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Alana hat unfreiwillig die frauenfeindliche INCEL-Bewegung mitgegründet
Alana lebte in Kanada und war Mitte 20, als sie zum allerersten Mal in einer Beziehung war. Ein Spätzünder, sagt sie über sich selbst und muss ein wenig lachen. Es war Ende der 90er-Jahre, Online-Selbsthilfegruppe waren der neueste Trend, darum gründete Alana auch eine: „Alanas Involuntary Celibacy Project“ (deutsch: Alanas Projekt zum unfreiwilligen Zölibat). „Es sollte ein Name sein, der nicht abwertend oder respektlos klingt“, erzählt Alana, die heute Mitte 40 ist und nicht möchte, dass wir ihren Nachnamen nennen. Das Forum war simpel programmiert, es gab keine Grafiken, keine Farben, keine Gifs. Die dazu gehörige Mailingliste hatte einige hundert Mitglieder, gut 20 davon haben regelmäßig geschrieben. „Dating ist angsteinflößend, aber ich hatte gehofft, dass es anderen Menschen ähnlich geht wie mir und sie darüber reden wollen“, erzählt Alana über zwanzig Jahre später. Sie selbst hat damals eine Frau gedated, doch das Forum sollte für jedes Geschlecht und jede sexuelle Orientierung ein Anlaufpunkt sein. Im Gespräch betont sie immer wieder, wie schwierig es manchen Menschen fällt, Beziehungen aufzubauen, und dass „Spätzünder“ wie sie von der Gesellschaft mit einem Stigma belegt sind.
Aus „Involuntary Celibate“ wurde die Abkürzung INVCEL, schließlich wurde das „V“ weggestrichen und INCEL blieb übrig. Rückblickend sagt Alana: „Heute würde ich den Begriff nicht nochmal wählen. Das Wort „Zölibat“ betont den Sex-Aspekt zu sehr. Doch 1997 war es ein ziemlich guter Ausdruck.“
Alanas Forum existiert längst nicht mehr. Die Idee dahinter hat sich allerdings verselbstständigt, in eine Form, die nichts mehr mit Alanas Grundidee zu tun hat: Heute steht Incel für frauenhassende Männer und gehört zur Bewegung der „Manosphere“. Männer, die in Internetforen, auf Reddit oder 4Chan darüber schreiben, dass sie keinen Erfolg bei Frauen haben. Dass der Feminismus schuld sei, die Anti-Baby-Pille, natürlich die Frauen selbst, aber auch gutaussehende, durchtrainierte Männer. Sie schreiben darüber, wie sie Frauen bestrafen wollen – durch Gewalt und Vergewaltigungen.
„Ursprünglich war ein „Incel“ jemand, egal welchen Geschlechts, der noch nie Sex hatte oder lange nicht mehr mit jemandem zusammen war“, so Alana, „heute sind „Incels“ wütende Hetero-Männer. Wir können diesen Begriff also nicht mehr für all die Menschen nutzen, denen Beziehungen in ihrem Leben fehlen.“
Doch wie konnte es soweit kommen? Alana selbst hatte das Forum im Jahr 2000 verlassen. Dating war für sie noch immer keine leichte Sache. Aber auf der Mailingliste und im Forum waren hauptsächlich heterosexuelle Männer unterwegs, nur wenige seien queer oder Frauen gewesen. „Ich glaube, die Gruppe hat einfach meine Interessen nicht mehr getroffen, darum habe ich mich langsam zurückgezogen“, sagt sie im Gespräch. 20 Jahre später kann sie keinen konkreteren Grund mehr nennen. Das Forum konnte auch ohne sie weiterbestehen, und das tat es auch einige Zeit. In einem Interview mit einer US-Radio-Sendung berichtet ein ehemaliges Mitglied, dass auch nach Alanas Fortgang abwertende Kommentare über Frauen moderiert und gekontert wurden. Doch je mehr das Internet wuchs, desto übermächtiger wurden die toxischen Einflüsse. 2013 schließlich sei das Forum nicht mehr wiedererkennbar gewesen, Alanas ursprüngliche Ideen waren tief begraben unter einer Schicht Hass und Wut. Schließlich stürzte die Seite ab.
„Diesen Begriff hatte ich kreiert, aber den Anschluss an die Gruppe verloren“
Erst 15 Jahre später sollte Alana realisieren, was aus ihrem Projekt geworden war. Ein Jahr nachdem 2014 ein 22-Jähriger sechs Menschen auf dem Campus der University of California tötet und sich im Anschluss selbst das Leben nimmt, liest Alana in einem Magazin über den Mann und sein INCEL-Manifest. Die Tat sei Vergeltung gewesen, für all die Frauen, die nicht mit ihm schlafen wollen, hatte der Täter unter anderem gesagt. „Ich war schockiert und bestürzt.“, erinnert Alana sich, „Diesen Begriff hatte ich kreiert, aber den Anschluss an die Gruppe verloren. Und innerhalb von 15 Jahren wurde er Teil dieses männlichen Universums, dieses Hasses! Ich wusste nicht, was ich tun soll.“
Alana fühlte sich hilflos, sie blickt zurück und versteht nicht, wie es soweit kommen konnte: „Ich erinnere mich zwar, wie einige Männer damals Frauen objektiviert haben, aber sie wurden direkt von einer Frau zurechtgewiesen. Frauenhass gab es bei uns im Forum nicht.“
Im Gegenteil, es sei ein freundlicher Ort gewesen, so Alana. Die Nutzer posteten lange Beiträge über die Probleme und Sorgen, die nicht nur Dating oder Einsamkeit betrafen. Sie unterstützten sich gegenseitig, so gut sie konnten. „Viele Menschen wissen nicht, wie sie den ersten Schritt tun sollen, um Leute anzusprechen, die sie attraktiv finden. Sie werden richtig nervös“, sagt Alana.
Als im April 2018 ein weiterer Mann, der der Incel-Bewegung angehört, in Toronto mit einem Auto in eine Menschenmenge fährt und 10 Menschen umbringt, ist für Alana klar: Sie muss etwas tun. Innerhalb eines Wochenendes startet sie „Love not Anger“ – Liebe statt Zorn. „Viele Menschen in dieser Welt sind sehr einsam. Ich glaube, das ist das grundlegende Problem. Das hat sie doch erst zur Incel-Bewegung getrieben. Aber es sind nicht nur heterosexuelle Männer, die einsam sind.“
„Ich finde es furchtbar, wie die Incel-Community sich von gegenseitiger Hilfeleistung zu einem Ort verwandelt hat, in dem Hass geschürt wird“
„Love not Anger“ ist ein langsam wachsenden Projekt, da sie nebenbei noch einen Master gemacht hat und arbeiten muss. Eines der Ziele ihrer Plattform ist es, über Einsamkeit aufzuklären, und eine Alternative zum Hass und der Wut aufzuzeigen. Sie hat auch hier eine Mailingsliste mit Menschen, die sie unterstützen wollen. Aber sie will auch die Forschung dazu vorantreiben: Warum es für manche Menschen schwierig ist, Liebe und eine Beziehung zu finden? „Manche haben schlimme Angstzustände oder sind depressiv und glauben darum nicht, dass sie würdig sind, geliebt zu werden. Das sind ernstzunehmende psychische Probleme.“ Darum sei es wichtig, dass auch Psychotherapeuten und Psychologen besser informiert werden, warum es manchen Menschen so schwer fällt, Beziehung aufzubauen. Für diejenigen, die sich keinen Therapeuten leisten können oder sich nicht trauen, soll die Seite andere Unterstützung und den Zugang zu Information bieten. „Es ist ein globales Phänomen, 1997 hatten wir sogar Leute aus Deutschland und dem Rest Europas. Es ist nichts, wofür man sich schämen muss.“
Ihr eigenes Beziehungsleben der vergangenen Jahren bezeichnet Alana als einigermaßen erfolgreich, aber es bliebe eine Herausforderung für sie: „Wer erst später mit dem Daten anfängt, dem fehlen wertvolle Erfahrung, die andere als Teenager oder junge Erwachsene machen. Je später man anfängt, desto mehr fehlt einem diese Reife.“ Heute sagt sie, ein Internet-Forum sei nicht der richtige Ort, um herauszufinden, warum man Single ist: „Es ist sicherlich nicht, weil man hässlich ist – aber viele versteifen sich auf ihr Aussehen, das ist nicht hilfreich.“ Hilfreicher sei stattdessen, seine sozialen Fähigkeiten zu durchleuchten.
„Ich finde es ganz furchtbar, wie die Incel-Community sich von gegenseitiger Hilfeleistung zu einem Ort verwandelt hat, in dem der gegenseitige Hass geschürt wird. Es gibt so viele einsame Menschen, die gerne mit anderen Kontakte knüpfen würden. Ich wünschte, sie würden eine glücklichere Community finden.“ Ob Alana sich einmal durchgelesen hat, was in den Incel-Foren heute so geschrieben wird? „Nur ganz kurz, ich muss meine geistige Gesundheit schützen“, erzählt sie, „aber sie sind so voller Hass und wollen Frauen klein machen. Da musste ich sogar fast ein wenig lachen – es ist dieser Wettbewerb: Wer hasst Frauen mehr? Aber das ist wirklich kein hilfreicher Ansatz, wenn man als Mann mal mit einer Frau ausgehen möchte.“