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Warum ich nicht aufhören kann, Nackt-Selfies zu posten

Illustration: Daniela Rudolf-Lübke

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Mehrmals positioniere ich mein Smartphone um, bis das gelbweiße Deckenlicht des Fitnessstudios meine Bauchmuskeln, mein Gesäß und meine Oberschenkel perfekt ausleuchtet. Dann löse ich die Videotaste auf meinem Handy aus und filme mich beim Training in Unterhosen.  Anschließend wiederhole ich den Vorgang, bis ich zufrieden bin mit der Aufnahme und sie endlich posten kann. Ich freue mich auf die Likes und frage mich, wie viele es wohl werden. 

Am nächsten Morgen erhalte ich eine Nachricht von einem alten Party-Freund: „Um direkt auf den Punkt zu kommen: Ich finde die Zurschaustellung deiner Muskeln überflüssig und bin doch etwas verwundert. Ich habe dich in der Vergangenheit nicht als jemanden wahrgenommen, dem das wichtig ist oder der das nötig hätte.“

Doch. Ja. Ich bin auch so einer. Ein Mensch, der gerne Likes sammelt, der sich und seinen Körper auf Instagram inszeniert. Auf meinem Profil können meine Follower meinen nackten Hintern, mein Geschlechtsteil in sexy Unterwäsche oder mich nackt auf einem Felsen sitzend sehen. Zwar war mir immer schon etwas unwohl dabei. Aber ich hörte trotzdem nie auf – sondern fand stattdessen immer neue Rechtfertigungen für meine Nackt-Selfies. Und diese Ausreden dienen mir bis heute: 

1. „Es ist ja nur jedes dritte Bild ein Selfie“

Weil es auch auf mich merkwürdig und narzisstisch wirkt, wenn man ausschließlich Bilder von sich selbst postet, habe ich eine goldene Regel: Maximal jedes dritte Bild darf mein Gesicht oder meinen Körper zeigen. Dazwischen sollen jeweils mindestens zwei „körperlose“ Posts mit gesellschaftlichem Anspruch kommen: Zum Beispiel brutalistische Betonarchitektur oder die neue Kräuterfarm im Supermarkt. Das soll meinem Profil als Ganzes einen Anstrich geben, der über meine Körperoberfläche hinausgeht. Ich ertappe mich aber immer wieder dabei, dass ich hastig nach den zwei „selbstlosen“ Motiven suche, nur um schnellstmöglich wieder ein Selfie zu posten. 

2. „Meine Selfies sind ja ironisch gemeint“ 

Zweitens versuche ich, mich vom Selfie-Pöbel abzugrenzen, indem ich mich über mein eigenes Instagram-Verhalten mit selbstironischen Bildunterschriften lustig mache: #NakeItTilYouMakeIt, #CollectiongFollowers, #BoredomSelfie steht da zum Beispiel.

Oder ich appelliere an meine Instagram-Followerinnen und -Follower mit Kommentaren wie „Bleibt natürlich“ oder „Ich stehe zu meinen Hängeaugen und Falten. Die Natur hat mich beschenkt, warum sollte ich sie betrügen?“ Allesamt peinliche Versuche, mich abzugrenzen von denjenigen Instagramern, die Testosteron spritzen oder in ihrem Gesicht herumschnippeln lassen. 

 

3. „Aber mein Profil ist privat“

Ich setze keine Hashtags wie #model oder #hotman, um die Zahl meiner Likes und Follower weiter hochzutreiben. Mein Profil ist außerdem privat. Was erstmal gut klingt, ist in Wahrheit meinem exponierten Beruf geschuldet. Würde ich nicht in der Öffentlichkeitsarbeit und im Marketing eines Start-ups arbeiten, ich hätte mich sicher schon längt dem öffentlichen Profil hingegeben.

Habe ich einen psychischen Schaden aus der Kindheit? 

 

Da ich mich für mein eigenes Selfie-Verhalten also ganz offensichtlich schäme, habe ich das Internet befragt, warum ich es trotzdem nicht lassen kann. Dort lese ich (wenig überraschend), dass mein Hang zu Selfies etwas mit Narzissmus zu tun haben könnte. Narzissmus wiederum hinge demzufolge oft mit einschneidenden Erlebnissen in der Kindheit zusammen, mit Minderwertigkeitskomplexen und Aufmerksamkeitsdefiziten.

Also habe ich mich durch meine eigene Biographie gewälzt und bin fündig geworden: In meiner Familie fühlte ich mich oft wie ein Außenseiter. Viel schlimmer war aber noch die Zeit in der Schule: Ich diente als Primärzielscheibe für Schulhofschlägereien. Ab der vierten Klasse habe ich mich morgens abseits der Schule versteckt und bin erst zum Klingeln hineingegangen. Meist bin ich der Pöbelei damit aber nicht entkommen. Meine Klassenkameraden warteten im Gebäude, schubsten und traten mich die Treppen hinunter. Im Sport, besonders bei den Ballspielen, war ich sowieso eine Null. Wenn ich überhaupt mal in der Pause beim Fußball mitspielen durfte, dann nur, um im Tor als Zielscheibe für Belustigung zu sorgen. Man schoss das Leder mit voller Wucht auf mich, statt an mir vorbei. Folglich zuckte ich vom Ball weg, um den Weg freizumachen. Mit meinen Körperfotos auf Instagram bekomme ich heute dagegen positive Anerkennung, die ich damals niemals bekommen habe. Ich kann alles genau kontrollieren, und muss mich nicht mehr der Kontrolle anderer ausliefern.

„Man sollte die frühkindlichen Erlebnisse nicht überbewerten“, sagt ein Experte

Aber liege ich mit meiner eigenen Analyse auch richtig? Markus Appel ist Professor für Kommunikationspsychologie und hat sich wissenschaftlich mit sozialen Medien beschäftigt. Er sieht den Zusammenhang zwischen Kindheit und meiner Instagram-Pornographie allerdings nicht so stark wie die Stimmen aus dem Internet: „Man sollte die frühkindlichen Erlebnisse nicht überbewerten“, sagt er. „Vielleicht möchten Sie über Instagram etwas nachholen, weil Sie damals zu kurz gekommen sind. Aber vielleicht hatten Sie auch einfach damals schon eine Tendenz zur kreativen Selbstdarstellung.“ Appel gibt zu bedenken, dass ich auf dem Schulhof auch gerade deshalb Probleme bekommen haben könnte, weil meine Selbstdarstellung von den anderen Kindern abgewertet wurde. „Die gleichen Tendenzen können im Erwachsenenalter aber plötzlich Vorteile bringen“, sagt Appel.

Und tatsächlich: Wenn ich an meine Abizeit zurückdenke, als es noch kein Instagram gab, habe ich mein Erspartes zusammengekratzt, um mir eine Inside-Out-Hose von Versace zu kaufen. Damit war ich im Marzahner Ostghetto in der Oberstufe natürlich sofort ein Außenseiter. Und dann waren da noch die schulterlangen Haare. Ja, vielleicht war ich schon immer exzentrischer angelegt. Aber was ist mit den ganzen anderen sogenannten „Instagram-Narzissten“, für die ich nicht sprechen und deren Kindheit ich nicht durchleuchten kann?

Der Psychologe Appel erinnert daran, dass Narzissmus kein ganz neues Phänomen ist: „Wenn man probeweise das Internet ausblendet – es gab schon immer Menschen, denen war Selbstdarstellung wichtiger als anderen. Digitale Medien machen das jetzt noch einfacher, liefern neue Spielräume. Diese Menschen waren vielleicht so oder so schon zur Selbstdarstellung veranlagt, hatten nur kein Medium dafür.“ Er nimmt auch das Sammeln von Followern und Likes nicht unbedingt nur problematisch wahr: „Erfolg in sozialen Medien ist für weite Teile der Bevölkerung ein positives Feedback-System genauso wie für andere vielleicht Geld oder beruflicher Erfolg.“

Das bedeutet für mich also: Solange ich keine andere Form der kreativen Selbstdarstellung finde, oder Follower und Likes nicht plötzlich ganz ihren Stellenwert verlieren, werde ich wohl weiter halbnackte Bilder hochladen. Und vielleicht ist das auch ganz okay so.

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