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Nach Silvester in Köln: Interview mit einer Syrerin
Eine Interviewserie zum Thema Integration – und dem Frauenbild von Flüchtlingen. Und von uns. Wie sie entstanden ist und das erste Gespräch mit Adnan, 23, aus Syrien, kannst du hier nachlesen.
Folge 2: ein Gespräch mit Lamar, 25, aus Damaskus
Lamar, 25, aus Damaskus, ist seit fünf Monaten in Deutschland. Sie ist eine Freundin von Adnan, die beiden haben sich im Deutschkurs kennengelernt. In Syrien hat Lamar Jura und Inneneinrichtung studiert. Sie ist gemeinsam mit ihrer Cousine nach Deutschland geflohen. Ihr älterer Bruder und ihre Mutter leben auch hier.
jetzt: Lamar, wie bist du aufgewachsen?
Lamar: Ganz normal. Bis der Krieg angefangen hat, hatten wir das gleiche Leben, das ihr hier führt.
Ist die Flucht als Mann oder als Frau leichter?
Auf der Flucht macht es keinen Unterschied, ob du ein Mann oder eine Frau bist. Ich bin über das Meer geflohen, und da sind wir Menschen, da haben alle Angst, Männer und Frauen.
Und das Ankommen?
Ich denke, das ist für Männer leichter.
Warum?
Weil es für uns Mädchen zu Hause mehr Regeln gab als für die Mädchen hier.
Welche Regeln?
Die meisten Mädchen hier können so lange ausgehen wie sie wollen. In Syrien können sie das oft nicht, weil die Familie es ihnen verbietet. Nicht, weil es gefährlich wäre, sondern weil über ein Mädchen schnell schlecht geredet wird, wenn es mitten in der Nacht heimkommt. Es geht um ihren Ruf.
Aber dann müsste es für dich hier doch eigentlich einfacher sein, oder? Wenn es diese Regeln nicht gibt?
Für mich gelten sie ja noch. Wenn mich jemand zu einer Party einlädt, dann muss ich erstmal meine Mutter fragen, ob ich gehen darf. Das ist ein Problem – weil viele es hier komisch finden, wenn ich sage: „Ich kann nicht bis zwei Uhr wegbleiben, weil meine Familie es nicht will.“ Oder angenommen, ich finde einen Job und er geht bis ein Uhr nachts. Dann kann ich ihn nicht machen.
Wie ist es im Kontakt mit Jungs und Männern? Was ist da für dich erlaubt und was nicht?
Ich hatte nie ein Problem im Kontakt mit Jungs, das war alles ganz normal, an der Schule, der Uni, beim Ausgehen. Ein Unterschied ist allerdings, dass Mädchen in Deutschland einfach ausziehen und alleine leben können. In Syrien kannst du erst ausziehen, wenn du heiratest und mit deinem Mann zusammenziehst. Aber ich will das nicht, ich will mein eigenes Leben. Und es ist auch schon anders geworden hier, zum Beispiel mit meinem Bruder.
Was hat sich da geändert?
In Syrien hat mein Bruder immer auf mich aufgepasst. Er musste das sogar, weil das Teil unserer Tradition ist. Hier macht er das nicht mehr. Und wenn ich ihn um Hilfe bitte, sagt er: „Nein, du musst hier lernen, das selbst zu machen.“ Das ist gut für mich – und auch gut für ihn. Wir haben jetzt beide unser eigenes Leben.
Deine Eltern sind geschieden. War das in Syrien ein Problem?
Meine Mutter war damals zwanzig und plötzlich alleine mit zwei Kindern. Das war sehr schwer für sie.
Dann hat sie aber sehr jung geheiratet, oder?
Ja, mit fünfzehn. Sie wollte nicht, aber meine Großmutter hat das bestimmt. Zum Glück ist das heute meistens nicht mehr so.
Kann man sich in Syrien einfach scheiden lassen?
Eine Scheidung ist keine große Sache. Allerdings hat die Frau kaum eine Chance, danach noch mal zu heiraten. Sie gilt eigentlich immer als Schuldige, egal, was vorgefallen ist.
Die Männer dominieren also die Ehe?
Ja, es ist schon so, dass eine Frau ohne die Zustimmung ihres Manns zum Beispiel nicht arbeiten kann. Das muss nicht schriftlich sein, aber sie muss ihn fragen und er muss ja sagen. Auch um überhaupt zu heiraten, muss sie einen Mann fragen, den Vater oder den Bruder. Syrische Frauen haben auch ein Problem, wenn sie nicht mehr Jungfrau sind, wenn sie heiraten. Das gehört sich nicht.
Über arabische Männer wird gerade sehr oft sehr schnell geurteilt. Haben Menschen auch gegenüber dir als arabische Frau Vorurteile?
Ja, klar! Es kamen schon Leute zu mir und haben gefragt, warum ich kein Kopftuch trage.
Was sagst du dann?
Wie es ist. Dass nicht alle Syrerinnen ein Kopftuch tragen. Dass ich genau wie deutsche Frauen Make-up benutze und Alkohol trinke.
Adnan hat in unserem Gespräch gesagt, dass Frauen manche Jobs nicht machen sollten, zum Beispiel einen Zug fahren. Findest du das gut?
Ja, klar, ich bin eine Frau, ich kann nicht alles machen!
Ich glaube schon, dass du einen Zug fahren könntest.
Klar, wenn ich den Job hätte, dann würde ich das natürlich hinkriegen. Aber ich sollte ihn nicht machen.
Wieso nicht?
Weil es schwere Arbeit ist. Es ist einfach ein Männer-Job.
Adnan hat auch gesagt, dass syrische Frauen Prinzessinnen sind...
(lacht) Nein! Das sind wir nicht! Ich möchte meinen Freund oder meinen Mann gerne auch mal bitten können, dies oder das für mich zu machen. Aber ich brauche doch nicht die ganze Zeit Hilfe von einem Mann.
In Deutschland diskutieren wir oft über sexistische Werbung, zum Beispiel Plakate mit nackten Frauen. Wie findest du so was?
Nackte Frauen in der Werbung gab es in Syrien nicht, auch freizügig angezogene nicht. Aber ich kenne das natürlich, allein durch das Internet, und außerdem bin ich ja selbst eine Frau und weiß, wie nackte Frauen aussehen (lacht). Aber es kann sein, dass manche Männer damit ein Problem haben.
Weil sie das nicht sehen wollen?
Nein, weil sie dann mehr sehen wollen! Aber auch bei uns ist es natürlich nicht erlaubt, einfach zu einer Frau zu gehen und sie anzufassen, egal, wie viel oder wie wenig sie anhat. Das ist überall eine Regel und die kennt jeder.
Du spielst auf Köln an. Haben die Ereignisse dort für dich etwas verändert?
Gerade warten die Menschen darauf, dass Flüchtlinge Fehler machen und sie dann sagen können: „Ihr macht Fehler!“ Und ihnen zum Beispiel verbieten können, ins Schwimmbad zu gehen. Ich finde, dass das überhaupt nicht geht. Wir hatten auch Schwimmbäder in Syrien!
Ja, der Generalverdacht. Da habe ich mit Adnan auch drüber gesprochen.
Ja. Wenn man sagt, dass man Moslem ist, denken viele, dass man ein Monster ist. Aber wir sind weder so böse, wie viele denken, noch sind wir alle so frei, wie die Menschen hier. Wir sind irgendwas dazwischen. Wir sind einfach: normal.
Was müsste passieren, damit die Menschen das verstehen?
Wir müssen unser Bestes geben. Aber die Menschen hier müssen uns auch verstehen und respektieren.