Süddeutsche Zeitung

Unsere Kernprodukte

Im Fokus

Partnerangebote

Möchten Sie in unseren Produkten und Services Anzeigen inserieren oder verwalten?

Anzeige inserieren

Möchten Sie unsere Texte nach­drucken, ver­vielfältigen oder öffent­lich zugänglich machen?

Nutzungsrechte erwerben

#MeToo ist zum Witz geworden

„Hahaha, #Metoo, okay??“
Foto: FemmeCurieuse / photocase / freepik / Collage: Daniela Rudolf

Teile diesen Beitrag mit Anderen:

Nichts an #Metoo ist witzig. Das Thema sexuelle Belästigung nicht und die Debatte darum auch nicht. Trotzdem passiert es immer häufiger, dass jemand schmunzelt, wenn er in irgendeinem alltäglichen Zusammenhang die Wörter „Me too“ hört oder ausspricht, und dann so was sagt wie: „Haha, Hashtag #Metoo!“ Oder, dass jemand einen Moment erlebt oder einen Satz zu hören bekommt, der im allerweitesten Sinne als sexistisch gedeutet werden könnte, daraufhin die Hände hebt und grinsend ruft: „Heyheyhey, #Metoo, okay??“

Obwohl nichts daran witzig ist, ist #Metoo seit dem Start des Hashtags vor ziemlich genau einem Jahr zum Witz geworden. Zumindest außerhalb des Netzes, in unserem alltäglichen Sprachgebrauch. Das erinnert an #aufschrei: Auch dieser Hashtag ist irgendwann aus dem Internet geschwappt, kam in unseren Alltagsgesprächen an und führte zu diesen ironischen Momenten, in denen jemand sagte: „Haha, das war jetzt aber sexistisch von dir, #aufschrei!!!“

Ist diese Gag-Werdung das typische Schicksal von Aktivismus-Hashtags? #jesuischarlie zum Beispiel hat dazu geführt, dass mittlerweile alle möglichen Dinge mit #jesuis-Hashtags versehen werden, wenn man sich mit ihnen „solidarisch“ zeigen will – #jesuismayonnaise, #jesuisalpaca, #jesuiskanye. Allerdings macht diesen Witz niemand außerhalb des Netzes. Und aktivistische Hashtags wie #blacklivesmatter oder #bringbackourgirls sind niemals zum Witz geworden. Woran liegt es also, dass über #Metoo gelacht wird? Wann eignet sich ein Hashtag gut als Alltags-Gag?

Wenn man sich #Metoo und #aufschrei anschaut, bei denen das mit den Witzen ja anscheinend gut funktioniert, fällt natürlich sofort auf, dass sie etwas gemeinsam haben: das Thema. Bei der Debatte, die beide Hashtags ausgelöst haben, geht es um Sexismus und sexuelle Belästigung. Es geht um das Machtgefälle von Mann zu Frau und um eine Gesellschaft, in der es immer noch keine Gleichberechtigung gibt. Komplexe Themen also, die uns alle irgendwie betreffen – bei denen viele aber trotzdem nicht gemeint sein wollen.

Eine Übersprungshandlung, wenn man sich von etwas diffus bedroht fühlt: Man macht sich darüber lustig

Und das könnte einer der Knackpunkt sein, der zum Witz führt: Am Ende dreht sich die Diskussion immer um strukturelle Probleme (Stichwort „Patriarchat“), also darum, dass Männer die Macht haben, oder platt gesagt: dass Männer schuld sind. Woraufhin sich einzelne Männer, die sich nicht als Teil dieser Struktur sehen (oder davon überzeugt sind, dass es sie nicht gibt), an die Wand gestellt fühlen. Und was ist eine typische Übersprungshandlung, wenn man sich von etwas diffus bedroht fühlt? Genau, man macht sich darüber lustig. Nimmt der Sache so ihre Ernsthaftigkeit, ihr Gewicht, ihre Relevanz. Für diese Erklärung spricht vor allem eins: dass fast ausschließlich Männer #Metoo-Witze machen, genauso wie fast ausschließlich Männer #aufschrei-Witze gemacht haben.

#Metoo hat allerdings gegenüber #aufschrei einen Vorteil, der im Bezug auf die Gag-Werdung zum Nachteil wird: Der Hashtag besteht aus den zwei gewöhnlichsten Wörtern, die man sich nur vorstellen kann. Niemand sagt im Alltag besonders oft das Wort „Aufschrei“ – aber jeder sagt unzählige Male pro Tag „Ich auch“. Und dank der anglophon geprägten Popkultur und dem Hang zu Anglizismen, sagen und hören auch hierzulande sehr viele Menschen sehr oft die Wörter „Me too“. Wenn sie selbst ein Gespräch auf Englisch führen („I really liked that movie!“ – „Yes, me too!“), wenn sie die „How I Met Your Mother“-Folge schauen, in der Robin und Barney sich küssen (Robin: „I had a fun time tonight though“, Barney: „Me too“), wenn sie in irgendeiner U-Bahn ein Telefonat mit anhören („Yeah, alright, me too“). Bis zum Oktober 2017 war das völlig folgenlos, doch seitdem lösen solche Situationen sofort ein Echo im Gehirn aus: Weinstein, Spacey, Kavanaugh. Machtmissbrauch, sexuelle Belästigung, Vergewaltigung. (Un-)Glaubwürdigkeit, Männerrechtler, Trump.

Eigentlich ist das gut. Denn eigentlich ist es genau das, was der Hashtag erreichen wollte oder sogar noch mehr: Weil zwei so gebräuchliche Wörter zu Schlagworten für ein Thema geworden sind, über das gesellschaftlich viel zu lange geschwiegen wurde, wird dieses Thema nun ständig und wie nebenbei in unserem Bewusstsein nach oben gespült. Mehr „Awareness“ geht nicht.

Manche Menschen schaffen es nicht mehr, diese beiden Wörter neutral auszusprechen

Aber dieser Vorteil von #Metoo, die Gewöhnlichkeit, ist eben auch ein Nachteil: Die „Awareness“ nutzt sich schneller ab. Die immer wieder ausgelöste Assoziationskette ermüdet, man kann und will sich nicht jedes Mal mit dem Thema auseinandersetzen, nur, weil man zwei kleine Wörter gehört hat. Darum kann man nun beobachten, wie Menschen auf das Echo in ihrem Gehirn mit einem müden Lächeln reagieren. Wie sie „Me too“ sagen, weil sie den Film auch mochten, aber dann „Haha, me too“ nachschieben. Wie sie es nicht mehr schaffen, diese beiden Wörter neutral auszusprechen. Gleichzeitig fällt auch jetzt erst auf, wie häufig sie in der Alltagssprache vorkommen, wodurch sie plötzlich albern wirken. So ähnlich, wie wenn man sehr oft das Wort „Pferd“ liest oder hört, bis es einem nur noch wie ein komischer Laut vorkommt.

Das Schicksal von #Metoo ist also tragischer als das von #aufschrei. Zum einen ist der Hashtag irre gut gewählt, weil er uns automatisch und tagtäglich begleitet. Zum anderen schwankt er aber, sobald er aus dem Netz ins echte Leben geholt wird, zwischen „Das war sexistisch, #Metoo!“-Witze-machenden Männern, die glauben, sich wehren zu müssen, und der Schmunzel-Falle, in die jeder von uns tappen kann, weil uns diese Wörter so oft begegnen.

Wir sollten darum aufpassen, dass uns vor lauter vereinfachendem Schlagwort nicht die Komplexität des Themas dahinter verlorengeht. Dass wir keine Abwehrreflexe entwickeln, wenn wir diese Wörter hören, dass wir nicht müde werden oder genervt. Dafür ist das Thema zu wichtig und die Debatte zu überfällig. Und zum Glück hat #Metoo die Alltagssprache nicht nur anstrengender gemacht, sondern ihr ganz nebenbei einen sicher nicht beabsichtigten, aber dennoch ziemlich großen Dienst geleistet: Niemand, wirklich niemand, wird jemals wieder den Fehler machen, „I too“ zu sagen.

Mehr über #Metoo:

  • teilen
  • schließen