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Buzzcut: Frauen mit abrasierten Haaren
Prominente Frauen wie das Model Amber Rose oder die Sängerin Solange machen es vor: Der Buzzcut, also raspelkurze Haare, ist bei Frauen im Trend. Aber trotzdem herrschen Vorurteile: Haare gelten als Schlüssel zur Weiblichkeit und als Symbol der Sexualität. Kurz geschorene Haare werden mit dem Militär, Gefängnissen oder religiösen Praktiken verbunden. Deshalb kann ein rasierter Kopf eine gewisse Entfeminisierung bedeuten und andere schocken. Vier Frauen erzählen, warum sie sich die Haare abrasiert haben und welche Reaktionen folgten.
„Dann trag doch deinen Pferdeschwanz und sei glücklich damit“
Eva, 24, ist Fotografin aus Mönchengladbach
„Ich hatte vergangenes Jahr Krebs und deshalb eine Chemotherapie. Dort wurde mir gesagt: ,Von den Haaren können Sie sich verabschieden.‘ Da habe ich erstmal geheult. Als die Haare langsam durch die Therapie ausfielen, entschied ich mich, sie abzurasieren. Mir hat die Frisur dann so gut gefallen, dass ich die Haare seitdem immer wieder abrasiere. Seit der Chemo sind mir Haare viel unwichtiger geworden. Ohne sie fühle ich mich viel weiblicher und selbstbewusster. Ich traue mich mehr und bin gewagter mit meinen Looks. Ich verstecke mich nicht mehr dahinter. Mit den langen blonden Haaren fühlte ich mich wie das Mädchen von nebenan.
Bei Männern kommt mein Buzzcut besser an als bei Frauen. Ich höre oft, dass das sexy aussieht. Manchmal gehen Typen im Club an mir vorbei und rufen mir ,Amber Rose‘ zu. Mir hat aber zum Glück noch nie eine fremde Person einfach durch die Haare gefasst. Der würde ich, glaube ich, dann sogar eine wischen.
Von Frauen bekomme ich einige bewertende Blicke. Ich finde das total merkwürdig. Warum unterstützt man sich nicht untereinander? Ich war letztens am Strand und da kamen mir eine Mutter und ihre Tochter im Teenageralter entgegen. Die Mutter hat sich dann zu ihrer Tochter gedreht, getuschelt und gekichert. Damit hat diese Frau ihrer Tochter erstens vermittelt, dass es in Ordnung ist, über andere zu lachen und zweitens, dass es nicht in Ordnung ist, anders zu sein.
Wenn ich mal einen schlechten Tag habe, werfe ich den Leuten an den Kopf: ,Ist irgendwas? Ich hatte Krebs.‘ Obwohl das gar nicht mehr der Grund ist, warum ich die Frisur trage, will ich diese Leute manchmal erziehen. Es ist mein Körper, ich kann entscheiden, was ich damit mache. Dann trag doch deinen Pferdeschwanz und sei glücklich damit, aber lass mich mein Ding machen.“
„Jetzt gucken mir die Leute ins Gesicht, nicht nur auf meinen Afro“
Liliana, 24, arbeitet in einer Kindertagesgruppe in Berlin
„Wenn man Afrohaare bei Cornrows oder Braids zu fest zieht, kann es passieren, dass die Haare abbrechen. Bei mir war das so und dann mussten sie zwangsläufig ab. Im ersten Moment dachte ich: ,Oh mein Gott, wie sehe ich aus?‘ Aber dann fing ich an, zu experimentieren. Ich ließ die Haare in allen möglichen Farben färben - blau, lila, pink, blond. Und ich liebe es. Wenn man sich selbstbewusst fühlt, strahlt man das auch aus.
Schwarze Frauen werden wegen ihrer wechselnden Frisuren wie Cornrows und Braids total gefeiert. Das sind Frisuren, die sich mittlerweile auch nicht-schwarze Frauen aneignen. Aber wir müssen uns so viel über unser Haar unterhalten, erklären, wie wir sie waschen und dass die Frisuren hygienisch sind. Ich bin mehr als nur mein Haar. Jetzt gucken mir die Leute ins Gesicht, nicht nur auf meinen Afro, und das ist ein richtig schönes Gefühl.
Ich habe sogar meine Bachelorarbeit darüber geschrieben, ob sich das heutige Schönheitsideal an der schwarzen Frau orientiert. Großer Po und volles Haar – das wird uns schwarzen Frauen zugeschrieben. Und mehr sieht man an uns nicht? Ich bin da auch noch im Selbstfindungsprozess. Eigentlich sehe ich mich nicht als Feministin, aber irgendwas brodelt da seit der Bachelorarbeit in mir. Ich musste da etwas in mir herausfordern. Da spielte so ein radikaler Schnitt, fast wie ein Neuanfang, mit hinein.
Als Frau gehören lange Haare zum Schönheitsideal. Ich habe ganz oft gehört, ich würde wie eine Lesbe aussehen. Aber was ist das bitte für ein riesiges Vorurteil. Eine lesbische Frau kann auch jede andere Frisur tragen. In der Tagesgruppe habe ich den Kindern durch meinen Buzzcut auch erklären können, dass nicht nur Männer kurze Haare tragen. Und mein Kollege hat lustigerweise Haare bis zur Hüfte. Das ist die perfekte Kombination.“
„Ich existiere nicht, um dir zu gefallen”
Francesca, 20, ist Soziologiestudentin aus München
„Vor über einem Jahr hatte ich mir die Haare blondiert und verschieden gefärbt. Danach wollte ich wieder zu meiner natürlichen Haarfarbe. Da das Rauswachsen nicht so schön ist, habe ich mir die Haare einfach abrasiert. Ich hatte in der Zeit viele Genderkurse und habe das auch als soziales Experiment gesehen. Trotz meines Wissens über Genderkonstrukte hatte ich ein bisschen Angst: Wie würde ich mich ohne meine femininste äußere Eigenschaft fühlen? Aber ich habe mich super gefühlt!
Unter Leuten ist meine Frisur oft das Thema Nummer Eins. Viele wissen nicht, ob ich ein Mann oder eine Frau bin. Aber das regt zum Denken an. Ich war in einem großen Kaufhaus in Malaysia auf der Toilette und wusch mir die Hände, als zwei ältere Frauen reinkamen. Sie sahen mich von hinten und meinten dann: ,Oh, it’s the men’s room‘ und sind wieder raus. Als ich sie ansprach, konnten wir darüber lachen.
Teilweise kommen Leute und fassen mir einfach über meine Haare. Ich finde das aber eher cool. Es bedeutet, dass sich Leute dafür interessieren und darüber mit mir ins Gespräch kommen wollen. Die sind mir dann sehr sympathisch. Von meinen Freundinnen erlebe ich nur positives Feedback. Einige Leute sagen mir, ich sähe ,sogar‘ ohne Haare gut aus – was auch immer das heißen mag. Von Männern habe ich schon gehört: ,Vorher sahst du besser aus.‘ Aber ich existiere nicht, um dir zu gefallen. Ich glaube, vielen heterosexuellen Männern gefallen durch ihre Sozialisierung lange Haare bei Frauen. Manche nehmen auch an, ich wäre wild im Bett, weil ich maskuliner wahrgenommen werde. Haare sind doch nur Haare. Ich zeige mit meiner Frisur, dass ich nicht nur meine Frisur bin.“
„Oft bekomme ich zu hören, wie mutig das sei – als wäre ich aus dem Fenster auf ein Sprungtuch gesprungen”
Sarah, 26, studiert Soziale Arbeit in Berlin
„Ich hatte schon länger mit dem Gedanken gespielt, mir die Haare abzurasieren. Vorher hatte ich lange, dichte Locken, die schwer zu bändigen waren. Da hatte ich keine Lust mehr drauf.
Seitdem bin ich viel befreiter. ,Wann muss ich meine Haare waschen? Wie pflege ich sie?‘ Darüber mache mir sehr viel weniger Gedanken. Ich habe direkt gespürt, wie viel weniger Gewicht auf meinem Kopf lastet. Jetzt liegen auch nicht mehr überall meine langen schwarzen Haare herum. Ich war vorher oft unsicher mit meinen Locken, habe viele Haarprodukte benutzt und sie geglättet. Ich hatte auch den Tick, mit meinen Haaren zu spielen. Jetzt kann ich das nicht mehr, habe aber auch nicht das Bedürfnis danach.
Fremde Leute behandeln mich schon anders, als hätten sie mehr Respekt vor mir. Oft bekomme ich zu hören, wie mutig das sei – als wäre ich aus dem Fenster auf ein Sprungtuch gesprungen. Es ist nach wie vor ungewöhnlich, sich als Frau die Haare so kurz zu schneiden. Und wenn Menschen etwas nicht kennen, kommentieren sie es.“