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Feministischer Appell: Männer, organisiert euch besser!
„Die Söhne mögen heute für immer unreif bleiben, die Töchter hingegen sind schon immer erwachsen“. Vor Kurzem habe ich diesen Satz in einem Buch des französischen Philosophen Alain Badiou über die Jugend von heute gelesen. Er stellt darin fest: Junge Frauen verhalten sich mittlerweile bereits von klein auf wie Erwachsene. Umgekehrt verhalten sich junge Männer noch im Erwachsenenalter kindlich. Mit seinen 82 Jahren mag Badiou vielleicht nicht der naheliegende Ansprechpartner für Jugend- und Geschlechterfragen sein. Aber wenn ich auf mein Leben und das meiner Freund*innen blicke, dann denke ich: an seiner Theorie ist was dran.
Denn immer wieder beobachte ich Folgendes: Während viele junge Frauen Alltag und Arbeitsleben gekonnt organisieren und dabei den Überblick behalten, geben sich viele junge Männer als spontane Freigeister – als Weltenbummler wie Wanderlust-Jules, die unbekümmert in den Tag hineinleben. Zeitgleich sind sie oft aber auch ziemliche Chaoten, Organisations-Nieten und haben Kommunikations-Defizite.
Manch eine*r würde vielleicht einwerfen: „Ist doch gut, wenn so viele Frauen den Männern in Sachen Organisation voraus sind!“ Aber wie oft wird der Organisations-Balanceakt von Frauen gesellschaftlich tatsächlich als besondere Leistung wertgeschätzt? Ist er nicht schon selbstverständlich geworden? Männer werden hingegen immer noch gehypt, wenn sie sich gleichzeitig um Haushalt, Kinderbetreuung, Alltags-Orga und Job kümmern. Es ist längst bekannt, dass Frauen mehr unbezahlte Care-Arbeit verrichten als Männer. Kein Wunder, dass es für die Belastung, permanent an alles denken zu müssen, mittlerweile eine Bezeichnung gibt: Mental Load. Das drohende Burn-Out der Frauen.
Ihr Verhalten betrifft nicht sie alleine
Es geht mir auch nicht darum, auf Geschlechterklischees herumzureiten oder gar zu behaupten, solche Verhaltensweisen lägen „in unserer Natur“. Ganz im Gegenteil: Sie sind selbstgemacht, also über Jahrhunderte hinweg gesellschaftlich eingeübt. Es ist längst überfällig, sie offenzulegen, zu kritisieren und zu verändern. Deshalb mein Aufruf: Männer, verbessert eure Skills in administrativer Arbeit! Organisiert euch besser! Denn so könnt ihr Emanzipation leben – und etwas dafür tun, Frauen vor dem kollektiven Burn-Out zu bewahren.
Oft sind die schlechten Organisierer aufgeklärte Befürworter von Gleichberechtigung und Emanzipation. Und trotzdem ist vielen von ihnen nicht bewusst: Ihr Verhalten betrifft nicht sie alleine. Vielmehr wird dadurch häufig ein ungerechtes Macht- und Abhängigkeitsverhältnis reproduziert – sowohl in privaten (insbesondere heterosexuellen) Beziehungen, als auch im Arbeitsleben. Das hat auch etwas mit fehlender Solidarität zu tun. Wer planlos ist, der nimmt in Kauf, dass jemand anders die Planung übernimmt – und im Zweifelsfall den Preis dafür zahlt. Wenn Mann „frei“ sein möchte, muss er sich auch im Klaren darüber sein, dass dadurch möglicherweise Frau in ihrer „Freiheit“ eingeschränkt wird. Anders gesagt: Die immateriellen Ressourcen Zeit, Energie, Disziplin, die man selbst einspart, werden an anderer Stelle aufgebraucht.
Ein paar Beispiele, was das im Alltag bedeutet: Mann „beteiligt“ sich mal wieder kurzfristig bei dem Geschenk der Schwester für die Eltern. Mann hat sich „lose“ mit einer Freundin verabredet, meldet sich dann aber ein paar Stunden verspätet bei ihr, weil sich doch noch „was anderes ergeben“ hat. Mann ist eher unzuverlässig darin, Nachrichten zu beantworten und muss an Termine lieber zweimal erinnert werden. Mann findet, dass so ein bisschen Chaos die Kreativität fördert, aber wenn die Freundin das unbedingt möchte, dann kann sie es ja aufräumen. Wer sich bei diesen Aufzählungen ertappt fühlt, ist gemeint.
Der Mann sieht sich dabei vielleicht als unabhängiges Subjekt, die Frau wäre das aber auch gerne
Durch solche und viele weitere Situationen dieser Art entsteht ein Ungleichgewicht. Der Mann sieht sich dabei vielleicht als unabhängiges Subjekt, die Frau wäre das aber auch gerne. Stattdessen steht sie mit Stift und Kalender in der Warteschlange – verletzt, verärgert oder gar ihr Schicksal resignierend in Kauf nehmend. Dass dieses Ungleichgewicht tatsächlich existiert, zeigt sich schon in einem Bereich, der viel Organisation erfordert: dem Haushalt. Eine Untersuchung des Instituts der Deutschen Wirtschaft in Köln aus dem Jahr 2019 kam zu dem Ergebnis, dass zwar das Rollenverständnis insgesamt moderner geworden ist, der Haushalt trotzdem noch vermehrt an Frauen hängen bleibt. Nur 23 Prozent der Befragten gaben an, die Aufgaben tatsächlich gemeinsam zu erledigen.
Dieses Phänomen nennt man „Mind-Behavior-Gap“. Und genau hier ist der Knackpunkt: Selbstbild und Realität klaffen auseinander.Laut Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend gibt es mittlerweile das Konzept des „neuen Mannes“, der nicht für traditionelle Arbeitsteilung, sondern für Gleichstellung steht. Aber: „Die Befunde zeigen: Der „neue Mann“ ist zugleich ein visionärer (Rollen-)Entwurf und noch eine Nischenrealität“. Also, Männer: Practice what you preach!
Ein Beispiel aus eigener Erfahrung, wie das aussehen könnte: Bei einem von Frauen und Männern gemeinsam veranstalteten Workshop war man sich vorab einig: Auf keinen Fall soll es – wie in der Vergangenheit – dazu kommen, dass die Frauen im Hintergrund walten, während die Männer auf der Bühne große Reden schwingen. Doch schon im ersten Panel diskutierten die Männer über soziale Ungleichheit, während die Frauen Kaffee brühten, Keksteller und Tassen anrichteten. Zum Glück erkannten die Männer das Missverhältnis von selbst. Sie begannen, Verantwortung für Organisation zu übernehmen: spülten zwischendurch Tassen, behielten den Zeitplan im Blick und bezogen einander in Planungsänderungen ein. Trotz guten Willens wäre eine gerechte Organisationsverteilung beinahe gescheitert. Dennoch löste sich die Situation ohne Streit. Es hilft nämlich leider wenig, den Frauen vorzuwerfen: „Warum hast du denn nichts gesagt?“. Das ist nur nervig. Viel schöner ist es, wenn Männer ganz von selbst aktiv werden. An chaotischem, unorganisiertem und planlosem Verhalten sollten Männer nicht nur deshalb etwas ändern, weil es oft ungerecht ist. Sie sollten es auch in die Tat umsetzen, weil sie für Werte einstehen wollten: Gleichstellung, Geschlechtergerechtigkeit und Emanzipation zum Beispiel.
Der „neue Mann“ sollte nicht nur ein Ideal sein
Geschlechterungerechtigkeit zu überwinden, liegt natürlich nicht allein in der Verantwortung des*der Einzelnen, sondern vor allem in der Politik. Maßnahmen wie Frauenquoten und gleiche Bezahlung reichen nämlich leider nicht. Es gilt, die Gesellschaft grundlegend umzugestalten und mehr darüber zu diskutieren, wie man Ungerechtigkeit umfassender bekämpfen kann.
Wer sich selbst besser organisiert, übernimmt Verantwortung für das eigene Leben. Man lagert wichtige Entscheidungen nicht aus, sondern trifft sie selbst. Dann ist man zum Beispiel aus Liebe und Zuneigung in einer Partnerschaft und nicht, weil man ohne die andere Person organisatorisch aufgeschmissen wäre. Wenn ich mir junge Männer in meinem Umfeld ansehe, dann habe ich auch das Gefühl, dass die Planlosigkeit symptomatisch für psychische Belastung und vielleicht sogar Überforderung ist. Eine Überforderung mit den gesellschaftlichen Anforderungen an Männlichkeit – oder damit, diese in ihrer toxischen Form zu bekämpfen. Um zum „neuen Mann“ zu werden, sollte man also nicht nur reflektieren, was das bedeutet, sondern das eigene Verhalten aktiv ändern. Der „neue Mann“ sollte nicht nur ein Ideal sein. Er sollte Wirklichkeit werden.
* Mit Frauen und Männern sind hier in erster Linie diejenigen gemeint, die sich als solche definieren. Insgesamt richtet sich der Text aber an all jene, die das beschriebene Verhalten bei sich oder anderen wiedererkennen.