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"Für 90 km/h im zweiten Gang gibt's keine Punkte"

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Opa, wie steht es um dich und das Internet?
Opa: Ganz gut! Ich habe deine Mail mit unseren Themen für den Mai gelesen und der Drucker hat sie direkt ausgedruckt. Da habe ich mir erstmal selbst auf die Schulter geklopft. Nur mit Facebook und Twitter ist es immer noch das Gleiche: Ständig melden die sich per E-Mail bei mir und begrüßen mich, sagen, ich solle mal wieder vorbeischauen. Zum Glück erlahmt ihre Euphorie immer ein wenig, je länger ich nicht darauf reagiere.  

Der Mai fing ja direkt mit einer für dich als Autofahrer wichtigen Änderung an: Das Punktesystem in Flensburg wurde strenger, allerdings sollen nur noch Fehler aufgenommen werden, die die Verkehrssicherheit gefährden. Hast du Punkte in Flensburg?
Opa: Nein!
Oma: Doch, wir hatten mal welche!
Opa: Aber die sind jetzt ja schon weg. Da sind wir zehn Meter zu früh von der Autobahn abgefahren und die Polizei hat gesagt, wir wollten rechts überholen.  

Und das ist alles?
Oma: An die anderen kann ich mich nicht mehr erinnern.
Opa: Glückliche Vergesslichkeit!
Oma: ICH hatte nie Punkte, obwohl ich 34 Jahre Auto gefahren bin.
Opa: Für's 90 fahren im zweiten Gang gibt es ja auch keine Punkte.
Oma: Da gibt es nur Geschrei vom Beifahrersitz. Jaja. Du Schuft!  

Habt ihr die Diskussion um die „Frau mit Bart“ mitbekommen?
Opa: Ja, selbstverständlich. Ich habe mir ihr Bild sogar zwei- oder dreimal angesehen! Mich hat das aber nicht aufgeregt.  

Insbesondere Russland war über diesen Auftritt ja entsetzt.
Opa: Da muss man natürlich diskutieren: Wie weit geht die Meinungsfreiheit, auch wenn sie nicht mit unseren Vorstellungen übereinstimmt. Man muss den Kritikern dann zubilligen, dass sie das anders sehen. Aber Russland schreit da natürlich besonders laut, weil die so kritisch mit der Homoehe sind. Aber dieses Thema ist ja auch bei uns noch in der Entwicklung. Wir werden dazu übergehen müssen und sollen anzuerkennen, dass die Menschen Menschen sind und erst in zweiter Linie Männer oder Frauen.  

Natürlich auch ein großes Thema im Mai: die Ukraine. Mittlerweile haben sie ja Poroschenko zum Präsidenten gewählt...
Opa: Die Situation dort scheint Putin ja ein wenig aus dem Ruder zu laufen. Diese ständigen Unehrlichkeiten, ob die Soldaten dort zu Russland gehören oder doch nicht – vielleicht ist das eine Strategie von ihm, die der Vergrößerung seines Einflusses dient. Aber ich finde es riskant, das hinzunehmen. Ich verstehe, dass wir keine Eskalation wollen, aber trotzdem muss man ihm Grenzen setzen. Und ich finde es erstaunlich, dass sich trotz der Umstände so viele an der Wahl in der Ukraine beteiligt haben.  

Diese Woche jährten sich ja auch die Enthüllungen von Edward Snowden über die NSA. Wegen der Abhörung des Kanzler-Handys soll jetzt wohl doch ermittelt werden.
Opa: Geheimdienst und Datenschutz verträgt sich nicht besonders gut. Tatsächlich sind Geheimdienste wohl notwendig, aber man sollte sie insgesamt kleiner hängen. Für die Opposition ist das natürlich ein Geschenk, die können mit der Debatte in der Öffentlichkeit Punkte sammeln. Und da denkt man auch erstmal „Oh mein Gott“,  wenn man hört, dass wegen Merkels Handy ermittelt werden soll, aber wegen der vielen abgehörten Bundesbürger nicht. Vielleicht fehlt es aber auch an den Voraussetzungen, das genauer zu überprüfen?  

Man hat aber auch den Eindruck, dass niemand konkrete Angaben zu den genauen Abhörpraktiken in Deutschland einholen möchte.
Opa: Naja, wer weiß denn noch, wann er mal im Telefon ein Knacken gehört hat? Und es haben ja anscheinend alle Politiker gewusst. Aber niemand hat es richtig zur Kenntnis genommen. Ich finde, die Regierungschefs sollten sich zusammensetzen und untereinander aushandeln, was erlaubt ist und was nicht. Aber das gesamte Verfahren der Überwachung wird man wegen der Sicherheitsbedenken nicht aufgeben.  

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Opa wird die WM schon gucken. Er hofft allerdings, dass Deutschland verliert.

Gibt es denn mehr Bewusstsein für die Überwachung?
Opa: Ja, ich denke schon. Wir waren ja alle sehr großzügig im Bekanntgeben von eigenen Daten, zum Beispiel beim Bestellen von Waren. Durch die Medien ist auch mein Bewusstsein dafür größer geworden. Und ich war auch wirklich erstaunt darüber, dass die Computer so etwas leisten können. Es ist sicher gut, darüber nachzudenken, was man da angibt. Sonst hat der Geheimdienst ja auch zu viel zu tun und ist vielleicht überfordert? (lacht)  

Nächstes Stichwort: Europawahl!
Opa: Das war für uns aufwendig! Wir sind morgens zum Wahllokal gefahren und das war gar nicht als solches gekennzeichnet. Wir haben dann zwei Polizisten gefragt, die wussten auch nicht, wo das Wahllokal ist. Dann haben wir noch den Platzwart vom Sportplatz daneben gefragt. Der wusste es auch nicht. Wir haben uns aber nicht abschrecken lassen und es irgendwann gefunden. Erst nachdem wir gewählt hatten, ich hatte der Oma die Hand geführt weil sie ja nur noch wenig sieht, haben wir uns beschwert. Anscheinend wird die Wahl nicht wichtig genug genommen, das ist schade. Denn die EU ist doch so wichtig, damit es keine Kriege gibt.  

Wie beurteilt ihr, dass so viele rechtspopulistische Parteien bei der Wahl abkassiert haben?
Opa: Erst gibt es immer eine große Aufregung und dann fällt alles in sich zusammen. Ich hoffe, dass das bei der AfD wie bei den meisten Protestparteien auch so kommt. So schrecklich überzeugend können die ja aber auch nicht reden, ihre Ideen sind teilweise sehr kurz gedacht, deshalb mache ich mir da nicht so Sorgen. Die Annemarie ist da besorgter.  

Noch ein kleiner Ausblick: Bald beginnt die Fußballweltmeisterschaft.
Opa: Ach, soll sie beginnen. Man sollte die Frage ernster nehmen, ob der Aufwand für so ein relativ armes Land nicht zu hoch ist. Ich würde mir wünschen, dass es nicht zu Eskalationen kommt, weil die Leute natürlich auf ihre Probleme aufmerksam machen wollen.
Oma: Ich fürchte, das wird sich nicht vermeiden lassen.  

Guckt ihr euch die Spiele denn an? Teilweise beginnen sie ja erst sehr spät.
Oma: Nur, wenn’s uns auskommt. Oder wir gucken die Wiederholungen.
Opa: Ich kann das mittlerweile ganz gut verfolgen, unter Umständen erkenne ich manchmal auch ein Abseits. Das ist doch schon mal was? Ich hoffe, dass die Brasilianer möglichst weit kommen. Für die internationalen Verflechtungen wäre es vielleicht auch gut, wenn die Deutschen mal weniger von Erfolg gekrönt sind. Das wird sonst so selbstverständlich, auch wenn sie nie gewinnen.  

Mit der WM werden auch wieder mehr Deutschlandfahnen zu sehen sein. Wie fühlt ihr euch damit?
Opa: Ich hatte nie so Fahnen am Auto, auf den Gedanken käme ich gar nicht. In unserer Generation ist das gestorben, das will man nicht wieder. Aber wenn andere das wollen, ist das in Ordnung.             


Text: charlotte-haunhorst - Illustration: Katharina Bitzl

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