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„Morgen schlafe ich mit einem anderen, okay?“

Illustration: Julia Schubert

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Eine Beziehung zwischen zwei Menschen ist oft schon schwierig. Wie soll es dann erst funktionieren, wenn drei oder mehr Menschen involviert sind? Unsere Autorin und ihr Mann führen seit fünf Jahren eine offene Beziehung. Was das im Alltag bedeutet, welche Probleme sie dabei zu lösen hatten und wie sich ihr Leben seitdem verändert hat, beschreibt sie in dieser Kolumne.

Ich wollte. Ich wollte so sehr! Schon das Händchenhalten mit diesem Typ war nahezu orgiastisch, von den Küssen will ich gar nicht reden. Wie würde es erst sein, wenn er sein Dings, naja, ihr wisst schon… Aber nein, sein Dings blieb schön in seiner Hose und meins blieb in meiner. Denn die allererste Abmachung, die mein Mann und ich getroffen hatten, nachdem wir beschlossen hatten, unsere Beziehung zu öffnen, lautete: Knutschen ist okay, Geschlechtsteile sind tabu.

„Etikettenschwindel“, werdet ihr jetzt vielleicht denken, „schließlich heißt offene Beziehung ja wohl Sex mit anderen!“ Damit könntet ihr Recht haben. Oder auch wieder nicht. Denn tatsächlich spielt sich jede offene Beziehung innerhalb von bestimmten Grenzen ab — und die sind von Paar zu Paar verschieden definiert. Bei dem einen geht maximal Oralsex, und dann auch nur, wenn beide Partner dabei sind; bei dem anderen ist alles erlaubt bis auf anal; und wieder ein anderer lebt sogar mit mehreren Geliebten in einem Haushalt.

Erst war es einfach nur ihn treffen, dann war es Knutschen und irgendwann die volle Packung

Eine offene Beziehung bedeutet nicht zwangsläufig, alles vögeln zu können, was einem vor die Flinte kommt. Nicht, weil man es nicht gern täte, sondern weil man freundlicherweise aufeinander Rücksicht nimmt. Anderenfalls kann man seiner Beziehung gleich einen Kopfschuss geben, anstatt sie langsam und unglücklich verenden zu lassen. In den allermeisten Fällen sind nämlich die Bedürfnislagen und Grenzen bei beiden Partnern unterschiedlich stark ausgeprägt: Der eine will vielleicht gleich volle Pulle loslegen, der andere braucht noch Sicherheit. Dem einen machen die Eskapaden des anderen nicht viel aus, der andere dreht am Rad. Und an dieser Stelle muss der berühmte kleinste gemeinsame Nenner her.

Bei uns befand der sich anfangs auf nahezu jungfräulichem Niveau: Für uns beide war die Vorstellung schwer auszuhalten, dass der andere Sex mit jemand anderen haben würde. Mein Mann aber war da etwas weniger besitzergreifend als ich, schließlich war der Schlawiner erst vor Kurzem fremdgegangen. Trotzdem tasteten wir uns in Zeitlupe vor, als ich mich in den besagten Händchenhalter verknallte. Schließlich wollten wir nicht noch mal den gleichen Fehler machen und einen Part von uns übergehen. Also wurde vor jedem Date ausgehandelt, wie weit ich gehen konnte: Erst war es einfach nur ihn treffen, dann war es Knutschen und irgendwann die volle Packung.

Klar, das erforderte ständige Kommunikation, und natürlich wäre ich gerne schon viel eher in dem fremden Bett gelandet. Doch Regeln sind eben dazu da, Sicherheit zu geben und sich gegenseitig mit der Gewissheit vollzupumpen: Du kannst mir vertrauen. Denn je mehr man davon hat, desto weiter werden die eigenen Grenzen und desto weniger Abmachungen bedarf es.

Wenn ich all die Regeln aufzählen müsste, die wir in den vergangenen fünf Jahren ausgehandelt und dann wieder verworfen haben, dann wäre ich vermutlich übermorgen noch nicht fertig. Ein paar von ihnen sind vielleicht aber trotzdem erwähnenswert.

Die Fünf-Dates-Regel, zum Beispiel. Das war der größte Schwachsinn, den wir uns jemals ausgedacht haben — schließlich lassen sich Menschen und die Begegnungen mit ihnen nicht auf Zahlen runterbrechen. Diese Regel entsprang einer Zeit, in der ich von ständigen Verlustängsten malträtiert wurde und ein großes Sicherheitsbedürfnis hatte, also dachten wir: Wenn wir unsere Dates nur jeweils maximal fünf Mal träfen, dann liefen wir nicht der Gefahr, dass eine Parallelbeziehung entstehen würde. Natürlich war ich dann diejenige, die das Ganze über den Haufen warf, weil es da einen Kerl gab, den ich unbedingt auch noch ein sechstes Mal treffen musste.

Die einzige Grenze, die wir uns als Paar noch bewahrt haben, ist unser Bett.

Oder die Nicht-in-unserem-Bekanntenkreis-Regel. Die hatten wir aufgestellt, nachdem wir in unserem Alltag ständig irgendwelchen aktuellen und verflossenen Flammen des anderen begegnet waren. Zu anstrengend, befanden wir, und verbannten alle Versuche auf Außerhalb. Nur, dass sich das nicht wirklich umsetzen ließ. Denn wen man heiß findet, sucht man sich kaum danach aus, ob der außerhalb eines zwei-Kilometer-Bannkreises wohnt oder zufällig der beste Freund der Nachbarin ist.

Andere (viel wichtigere) Regeln wurden mit der Zeit einfach obsolet: Irgendwann war das Übernachten bei jemand anderem kein Problem mehr für uns. Oder Sex bei uns zu Hause zu haben. Mit einem Lover in den Urlaub zu fahren. Mit jemand anderes eine verbindliche Beziehung einzugehen. Die einzige Grenze, die wir uns als Paar noch bewahrt haben, ist unser Bett. Das ist unseres, da schlafen nur wir miteinander.

Ich bin mir sicher: Die Freiheit, mit der wir heute unsere Liebe leben, haben wir der Tatsache zu verdanken, dass wir uns damals eben nicht bei jeder sich bietenden Gelegenheit die Hose vom Leib gerissen haben. Sondern ganz genau auf unsere Grenzen achteten. So lange, bis sie kein bisschen mehr nötig waren.

Wie legt man Regeln für eine offene Beziehung fest? Ein paar Anregungen:

Okay, Butter bei die Fische. Wie findet man denn nun die Regeln, die zu der eigenen Beziehung passen?

  • Keine Angst vor Freiheitsberaubung! Am Anfang werdet ihr mehr Regeln brauchen, aber sie werden mit der Zeit immer weniger werden. Also locker bleiben.
  • Sucht immer den kleinsten gemeinsamen Nenner. Mutet euch ruhig etwas zu (dafür macht ihr die ganze Sache ja), aber die Anstrengung muss sich in einem vertretbaren Rahmen bewegen. Wenn einer von euch Schlafstörungen entwickelt, läuft etwas schief.
  • Rücksicht auf einander hat oberste Priorität. Wenn einer von euch mehr Sicherheit braucht, sorgt dafür, dass er sie bekommt.
  • Bleibt flexibel. Das, was sich heute richtig anfühlt, kann euch morgen schon wie der Fehler eures Lebens vorkommen. Also traut euch, eure Entscheidungen zu hinterfragen und zu revidieren.
  • Redet. Hab ich schon in der letzten Folge geschrieben, ihr kleinen Schlaufüchse, ich weiß. Kann man aber gar nicht oft genug sagen. Darum hier noch mal: Redet! Nur so werdet ihr glücklich.
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