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Junge Franzosen nach der ersten Wahl
"Ich habe große Angst, dass viele, die links gewählt haben, jetzt eben gar nicht mehr an die Urnen gehen"
Suzon, 22, aus Grenoble, Studentin, hat Jean-Luc Mélenchon (La France insoumise) gewählt.
„Der zweite Wahlgang wird für mich jetzt schwierig. Ich glaube, ich werde wählen gehen, weil ich Angst vor Marine Le Pen habe. Aber Macron zu wählen, das tut weh. Für mich hat er gar kein richtiges Programm – da ist nichts, nur Wind, wie man so schön sagt. Viele meiner Freunde und meine Familie haben Mélenchon oder Hamon gewählt und sind jetzt sehr enttäuscht, genau wie ich.
Ich habe große Angst, dass viele, die links gewählt haben, jetzt eben gar nicht mehr an die Urnen gehen. So wie meine Schwester und meine Mutter zum Beispiel. Dann hätte Le Pen tatsächlich Chancen. Das will ich mir gar nicht vorstellen, das wäre eine Katastrophe.
Ich finde, das System in Frankreich funktioniert nicht mehr, so wie es jetzt ist. Dass der Front National so stark ist, kann ich nicht verstehen. Klar, die Leute haben Angst und wählen immer extremer. Ich finde aber auch komisch, dass Macron, der wie gesagt kein richtiges Programm hat, so viele Stimmen bekommen hat.
Ich fand diese Wahl sehr außergewöhnlich, vor allem was die Rolle der Medien angeht. Sie haben die Wahl meiner Meinung nach sehr beeinflusst. Man muss einfach aufpassen, wie man extreme Kandidaten darstellt. Das könnte Deutschland daraus lernen.“
"Nun werden auch die Medien immer mehr für Macron schreiben"
Adrien, 26, aus Aups, arbeitet in einem Supermarkt, hat Marine Le Pen (Front National) gewählt.
„Meine Hoffnung ist, dass Marine Le Pen Präsidentin wird, aber ich weiß, dass es so weit nicht kommen wird. Einerseits bin ich zwar zufrieden, weil Marine es in die zweite Runde geschafft hat. Auf der anderen Seite enttäuscht, da ich dachte, sie würde Erste werden. Die einzige Hoffnung, die wir hatten, war, dass Marine 51 Prozent der Stimmen im ersten Wahlgang bekommt. Das war unsere einzige Chance. Doch jetzt ist klar, wo das alles hinläuft. Alle wichtigen ausgeschiedenen Kandidaten haben bereits zur Wahl für Emmanuel Macron aufgerufen.
Nun werden auch die Medien immer mehr für Macron schreiben. Heute wissen wir sicher, wer deshalb der neue Präsident werden wird.
Welche Schlüsse aus dieser ersten Runde gezogen werden können? Die Franzosen haben die Schnauze voll, sonst wären nicht beide Kandidaten der etablierten Parteien, der Sozialisten und der Republikaner, rausgeflogen. Die Franzosen wollen also eine Veränderung. Doch diese soll nicht zu krass ausfallen. Der Kandidat, den sie stattdessen wählen, ist der Zögling von François Hollande. Es ist jemand, der für dieses System steht. Er will nichts anders machen.“
„Von Demokratie erwarte ich gar nichts mehr“
Julien, 28, Architekt aus Paris, ist nicht zur Wahl gegangen.
"Ich habe dieses Jahr nicht gewählt, weil ich kein Parteiprogramm für glaubwürdig halte. Das sind alles Populisten, die vom Unwissen und der mangelnden Analyse ihrer Wähler profitieren. Es hat zum Beispiel kein Kandidat erklärt, wie er die neuen Ausgaben finanzieren will. Es ist einfach, Weihnachtsmann zu spielen. Jede Firma, jeder Privathaushalt muss vor Entscheidungen Ausgaben und Einnahmen kalkulieren – nur unsere Politiker nicht. Das ist doch unglaublich!
Jetzt haben wir die Wahl zwischen dem schlimmen und weniger schlimmen Kandidaten. Ich hoffe, dass Macron gewinnt. Sein Programm ist zwar nicht innovativ, aber zumindest das realistischste. Was mir gefällt, ist seine internationale Offenheit, sein Gerechtigkeitssinn, auch in Bezug auf Arbeitnehmerrecht. Und wir hätten wenigstens mal einen Präsidenten, der Englisch spricht.
Ich habe Angst, dass sich am Ende nicht genug Wähler gegen Le Pen stellen und wir in Frankreich bald eine Katastrophe von historischem Ausmaß erleben. Es wurde klar, wie viele FN-Wähler sich mittlerweile offen zu ihrer Partei bekennen und sich dafür nicht mehr schämen. Von Demokratie erwarte ich gar nichts mehr. Das Volk ist wie eine Schafsherde, nett aber unfähig, sich eine richtige Strategie auszudenken. Die Franzosen haben vom Faschismus anscheinend nichts gelernt, die Deutschen hoffentlich schon."
„Ich glaube, dass alle westlichen Demokratien gerade Veränderung brauchen, auch Deutschland“
Benjamin, 25, Wirtschaftsstudent aus Paris, hat Emmanuel Macron (En Marche!) gewählt.
"Ich habe Macron gewählt. Was sein Image angeht, ist er für Menschen wie mich quasi gemacht: Er ist jung, dynamisch, liberal, progressiv. Außerdem erschien er genau zum richtigen Zeitpunkt auf der politischen Bildfläche, als sich die beiden Hauptparteien einerseits mit Fillon mehr nach rechts und andererseits mit Hamon mehr nach links bewegt haben. Ich kenne viele gebildete junge Menschen, die sich En Marche! angeschlossen haben und ich habe das Gefühl, dass wir tatsächlich Einfluss auf seine Politik nehmen könnten. Ich habe ihn trotzdem nicht mit viel Enthusiasmus gewählt. Macron ist „der Neue“ und steht für Veränderung. Tatsächlich ist er aber bereits sei zwei Mandaten Teil der französischen Regierung, zuletzt als Minister unter Hollande. Sein Programm ist ziemlich vage. Die Frage ist, was er wirklich bewegen wird.
Ich bin natürlich erleichtert, dass Le Pen nicht führt und die Umfragen richtig waren. Allgemein ist es aber ziemlich schockierend, dass unsere zwei großen Parteien nicht dabei sind. Das zeigt, wie sehr sich die Menschen Veränderung wünschen. Wenn Macron gewinnt, geht der wahre Kampf los: Wenn er nicht überzeugt, gewinnt Le Pen beim nächsten Mal. Was die Hauptwahl angeht, bin ich nervös – ähnlich wie meine Freunde, von denen einige Hamon oder Mélenchon, die meisten aber Macron gewählt haben. Wir haben Angst, dass er in den nächsten zwei Wochen irgendeinen Fehler macht und Le Pen doch an die Macht kommt. Vor der Wahl stand in allen Gruppenchats: „Vergesst nicht, zu wählen!“. Wir wissen, dass diese Wahl für Frankreich extrem wichtig ist und die Welt zuschaut. Ich glaube, dass alle westlichen Demokratien gerade Veränderung brauchen, auch Deutschland. Wir müssen soziale Gerechtigkeit und Umweltschutz ins Zentrum stellen und eine neue Basis für Europa schaffen, sonst wird Europa in fünf bis zehn Jahren nicht mehr existieren."
"Ich bin zwar eher rechts eingestellt, aber ich werde auf keinen Fall Le Pen wählen!"
Maëlle, 21, aus Paris, Studentin, hat François Fillon (Les Républicains) gewählt.
„Ich war immer schon eher rechts eingestellt. Deshalb habe ich Fillon gewählt. Ich finde einfach, er hat Charisma und Erfahrung – er war ja auch schon Premierminister unter Sarkozy. Sein Programm hat mich am meisten überzeugt. Jetzt bin ich natürlich enttäuscht.
Im zweiten Wahlgang werde ich aber auch auf jeden Fall Macron wählen – ohne zu zögern. Ich will auf gar keinen Fall Marine Le Pen und ihre extreme Partei wählen. Ich glaube auch nicht, dass sie die Wahl gewinnen wird. Von den Leuten, die Fillon gewählt haben, wird jetzt vielleicht ein ganz kleiner Teil Le Pen wählen, aber ich glaube die Mehrheit der Fillon-Wähler ist für Macron.
Ich fand, die Kampagnen und auch die Medien waren bei dieser Wahl sehr auf das Oberflächliche fokussiert – viel mehr auf die Persönlichkeiten als auf die Programme der Kandidaten. Und ich glaube, dass deshalb viele auch eher Personen als wirklich das Programm dahinter gewählt haben.“
"Seit Donald Trump wissen wir doch eigentlich gar nichts mehr sicher"
Manon, 23, aus Lyon, Studentin, hat Benoît Hamon (Parti Socialiste) gewählt.
„Ich bin generell eher linksorientiert und konnte mich deshalb sehr lange nicht zwischen Macron, Mélenchon und Hamon entscheiden. Ich fand Macron und sein Pro-Europa-Programm gut, aber irgendwie hatte ich nicht so viel Vertrauen in ihn. Ich wusste nicht viel über ihn. Und Mélenchon war mir dann doch zu extrem. Seine Position gegenüber Europa unterstütze ich nicht. Und ich wollte neben Marine Le Pen nicht noch einen Extremen in der zweiten Runde haben. Für mich war Hamon dann einfach der beste Kompromiss, aber es bleibt eben ein Kompromiss.
Ich finde das Ergebnis daher sehr deprimierend. Vor allem, wenn man sieht, dass Marine Le Pen fast 22 Prozent hat. Meine Freundin hat mir gleich geschrieben: „Ca craint.“ („Das ist mies!“) Es hätte ja sogar sein können, dass sie an erster Stelle ist – das hatte ich auch tatsächlich befürchtet. Ich finde es krass, dass es so weit überhaupt kommen konnte. Aber überrascht bin ich ehrlich gesagt nicht. Es war nur das erste Mal, dass ich bei einer Wahl so angespannt war und alles genau verfolge. Aber es ist eben so wichtig dieses Jahr.
Im Moment habe ich aber keine Angst vor dem zweiten Wahlgang. Ich denke, Macron wird es. Ich werde auch Macron wählen. Aber so ein bisschen Zweifel bleiben. Seit Donald Trump wissen wir doch eigentlich gar nichts mehr sicher.
Deutschland kann aus der Wahl bei uns lernen, dass alles passieren kann. Man kann einfach nicht mehr davon ausgehen, dass immer die Gleichen an der Macht bleiben. Sondern man muss sich aktiv dafür einsetzen und dafür kämpfen.“