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Fremdenfeindliche Facebook-Fakes boomen

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„Muslimischer Asylant schneidet Ehefrau den Kopf ab“, „Polizei vertuscht Vergewaltigung“ oder „400 Russen metzelten muslimische Migranten nieder “ – solche Fake-Meldungen boomen auf Facebook. Kriminelle Flüchtlinge, lügende Journalisten, korrupte Politiker – fernab jeder Realität hetzen Fremdenfeinde und Verschwörungstheoretiker gegen das verhasste Establishment. Und tun dabei so, als verbreiteten sie unterdrückte Wahrheiten, die in der „Lügenpresse“ keine Rolle spielen dürfen.

Der Wiener Verein Mimikama überprüft solche viralen Posts und versucht, Fälschungen zu entlarven. Dessen Mitarbeiter Andre Wolf, 38, sichtet dort jeden Tag mehrere Meldungen, die sich währenddessen schon tausendfach verbreitet haben. 

jetzt: Herr Wolf, sind Sie echt?

Andre Wolf: Selbstverständlich. Ich bin echt.

Man könnte momentan fast meinen, dass alles gefälscht wird. Haben diese Facebook-Fakes wirklich so rasant zugenommen?

Mit Sicherheit. 2014 hatten wir noch eher vereinzelte Falschmeldungen à la „Flüchtlinge schleppen Ebola nach Europa ein“. Im Laufe des Jahres 2015 gab es erst eine deutliche Zunahme. Dann flachte es im Oktober etwas ab. Seit den Anschlägen von Paris im November und dann den Übergriffen der Silvesternacht boomen aber fremdenfeindliche Fake-Meldungen. Momentan haben wir täglich zwei bis vier neue große Fakes, die uns teilweise mehrfach gemeldet werden und die wir auch überprüfen. Und dazu viele kleinere private Posts, denen wir nicht immer nachgehen können.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert
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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert
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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert
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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Können sie feststellen, ob das gezielt gesteuert ist? Oder zumindest immer aus derselben Ecke kommt?

Es gibt Seiten und Absender, die immer wieder aktiv sind. „Netzplanet“ oder „PI-News“ pushen seit mehr als einem Jahr Meldungen in die Netzwerke, denen nur ein Atömchen Wahrheit innewohnt oder die völlig aus dem Kontext gezerrt werden. Da wird von einer 75-jährigen Schwedin berichtet, die von Migranten vergewaltigt und misshandelt wurde, mit einem schlimmen Bild der Frau. Die aber in Wirklichkeit in Südafrika überfallen wurde, schon vor längerer Zeit. Oder es werden angebliche Leserzuschriften verbreitet, natürlich anonym. Oft steht am Anfang ein Bild, das an sich „echt“ ist, aber völlig irreführend verwendet wird. Aktuell wird das auch merklich befeuert aus Russland. 

Sie sehen also gesteuerte Kampagnen?

Es gibt tatsächlich Inhalte, die nur von russischen Medien kommen. Da sind angeblich 400 Russen zur Selbsthilfe übergegangen und haben Flüchtlingsheime überfallen. Wahr daran ist aber nur ein Steinwurf von drei Russlanddeutschen. Wie 400 Russen mitten in Deutschland randalieren sollen, ohne dass jemand etwas beobachtet hat, ist mir schleierhaft. 

Können Sie die Erfinder dieser Fakes belangen – oder wenigstens konfrontieren?

Nein, die halten sich meist völlig verdeckt. Angeblich, weil sie mit Verfolgung rechnen müssten. Die reagieren aber auch gar nicht auf unsere Aufklärung. Sie machen einfach stakkatoartig weiter. Und erweitern gleichzeitig die Themenfelder. Gerade eben kam eine angebliche Meldung rein, dass eine Kölner Bürgerwehr von der Polizei abgemahnt wurde. So etwas hat dann nur am Rande mit den Flüchtlingen zu tun, ist aber auch sehr beliebt und hat einen gewissen Spin gegen „die da oben“. Und manche Meldungen bestätigen sich natürlich auch.

Wie ist das Verhältnis echt zu falsch?

40 Prozent bestätigen sich, 60 Prozent sind Quatsch oder zumindest grob verzerrt. Die Polizei meldet seit Silvester jedoch auch mehr Vorfälle als vergangenes Jahr, beispielsweise Straftaten in Flüchtlingsheimen. Weil das öffentliche Interesse viel größer ist und man sich nicht angreifbar machen will. 

Wünschen Sie sich mehr juristische Handhabe gegen Lügner?

Nein. Wir zeigen niemanden an. Wir plädieren nur an die Nutzer, genau hinzuschauen, selber einzuordnen. Sich auch mal zu fragen: Was will jemand damit erreichen, wenn er gegen Flüchtlinge hetzt?

Dominiert die Propaganda gegen Flüchtlinge denn?

Die politisch gefärbten Fakes schon. Es gibt da einerseits alte Falschmeldungen, die immer wieder im Umlauf sind. Beispielsweise die Geschichte von den Flüchtlingen, die an der Supermarktkassen einen Zettel hinlegen, auf dem steht: „Merkel zahlt“. Die digitale „Stille Post“ bringt die immer wieder auf. Aber es gibt auch ganz viel Neues, momentan vor allem hinsichtlich von Übergriffen auf Frauen. Auch die vermeintlichen Schwimmbad-Verbote für Migranten sind gerade ein Renner, oder die Armbänder, die Flüchtlinge in England angeblich tragen müssen. 

Welche Rolle spielen Pegida, AfD und FPÖ?

Der ein oder andere Fake ist in der Vergangenheit auf deren fruchtbaren Boden gefallen, wurde jedoch recht schnell nach der Enttarnung kommentarlos gelöscht. Man gibt nur bedingt gerne zu, eine Falschmeldung geteilt zu haben.

Gibt es auch harmlose Fakes?

Es gibt gewisse Urzeit-Fakes. Eher ungefährliche Geschichten wie die von den weißen Bullys, die regelmäßig Kinder entführen – manchmal auch nur Katzen, da ist man sich nicht so einig. Solche Stories tauchen allein schon wegen der Facebook-Algorithmen wieder auf, die regelmäßig „was du vor zwei Jahren gepostet hast“ nach oben holen. Dann findet das erneut sein Publikum. Die armen weißen Bully-Fahrer tun mir schon leid, wenn das im Mai traditionell wieder losgeht und der Bully quer durch Facebook fährt.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Muss Facebook nicht viel offensiver dagegen vorgehen?

Hat Facebook denn ein Interesse, das zu löschen? Es werden ja keine Gesetze gebrochen. 

 

"Die Leute machen sich damit nicht strafbar, sondern nur zum Affen."

 

Ich kann also einfach ein Bild in einen anderen Kontext setzen?

Juristisch gesehen ja. Die Leute machen sich damit nicht strafbar, sondern nur zum Affen. Darauf haben sie ein Grundrecht in einer Demokratie. Grundsätzlich achtet Facebook zwar durchaus auf kritische Inhalte und Bilder, aber unterscheidet nicht zwischen Lüge und Wahrheit. 

 

Und was passiert, wenn Sie Inhalte melden?

Wenn man wirklich etwas Justiziables findet, dann muss man es zweimal melden: Erst kommt eine Rückmeldung, dass es nicht gegen die Community-Richtlinien verstößt. Gibt man noch mal Feedback, warum es dennoch gelöscht werden soll, passiert was. Aber: Die gesamte Diskussion im Herbst und Winter, als Merkel und Maas sich bei Mark Zuckerberg wegen der Online-Hetze beschwerten, hat nichts geändert.

 

Müsste die Politik also mehr Druck aufbauen?

Es gilt eben die Meinungsfreiheit, bis man wirklich Gesetze bricht. Andere Grenzen sind bei Facebook nicht gegeben. Und selbst, wenn Facebook etwas verfolgt, kann es 24 Stunden dauern. Dann hat es längst die Runde gemacht. Danach verbreiten sich Fakes als Screenshots der eigentlichen Meldung weiter.

 

Liegt es an mangelnder Bildung, dass Leute alles glauben? Sogar der Satire-Seite Postillon gehen Menschen regelmäßig auf den Leim. 

Sobald ihre Ängste bedient, ihre Grundeinstellungen bestätigt werden, glauben manche Leute blind. Wer sowieso medien- und staatskritisch ist, fühlt sich bestätigt, dass eine Zensur herrscht. 

 

Können Sie dieses Wettrennen gegen den Unsinn überhaupt gewinnen?

Wer wirklich glaubt, dass die Polizei lügt und die Lügenpresse nicht berichten darf, weil sie vom Staat gelenkt wird – der ist verloren. 

 

Was bringt die Entlarvung dann?

Wo es weniger politisch brisant ist, einiges. Gelesen werden wir jedenfalls, von allen Seiten. Nicht nur hinsichtlich der Thematik Flüchtlinge, die letztlich doch nur ein Viertel unserer Analysen stellen. Sondern auch im Bereich Viren oder Phishing, also eher technische Themen. So verbohrt kann keiner sein, um uns nicht auch manchmal zu glauben. Aber so etwas wie das Internet hatten wir vorher ja nicht. Früher war der Zugang beschränkt. Jetzt kann jeder zu einem kleinen Star werden, wenn er etwas postet. Damit können viele noch nicht umgehen. 

 

Werden Sie oft angegriffen?

Wir versuchen in der Mitte zu stehen, wollen nicht als Flüchtlings-Verteidigungsverein auftreten. Wir wollen nur saubere Quellen. Deswegen berichten wir genau so über die erfundene Messer-Attacke auf einen Politiker der Linken in Mecklenburg-Vorpommern. Die Menschen denken dennoch, wir hätten eine Agenda, einfach weil es von rechts mehr zu tun gibt. 

 

Man könnte ja auch meinen, Sie wären die Lügner. Alles scheint möglich. 

Das ist grundsätzlich richtig. Wir können ja auch nur nach bestimmten Grundsätzen arbeiten, müssen bestimmte Quellen einfach als wahr nehmen. Polizeimeldungen sind für uns unumstößlich, bis sie sich selbst revidieren. Bestimmte Medienvertreter sind für uns glaubwürdig, auch Behörden gelten erst einmal als verlässlich. Alles andere ist Sekundärliteratur. Wir betreiben eigentlich nur Quellenanalyse.

 

Noch einmal: Wieso glauben die Leute dann so gerne unbelegten Quatsch und nicht Ihnen?

Man muss dazu auch wissen, dass viele über die Überschrift nicht hinaus kommen. User nehmen Artikel und posten die, ohne sich den Inhalt anzuschauen. Auf Facebook wird dann nur der Teaser angezeigt, das Titelbild, eine kleine Schlagzeile. Dass diese vom Artikel selbst revidiert wird, interessiert viele nicht. Auch große Medienhäuser spielen damit. Die spezialisieren sich auf virale Überschriften, betreiben also gezielte Verunsicherung der Leute durch ihr Clickbaiting. 

 

Herr Wolf, Hand aufs Herz: Identifizieren Sie sich mit Sisyphos? 

In der Tat. Wir müssen jeden Tag neu anfangen. Wir erreichen nur Etappenziele. Manche Fakes tauchen einfach immer wieder auf. Bilder, die aufgeklärt wurden, werden neu missbraucht. Nach Köln kursierte das Bild eines jungen Mannes, übel zugerichtet. Das Bild war schon einmal Teil eines Fakes, jetzt wird es einfach den Ereignissen angepasst. Die allermeisten Menschen hatten die Entlarvung damals nicht mitbekommen. Die muss man quasi neu aufklären. Manchmal ist das deprimierend. Manchmal kann man lachen. Aber wenn Menschen angegriffen werden mit dieser Propaganda, dann wird es ernst. 

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