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„Sei kein Mann": Ein Buch über Männlichkeit von JJ Bola
Es ist anstrengend als Mann ein Buch über Männlichkeit zu lesen. Weil man sich ständig korrigiert fühlt. Zum Beispiel – hier war schon der erste Fehler – heißt es Männlichkeiten, nicht Männlichkeit. Es soll eben diese eine Männlichkeit in ihrer patriarchalen, toxischen Form abgeschafft werden. Stattdessen sollte jeder seine Männlichkeit und den vielen Arten davon finden. Das sagt zumindest JJ Bola in seinem Buch „Sei kein Mann“, das den Untertitel „Warum Männlichkeit ein Albtraum ist“ trägt.
Bola, der als Sechsjähriger aus dem Kongo mit seiner Familie nach London floh, weiß, was die Tatsache, dass es für viele Männer nur die eine Männlichkeit gibt, anrichten kann. Er beschäftigt sich als Sozialarbeiter seit Jahren mit den psychischen Problemen von Jungen und Männern verschiedenen Alters. Und er sagt, dass viele deren Probleme mit ihrem Bild von Männlichkeit zusammen hängen.
Am Anfang des Buches beschreibt Bola, wie er als Jugendlicher mit anderen kongolesischen Männern durch den Stadtteil Tottenham läuft. Einer dieser Männer hält seine Hand. In der kongolesischen Kultur sind zwei sich an den Händen haltende Männer völlig normal, in der westlichen Welt erntet man dafür selbst im Jahr 2020 noch abschätzige Blicke. Bola beschreibt, dass es sich gut anfühlt, die Hand des Älteren zu halten. Freundschaftlich, nicht sexuell, einfach nur als Geste der Zuneigung. Das fühlt sich so lange gut an, bis eine Gruppe britischer Jugendlicher aus seinem Viertel auftaucht und ihn dafür auslacht, dass er einen Mann an der Hand hält.
Anhand solcher Geschichten erklärt Bola, wie klassische Männlichkeit Männer einschränken kann. wie sie dafür sorgt dafür, dass man nicht Hand in Hand mit einem Mann laufen kann, dass man denkt, man dürfe als Mann nicht weinen oder, dass man so tun muss, als hätte man als Mann immer Lust auf Sex. Im Extremfall der Zwang durch Männlichkeit kann Bola zufolge bis hin zu seelischen Krankheiten und Mord führen. Männer werden eher als Frauen obdachlos, drogenabhängig, gewalttätig oder suizidal. Das alles belegt Bola in „Sei kein Mann“ mit Quellen aus der Wissenschaft und zeigt so viele Beispiele dafür, wie toxisch Männlichkeit sein kann, dass wohl jeder Mann sich in einem davon wieder finden sollte.
Noch immer fehlt jungen Männern eine Alternative zur klassischen Männlichkeit
Als Mann überprüft man sich beim Lesen dieser Beispiele, fragt sich: Bin ich so? Hab ich das schon mal gemacht? Hab ich mal so gedacht? Warum hab ich früher auf dem Fussballplatz gesagt, „Heul nicht rum“, wenn jemand nach einem Foul auf dem Boden lag und nicht wieder aufstehen wollte? Die Antwort: Weil man selbst als Junge das toxische Bild von Männlichkeit hatte, dass dieses Buch abschaffen will. In diesem Fall: Ein Mann sein heißt, Schmerz nicht zu zeigen, auf die Zähne zu beißen und weiter zu machen.
Jungen Männern fehlt auch heute noch eine Alternative zu klassischer Männlichkeit, sagt JJ Bola. Er zeigt in seinem Buch einige davon, zum Beispiel, dass Männer über ihre Gefühle reden müssen oder sie wenigstens in ein Tagebuch schreiben sollen. Männer sollten unter sich die Floskel „So sind Jungs eben“ oder auf Englisch „boys will be boys“ hinterfragen – müssen Jungs wirklich so sein?
Bola beschäftigt sich in seinem Buch auch mit dem Thema Männlichkeiten aus historischer Sicht, etwa in Verbindung mit der Kolonialisierung. Mit diesem Thema trifft er einen als weißen Leser besonders, weil hier mehrere Privilegien gezeigt und hinterfragt werden: Weiß sein, Männlich sein, Europäisch sein. JJ Bola erklärt, dass erst der Kolonialismus das westliche Männerbild in viele Länder Afrikas gebracht hat. In Simbabwe wurden Felsmalereien gefunden, die Männer beim Analsex zeigen. Aus dem Kongo des 15. Jahrhundert stammt eine Schöpfungsgeschichte, die erzählt, dass der ursprüngliche Mensch, der vom Himmel auf die Erde kam, sowohl männlich als auch weiblich war - genderfluide also.
Einer der größten Beweggründe dieses Buch zu machen, schreibt Bola im letzten Kapitel, wäre gewesen, dass er selbst gerne so ein Buch als heranwachsender Mann gelesen hätte. Dass ein Buch einen Menschen besser macht, ist so ein Satz, den Christine Westermann im Literarischen Quartett sagen würde. So weit muss man jetzt bei „Sei kein Mann“ nicht gehen, aber es lässt einen auf jeden Fall nachdenken. Über Männlichkeiten, über die eigene Männlichkeit und über die Privilegien, die damit einhergehen. Und das kann sicher keinem Mann schaden.