für trans*, inter und nicht-binäre Menschen.
Anouk Schmitz, angehende Pädagogin, setzt sich in ihrer Freizeit für trans* Rechte ein. Auf Instagram (@anouk11.2) informiert und bildet sie zu Missständen rund ums Thema trans*.
In unserer Gesellschaft werden trans*, inter und nicht-binäre (TIN*) Menschen immer noch als krank und falsch eingestuft. Damit einher geht die unglaublich Pathologisierung, wenn es darum geht, den Namen oder den Geschlechtseintrag zu ändern. Schon sehr lange kämpfen TIN* Personen dafür, dieses Stigma loszuwerden. Dieses Gesetz würde dem Stigma zumindest auf rechtlicher Ebene sehr entgegenwirken.
Bei diesen Gutachten wurden bisher nur Stereotype geprüft
Aktuell sind trans* Personen für eine Namensänderung immer noch auf das 1980 in Kraft getretene, sogenannte Transsexuellengesetz (TSG) angewiesen. Dafür braucht man zwei Gutachten, bei denen Psychotherapeut*innen dazu Stellung nehmen, ob der*die Antragsteller*in auch wirklich das entsprechende Geschlecht hat und sich das Zugehörigkeitsempfinden zu diesem Geschlecht nicht zukünftig ändern wird. Die Annahme, dass Außenstehende dies beurteilen können, ist absurd. Wie und ob Menschen ihr Geschlecht empfinden, ist komplett individuell. Deshalb kann auch nur die betroffene Person selbst wissen, welches Geschlecht und ob sie überhaupt eines hat.
Bei diesen Gutachten wurden bisher nur Stereotype geprüft und dementsprechend reproduziert. Dabei kommt es von generellen Fragen übers Leben, Hobbys und Interessen bis hin zu Fragen über Unterwäsche, das Masturbationsverhalten und das Sexleben. Das führt dazu, dass sich trans* Personen oft verstellen müssen, um den erwarteten Geschlechternormen und den Vorstellungen über trans* Personen der Gutachter*innen überhaupt entsprechen zu können. Bei diesen Gutachten kommt es sowieso nur bei unter einem Prozent der Fälle zu einer Ablehnung. Sie sind also eine komplette Zeit- und Ressourcenverschwendung. Außerdem ist der Prozess der Namensänderung über das TSG sehr langwierig und kostenaufwändig. Das Verfahren kostet im Durchschnitt 1868 Euro, was in den meisten Fällen von den Antragsteller*innen selbst bezahlt werden muss. Viele können sich das nicht leisten. Trans* Personen müssen deshalb oft sehr lange mit einem Ausweis leben, der sie in jeder Situation als trans* outet, was nicht nur unangenehm ist, sondern auch echt gefährlich sein kann.
Auf dem Bild konnte man mich als die heutige Person kaum erkennen. Andauernd kam ich deswegen in unangenehme Situationen
Mir selbst erging es genauso, bis ich vergangenes Jahr meinen Namen offiziell änderte: Ich wurde von vielen Menschen als Frau wahrgenommen, auf meinem Ausweis stand jedoch weiterhin mein männlich konnotierter Geburtsname. Auf dem Bild konnte man mich als die heutige Person kaum erkennen. Andauernd kam ich deswegen in unangenehme Situationen. Wenn ich mit Karte bezahlte, bei BVG Kontrollen, in der Bibliothek, wenn ich irgendwo meinen Schüler*innenausweis vorzeigen musste oder am Wochenende mal feiern gehen wollte. Oft habe ich darauf gehofft, dass die Leute selbst eins und eins zusammenzählen können. Dem war aber nicht so und ich musste mich in vielen Situationen erklären. Das führte dazu, dass ich immer sehr angespannt war, wenn es zu solchen Situationen kam und ich irgendwann aufhörte, mit Karte zu bezahlen. Ich hatte immer Angst, Probleme zu bekommen oder gar angefeindet zu werden, wenn jemand herausfindet, dass ich trans bin.
Durch das neue SelbstBestG soll es möglich werden, den eigenen Namen und Geschlechtseintrag selbstbestimmt zu ändern, ohne dafür irgendwelche Gutachten zu benötigen. Jugendlichen und Kindern soll durch das SelbstBestG auch erleichtert werden, ihren Namen und Geschlechtseintrag zu ändern. In dem Gesetzesentwurf können Menschen bereits ab 14 Jahren die Erklärung komplett eigenständig abgeben; unter 14 Jahren können sie dies mit der Erklärung eines gesetzlichen Vertreters tun. Dadurch kommen wir der Akzeptanz von trans* Kindern einen Schritt näher. Ihnen wird oft abgesprochen, dass sie schon selbst wissen können, welches Geschlecht sie haben. Dabei möchte ich noch einmal betonen, dass es hierbei nicht um medizinische Maßnahmen geht, sondern lediglich darum, den Namen und Geschlechtseintrag zu ändern. Den Kindern und Jugendlichen wird damit im Leben nichts „verbaut“, sondern sie bekommen die Möglichkeit, auszuprobieren ob sie sich wirklich im gewünschten Geschlecht wohlfühlen. Die Entscheidung kann jederzeit rückgängig gemacht werden.
Das neue Selbstbestimmungsgesetz ist aber auch noch auf so vielen anderen Ebenen ein Fortschritt. Anders als beim TSG gibt es hier vier Auswahlmöglichkeiten für den Geschlechtseintrag. Neben den binären Geschlechtseinträgen „männlich“ und „weiblich“ kann auch „divers“ gewählt werden oder der Geschlechtseintrag komplett gestrichen werden, was vor allem für trans* Personen, die nicht-binär, also weder männlich noch weiblich sind, sehr wichtig ist.
Auch für intergeschlechtlichen Personen wird es möglich sein, ihren Geschlechtseintrag und Namen über das SelbstBestG zu ändern. Sie wurden aber nicht nur in diesem Aspekt bei dem Gesetz mitbedacht. Das Gesetz beinhaltet auch endlich ein Verbot genitalverändernder, chirurgischer Eingriffe an intergeschlechtlichen Kindern, die medizinisch nicht notwendig sind. Ein solches Verbot ist schon längst überfällig, da die Durchführung solcher Operationen aus sozialen Ängsten heraus die Ausradierung von inter Menschen anvisiert und dabei auch noch das Recht ihre auf körperliche Unversehrtheit verletzt.
Mit dem Selbstbestimmungsgesetz werden die Eltern mit ihrem richtigen Namen und Geschlecht in der Geburtsurkunde ihrer Kinder stehen
Ein weiterer Aspekt, der sich durch das Gesetz bessern würde, ist die rechtliche Situation für trans* Eltern. Momentan ist es noch so, dass trans* Frauen als Väter, trans* Männer als Mütter und nicht-binäre Menschen auch ihrem zugewiesenen Geschlecht entsprechend und mit ihrem Geburtsnamen in die Geburtsurkunde ihrer Kinder eingetragen werden - auch wenn sie ihren Geschlechtseintrag und Namen schon längst geändert haben. Mit dem SelbstBestG werden die Eltern dann mit ihrem richtigen Namen und Geschlecht in der Geburtsurkunde ihrer Kinder stehen.
Durch das SelbstBestG soll auch jede*r ein Recht auf Beratung zu Fragen zur Geschlechtsidentität bekommen. Dafür soll es Beratungsstellen geben, die kostenfrei und auf Wunsch anonym informieren und ergebnisoffene Beratung zulassen. Aktuell arbeiten die meisten Menschen in Beratungsstellen ehrenamtlich und es gibt vor allem in ländlicheren Regionen keine oder sehr wenig Anstellen für Beratung.
Das vorgeschlagene Gesetz würde einen unglaublichen Fortschritt für die TIN* Community bedeuten. Wir würden uns gesellschaftlich einem progressiveren Bild von Geschlecht annähern. Menschen könnten endlich selbstbestimmt über ihren Namen und Geschlechtseintrag entscheiden. Inter Kinder würden nicht mehr zu Operationen gedrängt, zu denen sie noch gar nicht zustimmen können. In Geburtsurkunden der Kinder von trans* Eltern würde endlich nicht mehr der falsche Name stehen. Endlich hätte man überall Zugang zu guter Beratung. Niemand müsste mehr mit einem falschen Namen im Ausweis durchs Leben laufen und sich in jeder Lebenssituation davor fürchten, unfreiwillig geoutet zu werden.
Vergangenen Freitag wurde das Gesetz nun zum ersten Mal im Bundestag diskutiert. Als nächstes steht die Ausschussberatung an und danach gibt es noch zwei Lesungen im Bundestag, bevor über das Gesetz abgestimmt wird. Ich hoffe so sehr, dass dieses Mal was Gutes daraus wird und wir endlich die Rechte bekommen, die uns eigentlich von vornherein zustehen sollten.