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Natürlich fing alles ganz harmlos an. Auch das Schicksal leidet an einer kleinen Profilneurose und wiegt sein Opfer zunächst in Sicherheit, um dann mit aller Kraft zuzuschlagen. Die Leute sagen später gern „aus heiterem Himmel“ und reißen die Augen auf. Wie heiter genau der Himmel an jenem Tag war, weiß ich nicht mehr. Ich nehme an, die Sonne schien, die Vöglein zwitscherten, und alle Wolken hatten sich irgendwo anders zusammengeballt. Dass es aber immer kälter wurde, ließ sich nicht leugnen. Meine Freunde und ich hatten das alljährlich stattfindende „Wer zuerst die Heizung anschaltet, verliert“-Spiel lange genug ausgereizt. Zwei waren nicht mehr zu erreichen, ein dritter hatte sich in den Süden abgesetzt, wir anderen zierten uns noch. Eines Abends jedoch, als wir ausnahmslos bemützt in meiner Küche saßen, und den Eisblumen zuschauten, wie sie am Fensterglas nach oben krochen, gaben wir auf. Ich hätte längst das Handtuch geworfen, wenn meine Heizung funktioniert hätte. Die aber zeigte an, dass es ihr nicht anders ging als mir – richtig arbeiten konnte sie nur, wenn der nötige Druck vorhanden war. Ein Freund versprach, mir am nächsten Vormittag zu helfen.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Samstagmorgen. Mein Kopf war noch angenehm vernebelt vom Freitagfeierabend, Kaffee brodelte in der Espressokanne, alles war gut. Die Türklingel. Tony stand da und lächelte, bereit, loszulegen. Er hatte einen Schlauch über der Schulter hängen und fest vor, das Wasser in meiner Therme aufzufüllen, das über die Monate verdampft war wie die Tage des Sommers. Das Schicksal schnurrte trügerisch gemütlich im Hintergrund. Fünfzehn Minuten später. Tony schrie. Ich schrie. Wir brüllten uns an. Aus einem Ventil an der Therme schoss das Wasser heraus, direkt über dem Kühlschrank. Also wirklich: schoss! Mit viel Wucht und in rauer Menge – offensichtlich hatten wir die Hauptwasserzufuhr angezapft. Es war unmöglich, die Verschlusskappe wieder drauf zu schrauben. Tony hielt einen Eimer darunter, der sich in Sekundenschnelle füllte. Ich schnappte mir meinen größten Topf. Im Wechsel liefen die – angesichts der Wassermassen lächerlich kleinen – Gefäße voll. Ich rannte zur Badewanne, kippte eines aus, da war das andere schon wieder am Überschwappen. Der Fußboden wurde immer glitschiger, Pfützen bildeten sich. Ein Teufelskreis! Keiner von uns konnte weg, um Hilfe zu holen, doch wenn wir so weitermachten, würde in Kürze das ganze Haus unter Wasser stehen. Ich hatte nie eine konkrete Vorstellung von der Hölle. Plötzlich jedoch befand ich mich mittendrin: Das Wasser schoss weiter aus der Therme, meine Füße wurden taub, wir brüllten, ich kippte ein Gefäß nach dem anderen in die Wanne, der Wasserpegel auf dem Boden stieg unaufhaltsam und ich hatte keine Haftpflichtversicherung. Ich denke nicht oft über Geld nach. Eigentlich nur, wenn es weg ist. Oder die Steuererklärung dran ist. Bis zu diesem Moment dachte ich, ich käme ganz gut zurecht. Und dann stand ich dumm da, beziehungsweise rannte dumm herum, mit viel zu kleinen Eimern und wusste: Wenn jetzt nichts passiert, zahle ich den Rest meines Lebens Schulden ab. Das Schicksal grinste hämisch. Beim Rennen fiel mir etwas ein: Tags zuvor hatte ich, auf der Suche nach dem Zulauf für die Heizung, hinter einer Sperrholzverkleidung im Bad einen Hahn entdeckt. Ich musste mich entscheiden. Wenn ich versuchen würde, den Hahn zuzudrehen, würde der nächste Eimer Wasser komplett in die Wohnung laufen. Und falls dieser Hahn dann nicht der Hauptwasserhahn war, hätte ich die Katastrophe nur beschleunigt. Bei meiner nächsten Runde schmiss ich den vollen Putzeimer in die Wanne, riss die Holzverkleidung ab und drehte am Hahn herum. Nichts passierte. Ich hörte Tony schreien, griff den Eimer, rannte zurück, brüllte Tony an, hielt den Eimer unter die Fontäne, Tony rannte ins Bad, mein Herz klopfte, endlose Sekunden verstrichen, das Wasser versiegte und plötzlich war es sehr still. Zehn Minuten später. Tony und ich lagen erschöpft auf dem Rücken in der Küche in einer Wasserlache, die erfreulich ungefährlich war, und schnauften. Als ich wieder Luft bekam, stand ich auf, ging ich ins Internet und schloss ohne zu zögern eine Haftpflicht- und eine Hausratversicherung ab. Und fühlte mich plötzlich leicht und beschützt. Anlass genug, ein bisschen über Geld nachzudenken. Kam ich finanziell wirklich gut zurecht? Oder war der Schein trügerisch? Wohnen, Essen, Bücher – wofür gab ich mein Geld aus? Hatte ich die richtigen Prioritäten? All diese Posten werde ich in den nächsten Wochen genauer betrachten. Für heute soll ein Merksatz genügen: Hähne werden immer im Uhrzeigersinn zugedreht! Wenn man Geld hat, macht es etwas mit einem – und wenn man keines hat, auch. Von nächster Woche an schreibt Anne Köhler jede Woche donnerstags online auf jetzt.de über sich und das Geld.

Text: anne-koehler - Illustration: Katharina Bitzl

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