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Barack Obama als Außenseiter

Foto: Netflix

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Barack Obama sitzt in einer dreckigen Küche und liest. Dann sitzt er in einer Sporthose am Rande eines Basketballfelds und liest. Dann sitzt er in einem staubigen Wohnzimmer auf einem Sofa und liest. Und zwar immer dasselbe Buch: „Invisible Man“ von Ralph Ellison, einen Roman aus dem Jahr 1952 über einen jungen Afroamerikaner und sein Leben im rassistischen Amerika. Einer von seinen Freunden auf dem Basketballfeld gibt Obama darum einen Spitznamen: „Invisible“ – der Unsichtbare.

Dieser lesende Barack Obama ist natürlich nicht der heutige. Nicht der Präsident der USA. Es ist der 20-jährige Obama, genannt „Barry“. Der gleichnamige Spielfilm erzählt von seinem ersten Studienjahr 1981 an der Columbia University in New York. Premiere feierte der Film im vergangenen September auf dem Toronto International Film Festival, ab dem 16. Dezember ist er auf Netflix zu sehen.

Im Zentrum von „Barry“ steht Barack Obamas Suche nach seiner Identität. Und weil so eine Suche sich zu großen Teilen innerlich abspielt, sieht der Zuschauer viele Szenen wie die eben beschriebenen: Barry lesend, Barry joggend, Barry mit Zigarette (Obama war früher starker Raucher). Barry, der auf einer Party rumsteht, auf einer Hochzeit oder im Seminarraum rumsitzt. Man sieht also einem jungen Mann beim Nachdenken zu – und das ist erstaunlicherweise überhaupt nicht langweilig.

Der australische Newcomer Devon Terrell spielt den Mann, den heute jeder kennt, wahnsinnig überzeugend als jungen, klugen, aber etwas unsicheren Typen, dem die Lässigkeit, die Selbstsicherheit und der Charme, für die Obama so berühmt ist, noch fehlen – weil er sich eben selbst noch nicht gefunden hat. Nur ab und zu spürt man, dass der zukünftige Präsident schon in ihm angelegt ist: Wenn Terrell die typische tiefe, wohlklingende Obama-Stimmlage genau trifft. Oder wenn Barry seinen Charme spielen lässt, um mit den saturierten Eltern seiner weißen Freundin über Politik diskutieren zu können, ohne sie zu vergraulen.

Barrys Identitätssuche wird mit zwei Leitthemen verknüpft, die sich durch den Film ziehen: die „Unsichtbarkeit“ aus dem Roman, und ihr Gegenteil: die Sichtbarkeit.

Denn Barry ist beides. An der Uni ist er zu sichtbar, fällt durch seine Hautfarbe auf und wird vom weißen Sicherheitsmann ständig nach seinem Ausweis gefragt. In den Sozialbauten im schwarzen Harlem zieht er mit seinem akademischen Hintergrund und seiner Unkenntnis der sozialen Codes ebenfalls Blicke auf sich.

Barrys Schwäche – nirgends dazu zu gehören – wird plötzlich zu seiner Stärke

Wer nirgends richtig dazu gehört, fällt aber nicht nur auf. Er ist gleichzeitig auch unsichtbar und nicht greifbar. Barrys Identität ist nicht fest, sondern fließend: Als Sohn einer Weißen aus Kansas und eines Schwarzen aus Kenia, in Hawaii und Indonesien aufgewachsen, ist er dem amerikanischen Festland und seinen verschiedenen kulturellen und ethnischen „Szenen“ denkbar fern. In unterschiedlichsten Situationen, sowohl auf der schnieken Hochzeit der Schwester seiner Freundin als auch auf der Party in Harlem, sagt Barry immer wieder: „It’s not my scene.“ Aber welche „scene“ ist seine? Kann er sich für eine davon entscheiden? Muss er das vielleicht sogar?

Eine mögliche Antwort findet er, als er auf der Hochzeit mit einem älteren Ehepaar spricht. Er erzählt ihnen von seinen Eltern, seiner Herkunft, seiner Kindheit. „Weißt du, wozu dich das macht?“, fragt ihn der Mann. „Es macht dich amerikanisch. Und du musst dich niemals entscheiden.“

Diese Aussage ist es, die aus Barrys Schwäche, nirgends dazu zu gehören, plötzlich eine Stärke macht. Und die in die Zukunft weist, auf den Tag, an dem er einmal der Präsident der USA werden soll. Einer, der immer wieder betont hat, der Präsident aller Amerikaner sein zu wollen. Der ein Hoffnungsträger für die Minderheiten im Land war, aber sich auch nicht hat instrumentalisieren lassen. Am Ende hat er sich zwar entschieden – aber für keine Seite, für keine „scene“. Sondern ganz bewusst dafür, sich auf den Platz zwischen den Stühlen zu setzen, und dort sichtbar zu sein.

Besonders schön an „Barry“ ist, dass er am Ende wohl auch funktionieren würde, wenn der junge Protagonist nicht zufällig der spätere Präsident der USA wäre. Weil der Film auch über die persönliche Obama-Geschichte hinaus eine kraftvolle Botschaft hat. Eine, die in einem Jahr, in dem die Spaltung der USA so schmerzhaft sichtbar wurde, wehmütig macht: Die ursprüngliche amerikanische Idee ist, dass in diesem Land auch jemand, der nirgends richtig dazugehört, seinen Platz finden kann.

Noch eine Ladung Obama&Co.? Bitte sehr:

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