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Die Aufregung um sexpositive Rapperinnen ist heuchlerisch

Die Rapperinnen Megan Thee Stallion (l.) und Nicki Minaj (r.) sind nur zwei von vielen, die über ihre Lust rappen. Warum wird das immer noch als Skandal betrachtet?
Fotos: Victoria Will / Invision / AP / picture alliance / Angela Weiss / AFP / Illustration: Daniela Rudolf-Lübke

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Cardi B und Megan Thee Stallion haben Geschichte geschrieben. Der gemeinsame Song „WAP“ debütierte als erste Zusammenarbeit zweier Rapperinnen auf der 1 der amerikanischen Single-Charts. Seit Veröffentlichung haben Cardi und Megan aber nicht nur den Rekord für die meisten Streams in der ersten Woche gebrochen, sondern auch einen Haufen Köpfe explodieren lassen. WAP steht für „Wet Ass Pussy“ und ist eine gut dreiminütige Zelebrierung weiblicher Lust. Mit „Put this pussy right in your face / Swipe your nose like a credit card“ - beschreibt Cardi, wie sie oral befriedigt werden will, während sie sich im Video auf dem Boden in einem Haufen Schlangen (Metapher für eine Menge Penisse?) räkelt. Cardi und Megan rappen, in welcher Stellung sie es am liebsten tun und darüber, dass sie dabei so feucht werden, dass danach mit einem Mop aufgewischt werden muss. Das ist explizit, aber nicht anstößig.  

Als ich den Song zum ersten Mal gehört habe, fand ich ihn cool, aber nicht ansatzweise schockierend, vor allem wenn man Cardis und Megans Musik kennt. Ich wusste allerdings, dass sich „WAP“ gut verkaufen würde. Cardi B und Megan Thee Stallion sind nicht nur megaerfolgreiche Rapperinnen, Cardis Team beherrscht Promotion auch meisterhaft, das Video wurde zudem von dem profilierten Musikvideo-Regisseur Colin Tilley gedreht.  Was mich überraschte, war der Aufschrei, der durch den Songs ausgelöst wurde. 

Der rechtskonservative Kommentator Ben Shapiro widmete „WAP“ eine ganze Ausgabe seiner Videoshow. Sichtlich verwirrt und angewidert rezitierte er den Songtext. „Leute, das ist also, wofür Feministinnen gekämpft haben“, spottete er in ironischem Ton. Er verkennt dabei, dass Feminist*innen in der Tat für sexuelle Selbstbestimmung kämpfen. Der Republikaner James P. Bradley sagte, er wolle sich die Ohren mit Weihwasser ausspülen. DeAnna Lorraine, ebenfalls Republikanerin, bezeichnete den Song als „100-jährigen Rückschlag für den Feminismus“ und „abscheulich“. 

„WAP“ zeigt, dass sich Frauen immer noch nicht ausleben können, ohne Selbstobjektifizierung oder Verdorbenheit vorgeworfen zu bekommen

Ich finde ja eher, dass es ein Backlash für den Feminismus ist, wenn man einen Präsidenten stellt, der damit prahlt, Frauen ohne Zustimmung an die Vulva packen zu können. Da sind Frauen, die selbstbestimmt über ihre eigene feuchte Vulva rappen, ein viel kleineres Problem. Eigentlich ist es einfach peinlich, dass zwei Frauen im Jahr 2020 immer noch dafür beschämt werden, wenn sie Spaß haben und über ihre eigene Lust rappen. Man könnte meinen, dass wir in Sachen Selbstbestimmung schon weiter sein sollten, aber „WAP“ zeigt, dass sich Frauen immer noch nicht ausleben können, ohne Selbstobjektifizierung oder Verdorbenheit vorgeworfen zu bekommen.

Und wo ist eigentlich diese Empörung, wenn männliche Künstler ständig sexuell explizite Songs veröffentlichen und Zeile für Zeile beschreiben, was sie von der Frau verlangen oder mit „suck my dick“, „ride my cock“ und „gimme brain“ gleich direkte Anweisungen geben? Woran liegt das? Ich würde sagen: Patriarchat und Doppelmoral. Männliche Sexualität ist omnipräsent und „normal“, weibliche Sexualität hingegen tabuisiert. Jede*r weiß, wie ein Penis aussieht, aber ich würde wetten, dass die wenigsten eine Klitoris aufmalen können. Wenn ein Mann masturbiert, wedelt er sich einen von der Palme, wichst oder holt sich einen runter. Für die weibliche Selbstbefriedigung gibt es nicht mal einen einzigen Trivialnamen.

Besonders Schwarze Frauen sind Fetischisierung ausgesetzt

Der Fall „WAP“ wurde auch zum Politikum, da mit Cardi B und Megan Thee Stallion zwei Schwarze Frauen rappen und im Musikvideo freizügig ihr bestes Leben leben. Gerade Schwarze Frauen sind durch Kolonialismus, Sklaverei und Kriege historisch Ausbeutung, aber auch Fetischisierung ausgesetzt. Heutige Stereotype basieren nämlich oft auf dem Narrativ der „Jezebel“, dessen Ursprung der Rassismusforscher David Pilgrim in der Sklaverei verortet. Das Stereotyp der angeblich sexhungrigen Schwarzen Frau wurde von weißen Männern angewandt, um Missbrauch und Vergewaltigungen der Sklavinnen zu rechtfertigen. Die Sklaverei ist abgeschafft, aber die Stereotype wie auch „misogynoir“, also Misogynie gegen Schwarze Frauen existieren weiter. 

Wenn jetzt Cardi und Megan, aber auch alle Schwarzen Rapperinnen zuvor, über ihre Bedürfnisse rappen, drehen sie diese soziale Dominanz der Männer um und ermächtigen sich selbst. Es geht um die eigene Befriedigung, der eigene Orgasmus wird in den Mittelpunkt gerückt. Natürlich wird auch der Partner zum Höhepunkt gebracht, allerdings ist das ein Nebenprodukt der eigenen fantastischen Fähigkeiten und nicht die erste Priorität. 

Ähnlich wie Tänzerinnen, die wir aus dem Hintergrund in Rap-Videos von männlichen Rappern kennen, sind Cardi und Megan in ihrem Video sexy gekleidet. Doch im Gegensatz zu den Tänzerinnen, dominieren sie den Blick und den Bildschirm. Sie umgarnen keinen Mann – sie umgarnen sich selbst. Die Empörung überrascht mich aber nicht nur deshalb, weil ich sie nicht gerechtfertigt finde. Sondern auch, weil es nichts Neues ist, dass Frauen explizit über ihre Lust rappen. Ein kleiner Streifzug:

Schon in den 1980ern rappte die Gruppe Salt-N-Pepa in „Shake Your Thang“ darüber, wie sie Spaß beim Tanzen hatten und dafür angestarrt und als Freaks und billig bezeichnet wurden. 1991 erschien mit „Let’s Talk About Sex“ ein Song, der für einen offenen und ehrlichen Umgang mit Sex und den eigenen Bedürfnissen warb. Lil‘ Kims und Foxys Debütalben „Hard Core“ und „ll Na Na“ gelten als Wegbereiter für sexuell explizite Songs aus weiblicher Sicht. Und Ende der Neunziger trat Missy Elliott auf die Bildfläche. In einem Paper von 2013 argumentiert die Forscherin Theresa Renee White, dass Missy Elliott durch ihre Texte, die Wahl ihrer Kleidung und ihre Selbstpräsentation, männliche Dominanz und die Stereotype über Schwarze Frauen infrage stellt. Songs wie „Get Ur Freak On“ oder „Work it“ empowern Frauen, ihre Sexualität und Bedürfnisse ohne Scham auszuleben.

Nichts hasst eine sexistische Gesellschaft mehr als Frauen, die einen Scheiß auf veraltete Konventionen geben

2002 rappte Khia in „My Neck, My Back (Lick It)“ darüber, wie sie oral befriedigt werden will. 2014 veröffentlichte Nicki Minaj ihren Song „Anaconda“. Im Video dazu ist eine twerkende Minaj mit viel nackter Haut zu sehen, die entscheidet, wann der Lapdance für Drake vorbei ist. Ähnlich wie bei „WAP“ war die Empörung groß. Es ist also immer wieder das gleiche: Ganz im Sinne des Slut Shamings werden Frauen dafür angefeindet, wenn sie offen und selbstbestimmt mit ihrer Sexualität umgehen, am besten noch einen Song darüber machen und mit der Thematisierung ihrer Lust noch kommerziell erfolgreich sind. Nichts hasst eine sexistische Gesellschaft mehr als Frauen, die einen Scheiß auf veraltete Konventionen geben und ihre Fantasien und Bedürfnisse offen formulieren. 

Ich persönlich kann gar nicht genug davon bekommen, wenn Frauen über alles, was sie beschäftigt und auch alles, was sie anmacht, rappen. Ich liebe es, im Club zu tanzen und lauthals mitzuschreien. Nie werde ich es vergessen, wie ich nach der Prüfungsphase an meiner amerikanischen Uni feiern war und der DJ Khias „My Neck, My Back“ spielte. „All you ladies pop your pussy like this, shake your body: dont’ stop, don’t miss“ dröhnte es aus den Boxen, während ich gefühlt den Stress eines harten Semesters aus meinem Körper tanzte. 

Die Fokussierung auf weibliche Lust ist ein dringend nötiger Blickwechsel und stellt bestehende Sichtweisen in frage, denn die in Musik verpackten männlichen Perspektiven kenne ich gut genug. Songs wie „WAP“ können empowernd sein, da sie weibliche Lust normalisieren und dazu anregen, die eigenen Fantasien in Worte zu fassen. Wenn man der Kongressabgeordneten Alexandria Ocasio-Cortez glauben darf, steht „WAP“ nämlich für „Women Against Patriarchy“. Eine Maxime, die ich gerne unterstütze. 

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