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Feminismus: Stevie Schmiedel gibt Leitung von Pinkstinks ab
Stevie Schmiedel ist die Generation-X-Version von Alice Schwarzer, hat zu Genderforschung promoviert, und vor allem bis vor einer Woche „Pinkstinks“ geleitet – eine der erfolgreichsten deutschen Organisationen, die sich für Frauenrechte und eine feministische Erziehung einsetzt. Dabei hat Stevie Pinkstinks nicht nur gegründet, sondern sich auch viele der prominenten Groß-Kampagnen ausgedacht: „Not Heidis Girl“ oder „Schule gegen Sexismus“ etwa, aber auch den Medienpreis für progressive Werbung „Der pinke Pudel“. Jetzt verabschiedet sich die 49-Jährige von Pinkstinks, oder zumindest von der Leitung; Ansprechpartnerin für die Presse und freie Kreativdirektorin bleibt sie. Im Interview erzählt die Aktivismus-Expertin, was das Problem von Feminismus ist, warum die jungen Progressiven nicht immer alles besser wissen, und warum Atze Schröder eine ihrer Lieblings-Begegnungen war.
jetzt: Das Motto von Pinkstinks lautet: „Die Zeiten gendern sich.“ Stimmt das, wird unsere Gesellschaft geschlechtergerechter?
Stevie: Nicht wirklich. Die feministische Landschaft ist komplett polarisiert. In den Großstädten und im studentischen Umfeld fangen viele junge Menschen an zu gendern und sich für Geschlechtervielfalt einzusetzen. Bei großen Modeketten kann man T-Shirts kaufen, auf denen „Feminist“ steht – das hat es vor wenigen Jahren noch nicht gegeben. Und gleichzeitig haben wir einen unglaublichen Backlash durch das Erstarken des rechten Randes und Vorstellungen von „das wird man ja noch sagen dürfen“. Insofern: Ja, wir haben einen Fortschritt, aber gleichzeitig dürfen wir den Rückschritt nicht unterschätzen.
Was sagst du, wenn eine andere Frau sagt: Das generische Maskulinum stört mich ja gar nicht. Da fühle ich mich mitgemeint!
Schön für sie, wenn es sie nicht stört! Aber trotzdem finden auch diese Frauen es normalerweise interessant von den Studien zu hören: Dass sich Kinder etwa unter einem „Arzt“ keine Frau vorstellen, und sich Mädchen dann oft nicht in einer solchen Position sehen. Manche haben dann vielleicht Eltern, die sie fördern, oder ein weibliches Vorbild in ihrem Leben. Aber es gibt eben auch andere Umfelder, in denen eine Gender-gerechte Sprache einen großen Unterschied machen könnte.
Bist du es müde, immer und immer wieder dieselben Dinge über Feminismus und Gleichberechtigung zu erklären?
Nein, das ist mein Job, und das bleibt er auch. Irgendwer muss es tun. Und ich glaube ganz fest: Kein Mensch ist ein Arschloch. Jede und jeder ist ein Produkt der Erziehung und des Umfeldes. Und wenn mir jemand sagt, Feministinnen seien alle doof und machen unsere Gesellschaft kaputt, dann atme ich tief durch und überlege, mit was ich diese Person erreichen kann. Und wenn es nur eine Kleinigkeit ist.
Gab es denn einen Moment, an dem du gesagt hast: Jetzt reicht’s, ich muss aufhören?
Nein, das war ein schleichender Prozess. Ich bin seit Jahren am Rand der Erschöpfung und wusste, irgendwann brauche ich mal eine Pause von dieser One-Woman-Show. Ich habe Fundraising, Marketing, Kampagnen, Text und Geschäftsführung gemacht. Jetzt hat Pinkstinks Rücklagen und ist für das nächste Jahr gut finanziert. Ein passender Moment, um Verantwortung auf verschiedene Schultern zu verteilen.
Es gibt auch handfeste Drohungen gegen dich. Welche Rolle haben die für deinen Rücktritt gespielt?
Die Drohungen gibt es eigentlich schon immer. Aber nach den Attentaten von Hanau und Halle wissen nicht nur wir, dass solche Täter neben Muslim*innen und Jüd*innen auch Feminist*innen im Visier haben. Seit etwa einem Jahr wird mir deswegen auf Vorträgen Personenschutz angeboten, und ich nehme das auch an. Ich bin, wie auch Katarina Barley und Heiko Maas, auf der rechten „Judas-Watch“-Liste. Da stehen zwar viele drauf, aber trotzdem denkt man bei jeder Großveranstaltung: Mensch, ich habe zwei Kinder. Das geht so nicht mehr.
„Da muss man sprachlich manchmal verkürzen“
Haben dich diese konstanten Anfeindungen ausgehöhlt?
Es ist ein strapaziöses Grundrauschen. Aber was für mich die größte Anstrengung war, ist der Spannungsbogen in der linken Szene. Wenn wir aggressiv aus den eigenen Reihen angegriffen werden, weil wir etwa eine Gruppe nicht in einem Text mitgedacht haben, dann kann das sehr weh tun. Wir bemühen uns inklusiv zu sein, die Probleme von PoCs und queere Menschen mitzudenken, und intersektionalen Feminismus zu betreiben.
Intersektionaler Feminismus?
Ein Gesamt-Feminismus, der auch migrantische Frauen, trans*Frauen und weitere Diskriminierungen mitdenkt, und für deren Sichtbarkeit kämpft – wir alle sollten gemeinsam gegen das Patriarchat angehen. Das ist sehr wichtig, aber Pinkstinks hatte immer das Ziel, die Brigitte des Feminismus zu sein: Also Lieschen Müller zu erklären, warum wir die Welt verändern möchten. Und da muss man sprachlich manchmal verkürzen.
Aber theoretisch ist es doch eine gute Idee, erst einmal alle mitzudenken, oder?
Wir sind immer noch eine sehr kleine Blase, die intersektional denkt. Und wenn man mal nur 20 Kilometer vor die Tore von Hamburg und Berlin fährt, merkt man, dass da ganz viel von unserer Denke noch nicht angekommen ist. Dass kleine Jungs in der Schule gemobbt werden, weil sie eine rosa Mütze aufhaben. Und da kann man nicht mit Cis, und Trans und diesen ganzen akademischen Wörtern kommen, und meinen, dass das Leute gefälligst verstehen sollen. Dass heißt aber nicht, dass ich das nicht mitdenke: Ich habe etwa zu diesen Themen auch promoviert.
Wie kann man denn überhaupt alle Probleme von allen Frauen in ihrer Verschiedenheit unter einen Hut bekommen?
Das ist ein Problem, das wir dringend verhandeln müssen! Wir sind da noch ganz am Anfang, da wird es noch ziemlich knallen. Wir wollen etwa mit trans*Frauen und -Männern zusammen Politik machen. Aber das können wir nicht immer. Wir müssen akzeptieren, dass es Bereiche gibt, in denen wir getrennt Politik machen müssen, und uns das zugestehen.
„Es fühle sich wie eine Falle an, Frau zu sein“
Wann zum Beispiel?
Etwa, wenn es darum geht, dass Frauen kaum einen Arzt finden, der ihnen vor dem 35. Lebensjahr die Eierstöcke kappt. Und klar gibt es auch (Trans-)Männer, die Eierstöcke haben und Kinder gebären können, das ist immer wieder wichtig zu erwähnen. Aber es ist vor allem ein Rollen-Problem von Cis-Frauen, um das es hier geht, das muss man auch sagen dürfen. Wir müssen herausfinden, wie wir zusammen kämpfen können, und trotzdem einzelnen Gruppen sichtbar machen. Das ist die große Herausforderung unserer Zeit. Sonst kannibalisieren wir uns selber.
Für dich hat alles mit einem Protest gegen die Sendung Germanys Next Topmodel angefangen. Nervt es dich, dass das Format noch immer existiert und erfolgreich ist?
Ich habe nie gedacht, dass wir diese Show absetzen. Dazu machen die viel zu viel Geld damit. Aber immerhin: Heidi Klum hat beim Castingaufruf angekündigt, dass sich jede – egal wie dick, groß, alt – bewerben dürfe. Dass das nur ein Feigenblatt ist, wissen wir auch. Aber es wird immerhin darüber gesprochen, und die Kritik an Heidi Klum ist unglaublich gewachsen.
Was war denn dein letzter feministischer Aha-Moment, bei dem du etwas verstanden hast?
Ich werde nächstes Jahr selber 50 Jahre alt und habe gerade einen Text über die Wechseljahre geschrieben. Da kamen viele Zuschriften von jungen Frauen, dass sie das nicht hören wollen. Dass es sie das Thema ganz unangenehm berührt, weil sie nicht darüber nachdenken wollen, dass sie da so biologisch festgeschrieben sind. Es fühle sich wie eine Falle an, Frau zu sein. Und ich glaube, dass genau diese Angst als Frau älter zu werden, junge Feministinnen davon abhält, für die ältere Generation zu kämpfen. Und damit auch für ihr zukünftiges Ich.
Aber warst du auch mal positiv von der Welt überrascht?
Sicher! Ich hatte etwa einmal eine sehr schöne Begegnung mit Atze Schröder, den ich inkognito in einem Café beim Frühstücken gesehen habe. Da habe ich mich einfach zu ihm gesetzt und gesagt: „Du hast doch diesen richtigen Mist gebaut!“ Mir ging es um eine schlimm sexistische Wiesenhof-Werbung. „Können wir darüber mal reden?“ Da hat er mich angeschaut, und gesagt: „Du, das tut mir so leid. Das war so daneben, das ist mir bis heute peinlich.“ Damit hatte ich nun wirklich nicht gerechnet.