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"Wenn der Vorhang fällt" erklärt die deutsche Rap-Vergangenheit

Fotocredit: Yves Krier

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Hip-Hop spricht. Keine Off-Stimme, kein Erklärer oder Storyteller brabbelt über die Bilder. Das Erzählen hat Regisseur Michael Münch in seinem Film „Wenn der Vorhang fällt“ den Akteuren überlassen. Und die Protagonistenliste liest sich wie ein Festival-Line-up, für das man bedenkenlos ein Ticket kaufen würde: Marteria, Sido, Max Herre, Prinz Pi, Stieber Twins, Moses Pelham und viele weitere namenhafte Rapper hat Münch für sein Projekt vor die Kamera gebracht. 

Beginnend back in the days, versucht die Doku chronologisch die Geschichte des Deutschen Raps aufzuarbeiten. Ganz nach dem hiphop’schen Credo „each one, teach one“ referieren die Akteure der Szene selbst und zeichnen aus verschiedenen Perspektiven das Bild eines Genres. Von ersten Rap-Experimenten auf Deutsch, über die Kommerzialisierung des Hip-Hops, bis hin zum Straßenrap rekonstruieren die Interviewgäste die Höhen und Tiefen der deutschen Hip-Hop-History. Der Film folgt dabei dem Statement von Urvater Toni L.: „Ich würde Hip-Hop in drei Epochen einteilen.“ Nämlich die Anfänge, der Sprung in den Mainstream und die Gangster-Rap-Ära. Das wirkt auf den ersten Blick uninspiriert und starr, ergibt aber im Verlauf des Films durchaus Sinn. Denn deutsche Rap-Geschichte ist komplex und die einzelnen Abschnitte bauen stark aufeinander auf.

Während die ersten beiden Epochen detailliert aufgedröselt werden, dämmert dem Zuschauer nach einer guten Stunde die Erkenntnis: So viel Zeit für die letzte Epoche ist gar nicht mehr übrig – und so ist es dann auch. Die Jahre 2000 bis heute werden schnell in 30 Minuten runtergespult, dann ist der Film zu Ende, ohne die Frage nach dem Status-Quo ausreichend zu beantworten. Dabei ist die aktuelle Generation mit Rappern wie Haftbefehl und Casper, Yung Hurn, Credibil und Hayiti, spannender als alle anderen zuvor.

Insbesondere letztere steht in ihrer Abwesenheit gleich für zwei große Mängel der Doku. Neben Vertretern der Zukunft der Zunft fehlen auch sämtliche Frauen. Zugegeben: Hip-Hop war und ist immer noch männerdominiert, doch ein ganzes Geschlecht zu unterschlagen, wird der weiblichen Rolle im Rap nicht gerecht. Es gibt genug Rapperinnen, zum Beispiel Sabrina Setlur, Schwesta Ewa, SXTN, Sookee und Cora E., um nur einige zu nennen. Ihre Perspektive einfach konsequent auszuklammern, lässt das Gesamtbild unvollständig erscheinen. Regisseur Münchs Verteidigung dazu im Interview bei Puls ist leider lasch: „Beim ersten Drehblock habe ich tatsächlich auch zwei oder drei [Frauen] angefragt, da kam dann aber keine Antwort. [...] Und dann ist mir während diesem ersten Drehblock klar geworden, dass von den Protagonisten fast keiner eine Frau erwähnt hat. Also die Geschichte, die sie erzählen, nimmt das auch nicht mit rein.“ Ein bisschen dünn – denn wenn Münch erst während der Dreharbeiten auffiel, dass Frauen in der Rap-Geschichte angeblich nicht vorkommen, hatte er sie wahrscheinlich von Beginn an auch nicht eingeplant. Mal davon abgesehen, dass nach dieser Argumentation Frauen keine Rolle gespielt haben, weil Männer sie nicht erwähnt haben. Damit macht Münch es sich ein bisschen einfach. Denn die Geschichte schreibt der Cast.

Das fällt auch auf, wenn sich der Film den 2000ern zuwendet. Die Straße rückt in den Mittelpunkt des Rap-Geschehens. Es ist Schluss mit lustig und locker, Hip-Hop wird hart. Bushido, Fler, Azad und Savas treten auf die Karte. Bis auf den mittlerweile vermainstreamten Sido ist aber keiner der damaligen Akteure vor der Kamera. Und so wandelt sich die Innenansicht zwangläufig zu einer Vogelperspektive, wenn Smudo und Blumentopf über Aggro Berlin referieren.

Zwischen den Epochen geben instrumental-untermalte Slowmo-Aufnahmen von Hip-Hop-Brutstätten dem Zuschauer Zeit zum Verschnaufen: Hamburg, Berlin, Heidelberg, das Splash. Leider erfüllen die schönen Shots neben der Gelegenheit zum Durchatmen keine Funktion. Hier ein bisschen Hamburger Hafen, dort ein wenig Oberbaumbrücke, dann ein paar Breakdancer. Alles sehr beliebig, wenig erhellend und etwas lang. Länge, die man für ein stimmigeres Gesamtbild hätte nutzen können.

Was Münch gut gelingt, ist abzubilden, was HipHop in der Bundesrepublik seit jeher ist: eine sich stetig wandelnde Szene, die sich nichts vorschreiben lässt – nicht mal von sich selbst. Zwischen den Epochen lässt sich nämlich ein Muster erkennen: Aus dem Etablierten entwickelt sich eine neue Strömung. Dieser frische Ansatz wird zunächst von vielen als Ketzerei an alten Werten abgetan, bevor er sich durchsetzt und das Genre um eine Facette erweitert. Hier liegt auch die Formel für den Erfolg und derzeitigen Einfluss des Genres. Mittlerweile ist Deutschrap an einem Punkt angekommen, an dem sich jeder seine individuelle Auslegung der Kultur aus der Vielfalt von Künstlern herauspicken kann.

Am Ende ist Münchs Doku ein kurzweiliger Film, der Spaß macht. Die hohe Stardichte, die Insiderstorys und gut zusammengesetzten O-Töne sind ein stringentes Werk, für alle, die schon immer wissen wollten, wie deutscher Rap zu dem wurde, was er heute ist. Hip-Hop spricht. Und man hört gebannt zu.

„Wenn der Vorhang fällt“ läuft ab dem 30.3.2017 in ausgewählten Kinos in Deutschland, Österreich und der Schweiz. Informationen zu den Spielstätten gibt es auf der Facebook-Seite vom Film

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