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Getötete Studentin in Freiburg: Interview mit Verein Weitblick
Eigentlich ist die Geschichte der Studenteninitiative „Weitblick“ eine Erfolgsgeschichte: 2008 in Münster von Andreas Pletziger (heute 37) gegründet, setzen sich mittlerweile 2000 Studenten aller Fachrichtungen über den Verein für einen gerechteren Zugang zu Bildung in der Welt ein. Das geschieht über internationale Kulturaustausche und Hilfsprojekte, aber auch in Deutschland, zum Beispiel durch Projekte mit Kindern aus sozial schwächeren Familien und Flüchtlingen.
Einer breiteren Öffentlichkeit bekannt geworden ist Weitblick in den vergangenen Tagen allerdings aus einem anderen, traurigen Grund: Die Eltern der im Oktober 2016 getöteten Freiburger Studentin Maria L. baten in ihrer Todesanzeige um Spenden für Weitblick, die 19-Jährige hatte dort in Freiburg gearbeitet – wenn auch nicht, wie immer wieder berichtet wurde, in der Flüchtlingshilfe.
Als am 2. Dezember bekannt wurde, dass es sich bei dem mutmaßlichen Täter um einen minderjährigen Flüchtling aus Afghanistan handelt, entlud sich im Netz ein bis dahin kaum gekannter Hass gegen Weitblick, der Verein musste seine Facebook-Seite offline nehmen.
In Absprache mit dem Freiburger Vorstand und dem Bundesvorstand hat Weitblick-Gründer Andreas Pletziger sich entschieden, uns ein Interview über die vergangenen Tage und die derzeitige Situation des Vereins zu geben. Da interne Rücksprache mit allen Beteiligten für Weitblick allerdings wichtig ist, fand die Kommunikaton größtenteils schriftlich statt.
jetzt: Welche Rolle spielt es für euch, dass es sich beim Tatverdächtigen im Fall Maria L., die sich bei euch engagiert hat, um einen Flüchtling aus Afghanistan handelt?
Andreas Pletziger: Der Verlust von Maria hat uns alle zutiefst getroffen. Für unsere Trauer spielt die Herkunft des Täters aber keine Rolle, sondern vielmehr die völlig unerwartete und grausame Tat als solche.
Im Netz sehen das viele Menschen anders.
Insbesondere auf den Facebook-Seiten von Weitblick Freiburg und dem bundesweiten Weitblick-Verein gab es zahlreiche Kommentare und Nachrichten mit überwiegend rassistischen und beleidigenden
Aussagen. Der Fall wurde von Einzelpersonen und von Parteien für eine Hetze gegen Flüchtlinge und Aktive in der Flüchtlingshilfe instrumentalisiert. Dabei handelt es sich um einen tragischen Einzelfall. Wir sind entsetzt über das Ausmaß der populistischen und rechtsradikalen Kommentare, die uns erreichten. Die persönlichen Angriffe auf den Verein, vor allem aber auf Marias Familie, sind absolut verachtenswert.
Wie geht ihr als Verein damit um?
Im ersten Schritt sind wir auf die einzelnen Kommentare eingegangen, auf unsere Moderationsversuche wurde jedoch weiterhin enthemmt reagiert. Wir haben uns dann dafür entschieden, die Facebook-Seite vorübergehend zu deaktivieren. Wir wollten und wollen rassistischen, tendenziösen und haltlosen Aussagen und Anschuldigungen keine Plattform bieten. Stattdessen haben wir eine Stellungnahme zu der Situation verfasst und sie auf unserer Weitblick-Homepage veröffentlicht. Auch auf Facebook wurde auf diese Stellungnahme verwiesen.
Gab es auch positive Reaktionen?
Ja. Viele haben uns ihre Hilfe angeboten, andere Initiativen haben ihre Solidarität bekundet und alle Weitblick-Vereine sowie der Bundesvorstand sind nochmals enger zusammengerückt. Das alles war für uns sehr wichtig, es bestärkt uns darin, uns weiter ehrenamtlich zu engagieren.
Haben die Helfer nach solchen Vorfällen mehr Angst als vorher, sind sie misstrauischer gegenüber Asylbewerbern?
Wir haben in unserer Vereinsarbeit durch den Vorfall keinen Unterschied gespürt. Und: Wegen eines verdächtigen Täters voreilig Rückschlüsse auf alle Geflüchteten zu ziehen, fänden wir ohnehin inakzeptabel. Wir wollen auch anmerken, dass Maria selbst nicht in Flüchtlingsprojekten, sondern in einem Projekt zur Renovierung einer Schule in Ghana aktiv war.
"Es ist schlimm, wie weit es in unserer Gesellschaft gekommen ist"
Wird sich aufgrund des Vorfalls an eurer Arbeit etwas ändern?
Nein! Wir sind der Meinung, dass der Vorfall nichts mit unserer Arbeit zu tun hat. Wir werden unsere Arbeit auch in Zukunft entschlossen fortführen – denn gerade jetzt ist Bildungsarbeit äußerst wichtig.
Der Fall Maria L. wird mittlerweile häufig als Beispiel für fehlgeleitetes „Gutmenschentum“, für eine naive Sichtweise auf Flüchtlinge, angeführt. Was sagst du zu dieser Behauptung?
Zunächst einmal freuen wir uns, wenn Menschen, die sich engagieren, als „gute Menschen“ wahrgenommen werden. Den Einsatz für andere sehen wir nicht als Naivität, sondern als Zeichen der Menschlichkeit. In erster Linie sind wir ja keine Flüchtlingsinitiative, sondern setzen uns dafür
ein, durch Bildungsprojekte Fluchtursachen nachhaltig zu bekämpfen, und zwar schon seit acht Jahren. Uns ist aber bewusst, dass die hohe Zahl geflüchteter Menschen eine große Herausforderung darstellt. Deshalb haben viele Weitblick-Vereine ihr Engagement auch auf diesen Bereich
ausgeweitet – diesen Menschen nicht zu helfen, ist schließlich keine Alternative. Es ist schlimm, wie weit es in unserer Gesellschaft gekommen ist: dass diese Alternative in Betracht gezogen wird.
Es gibt inzwischen auch eine hitzige Diskussion über den Umgang mit Straftaten von Flüchtlingen.
Wir finden die Art und Weise der öffentlichen Diskussion sowie die Instrumentalisierung der Straftaten von Geflüchteten erschreckend.
Eine Straftat sollte, egal, von wem sie verübt wird, immer klare
rechtliche Konsequenzen haben, die von der Justiz festgelegt werden. Wir brauchen eine sachlichere und faktenbasierte Diskussionskultur,
sowohl im persönlichen Umgang miteinander als auch in den sozialen
Netzwerken.
Wie verwendet ihr die Spenden für euren Verein, um die Marias Eltern in der Traueranzeige gebeten haben?
Der Spendenaufruf der Eltern in der Traueranzeige hat uns in unserer Arbeit bestätigt. Die Gelder werden für die Renovierung einer Grundschule in Ghana eingesetzt, für die sich Maria engagiert hat.