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Heidi Süß forscht zum Geschlechterverhältnis in der deutschen Rapszene - ein Interview
Was haben wir uns in diesem Jahr über den deutschen Gangster-Rap aufgeregt. Über seine Inhalte und Ausdrucksweisen, über Antisemitismus, Homophobie und Sexismus. Und der deutsche Gangster-Rap? Der macht einfach weiter: Die ersten drei Tracks der aktuellen Singlecharts sind alle aus dem Genre des Gangster-Raps und auch auf den Bestsellerlisten steht seit Wochen das „Ratgeberbuch“ des nicht-mehr-ganz-so-vorzeige-Gangster-Rappers Kollegah. Darin schreibt er: „Egal was dir die Emanzen von heute erzählen – Frauen wollen vom Mann geführt werden.“
Der Gangster-Rap hat eine ziemlich genaue Vorstellung davon, was es bedeutet ein Mann zu sein und wie man sich als solcher zu verhalten hat. Ebenso klar ist die Vorstellung, wie eine Frau als Frau zu sein hat. Heidi Süß von der der Universität Hildesheim forscht in ihrer Dissertation zum Geschlechterverhältnis in der deutschsprachigen Rapszene.
jetzt: Frau Süß, Sie forschen zum „Phänomen deutschsprachiger Rap-Männlichkeiten“. Wen oder was kann ich mir darunter vorstellen?
Heidi Süß: Es gibt natürlich nicht DIE deutsche Rap-Männlichkeit, aber es gibt ganz bestimmte männliche Attribute, die sich im Entstehungskontext des Gangster-Raps in den USA durchgesetzt haben und an denen sich auch deutsche Künstler orientieren.
Welche „männlichen Attribute“ sind das?
Härte, Autorität, Stärke. Im deutschen Gangster-Rap ist der Kontext der Migration sehr wichtig: Es wird die Geschichte von sozialer Ungerechtigkeit und vom sozialen Aufstieg erzählt – ähnlich dem „American Dream“ – alles nach dem Motto: „Du kannst alles schaffen, wenn du nur hart genug dafür arbeitest!“ Es ist das Ideal einer Dominanzkultur mit viel Kohle, dicken Autos, großer Macht – und natürlich einem sehr fragwürdigen Frauenbild.
Welche Rolle spielen Frauen bei dieser krassen Männlichkeit?
Grundsätzlich entsteht Männlichkeit immer auch in der Dominanz und Abgrenzung gegenüber Weiblichkeit. Gerade im Gangster-Rap gibt es sehr eindimensionale Weiblichkeitsbilder: Entweder ist die Frau eine Heilige oder eine Hure – dazwischen gibt es nichts.
In Diss-Tracks wird häufig die gegnerische Mutter oder Freundin beleidigt. Ist die Frau eine Schwäche des Mannes?
Die Beleidigung der Frau, Mutter oder Schwester ist oft nur das Vehikel, um die andere Männlichkeit zu beleidigen. Es wird sich meistens – und auch zurecht – auf den Sexismus fokussiert, aber dabei wird übersehen, dass dieser ganze Wettkampf und das gegenseitige Dissen fast nur zwischen Männern passiert. Eine konkrete Frau wird eher selten beleidigt, weil sie im Grunde gar kein ernst zu nehmender Rivale in dieser männerdominierten Gruppe ist.
Mittlerweile sind aber auch immer mehr Frauen im Game – zum Beispiel Schwesta Ewa, SXTN oder Haiyti – bedeutet das eine Verschiebung der Geschlechterverhältnisse in diesem „Männerklub“?
Es wäre falsch zu behaupten, dass sich ein gemeinsames weibliches Kollektiv zusammenschließt, so eine Art „empowernde Frauengang“, die es den männlichen Kollegen so richtig zeigen will. Natürlich werden immer mehr weibliche Künstlerinnen sichtbar, gerade auch durch die Digitalisierung und die sozialen Medien, aber die Künstlerinnen sind alle sehr unterschiedlich und es gibt auch nur sehr wenige Features zwischen ihnen.
Wie gehen denn Gangster-Rapperinnen mit dem Thema „Geschlecht“ um?
Das ist sehr unterschiedlich und es gibt verschiedene Lesarten. Ein Beispiel: Schwesta Ewa liegt auf ihrem Albumcover nackt auf Geldscheinen. Entweder bedient sie damit den männlichen Blick und bekräftigt das klassische Weiblichkeitsklischee im Gangster-Rap oder sie macht dadurch die eindimensionale Perspektive auf Weiblichkeit sichtbar. Sie bezeichnet sich selbst auch als „Kurwa“, also Hure, und nimmt dem Begriff dadurch seine Verletzungsmacht. Vielleicht findet sie es aber auch einfach geil, nackt in Geldscheinen zu liegen. Vielen jüngeren Künstlerinnen ist Geschlecht auch einfach egal, weil sie mit einem anderen Verständnis von Geschlecht aufgewachsen sind. Ich glaube, man darf das nicht überinterpretieren und überanalysieren oder Frauen im Rap grundsätzlich Feminismus unterschieben.
Aber ist das nicht eigentlich ziemlich wichtig, weil die Künstler und Künstlerinnen Einfluss auf junge Männer und Frauen und ihr Verständnis von Geschlecht, Beziehung und Sex haben?
Häufig wird Rapmusik nur auf eine sehr negative Weise besprochen, ähnlich wie bei Computerspielen, dem möchte ich mich nicht anschließen. Es gibt wenig Forschung zur Rezeption von Rapmusik, aber ich glaube nicht, dass wenn Bonez MC, RAF Camora mit Gzuz rappen, „Knall’ sie einfach in der Parklücke weg / wichs’ ihr in die Fresse und frag’ sie, wie’s schmeckt“, dass dann wirklich jemand rausläuft und eine Frau in der Parklücke „wegknallt“.
Das heißt, alles super und solche Lines sind überhaupt kein Problem?
Doch natürlich! Ich glaube zwar nicht, dass jemand konkret nach ihnen handelt, sie transportieren aber eine bestimmte Mentalität und eine Message, die Einfluss auf die Vorstellungen von Geschlecht und Geschlechterrollen hat. Rap hat ja auch eine enorme Auswirkung auf die Jugend- und Alltagssprache – nicht umsonst kommt das Langenscheidt-Jugendwort 2018 „Ehrenmann/Ehrenfrau“ schon wieder aus dem Rap-Wortschatz – und Sprache schafft Wirklichkeit und beeinflusst unser Handeln.
Halten Sie das für gefährlich?
Nicht gefährlich, aber grundsätzlich für etwas, das die Gesellschaft im Blick haben sollte. Deutschrap ist wahnsinnig populär und erfolgreich, deswegen sollte man sich Einblick in die Texte und Bildwelten verschaffen, um ein Gefühl dafür zu bekommen. Gleichzeitig müssen die Künstler und Künstlerinnen verstehen, dass es für viele junge Menschen Gewicht hat, was sie sagen, was sie anziehen und wie sie sich bewegen. Aber ich glaube auch, dass jungen Menschen dabei zu wenig zugetraut wird. Die können das teilweise sehr gut differenzieren.
Seit dem ersten deutschen Gangster-Rap Anfang der 2000er ist viel passiert. Es gibt mittlerweile eine größere Toleranz gegenüber sexueller Vielfalt und diversen Identitäten – haben diese Modernisierungsprozesse auch Auswirkungen auf den Gangster-Rap?
Grundsätzlich findet auch im Gangster-Rap eine Diversifizierung statt. Ein Beispiel wäre „Afrotrap“, der auf der Inhaltsebene Gangster-Themen behandelt, aber in den Videos ist dann alles super fröhlich, es wird gegrinst und getanzt und dadurch eine ganz neue männliche Körperlichkeit dargestellt. Gleichzeitig kann man im Gangster-Rap aber auch eine Art „Backlash“ beobachten in der Form einer Überthematisierung und -visualisierung des männlichen Körpers und eines Rückbezugs auf eine rein männliche Crew.
Sie beschäftigen sich bis ins kleinste Detail mit den Texten und Videos – hören Sie in Ihrer Freizeit auch Gangster-Rap und rappen Sie manchmal bei beispielsweise Kollegah mit? Textsicher sind Sie ja ...
Ich bin mit dieser Musik aufgewachsen und höre sie seit über 20 Jahren fast ausschließlich. Wenn mir etwas gefällt, rappe ich natürlich mit! Da bin ich inzwischen auch unempfindlich was die Inhalte angeht. Allerdings hinterfrage ich auch immer wieder, wieso ich diese „Ich-ficke-deine-Mutter“-Lines jetzt so gut finde und das regt neue Gedanken an und bringt mich weiter. Rap hat mir so gesehen viel beigebracht – besonders in puncto Geschlechterwissen.