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"Als Paul über das Meer kam"
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Als der Filmemacher Jakob Preuss bei der Recherche für einen Dokumentarfilm Paul Nkamani kennenlernt, hat der sich bereits aus seiner Heimat Kamerun durch die Sahara bis an die Küste Marokkos durchgeschlagen. Paul zeigt ihm sein Camp in der Nähe der spanischen Exklave Melilla, stellt ihm die Bewohner vor und erklärt die verschiedenen möglichen Fluchtwege über den berüchtigten Zaun oder das Mittelmeer. Schon kurz danach ergattert Paul einen Platz auf einem Schlauchboot nach Europa, die Überfahrt nimmt einen tragischen Ausgang: Die Hälfte seiner Mitreisenden stirbt, Paul überlebt.
Nachdem Paul in Spanien zwei Monate in Abschiebehaft verbracht hat, findet Jakob ihn in einem Heim des Roten Kreuzes wieder. Nach und nach verabschiedet sich Jakob von seiner Rolle als teilnehmender Beobachter hinter der Kamera und unterstützt Paul auf seinem Weg nach Berlin. Dort zieht Paul schließlich in Jakobs ehemaligem Kinderzimmer ein. Zum Kinostart von „Als Paul über das Meer kam“ haben wir die beiden in einem Café in Berlin getroffen.
jetzt: Jakob, obwohl du Paul auf seinem Weg schon mehrfach geholfen hast, gibt es in Eisenhüttenstadt eine Szene, in der du Paul sich selbst überlässt und er einen Bus verpasst, weil ihm der Euro für das Ticket fehlt. Gab es viele solcher Momente, in denen du dich entscheiden musstest, ob du nun gerade Dokumentarfilmer, Fluchthelfer oder Freund bist?
Jakob Preuss: Natürlich, ständig! Als Dokumentarfilmer ist immer die große Frage, wie sehr man ins Geschehen eingreifen darf. Ich bin in meinen Filmen schon immer selbst in irgendeiner Form präsent gewesen, einfach weil ich das für transparenter und ehrlicher halte. Wenn ich da als weißer, privilegierter Deutscher durch das Lager in Marroko stapfe, hat das natürlich Auswirkungen auf das Verhalten der Leute. Und das muss man auch so zeigen, finde ich.
Aber direkt einzugreifen ist natürlich noch mal etwas anderes. In Marokko war ich eher auf Paul angewiesen. Sobald wir dann in Europa waren, kannte ich mich natürlich besser aus und hätte ihm bereits in Spanien bei der Weiterreise helfen können. Tatsächlich eingegriffen habe ich dann aber erst, als Paul in Paris gestrandet ist und ich ihm eine Übernachtungsmöglichkeit organisiert habe.
Und in Deutschland?
Jakob Preuss: Da habe ich umso mehr das Gefühl gehabt, dass Paul nun so etwas wie mein Gast ist, was ich auch im Film deutlich gemacht habe. Da war die Nähe einfach schon da. Ich hatte einfach ein Verantwortungsgefühl, dem ich mich nicht mehr entgegenstellen wollte.
Und in der Szene mit dem Busticket? Dort reagierst du nicht, der Bus fährt ohne Paul ab.
Jakob Preuss: Dass ich in dieser Szene nicht auf Pauls fragende Blicke reagiere, lässt mich natürlich erst einmal wie das letzte Arschloch dastehen. Wir hatten eben für diesen Tag ausgemacht, dass Paul alleine klarkommen muss, um zu zeigen, wie schwierig es für jemanden wie ihn ist, sich in Deutschland direkt nach der Ankunft zurechtzufinden. Es war gut für den Film, in dieser Situation „hart“ zu bleiben.
Kannst du das nachvollziehen, Paul?
Paul Nkamani: Ich war sehr wütend. Ich habe nicht verstanden, dass jemand, der mich seit meiner Zeit in Marokko begleitet, plötzlich so handelt. Er wusste ja, dass ich kein Geld habe – und dass ich ohne den Euro nicht zu meiner Unterkunft komme.
Jakob Preuss: Wäre keine Kamera dabei gewesen, hätte ich dir den Euro ja gegeben! Das war im Nachhinein schon eine starke, wichtige Szene, auch wenn es in dem Moment für dich sicher nicht angenehm war. Aber es ging ja auch nicht um Leben und Tod, oder um unter der Brücke mit Angst schlafen wie in Paris, sondern um eine halbe Stunde länger auf den Bus warten.
Paul Nkamani: Ja, verstehe, verstehe.
Bist du doch noch sauer, Paul?
Paul Nkamani: Nein, nein. Das ist ja lang her, Vergangenheit.
"Paul war einer der wenigen, der nicht sofort eine Gegenleistung oder Geld wollte"
Jakob, im Film sagst du, dass nicht ganz klar war, ob du auf Paul, zugegangen bist oder umgekehrt. Wie lief diese erste Begegnung im marokkanischen Wald ab?
Paul Nkamani: Für mich war das erst einmal nur ein Spiel. Das war eine schöne Abwechslung, Jakob mit seiner Kamera bei uns zu haben. Ich fand das sehr lustig und habe die Sache auch zunächst überhaupt nicht ernst genommen. Dass er mich bis zum heutigen Tag begleiten würde, hätte ich niemals gedacht.
Jakob, du hast dein Filmkonzept nicht zuletzt wegen deiner Freundschaft zu Paul völlig abgeändert. Was war der ursprüngliche Plan für den Film?
Jakob Preuss: Geplant war ein Episodenfilm an den Außengrenzen Europas. Dafür habe ich ungefähr zwei Jahre lang recherchiert, war auf Malta, in Griechenland, der Türkei, in Polen und in der Ukraine unterwegs. Das war alles sehr spannend, ich habe aber nicht die wirklich überzeugende Geschichte gefunden, die ich mir gewünscht hatte. Erst die Begegnung mit Paul und den anderen im Camp bei Melilla hat mich dann überzeugt. Es sollte dann eigentlich so ein Protagonist-Antagonist-Film werden, Frontex und die Guardia Civil auf der einen Seite, das Lager der Menschen aus Kamerun auf der anderen. Dann kam aber Paul überraschend schnell über das Meer nach Spanien – und ich habe mein Konzept noch einmal umgeworfen. Ganz klar geworden ist die Geschichte aber dann erst im Schnitt.
Im Film kann man erahnen, dass nicht alle im Lager begeistert von der Anwesenheit der Kamera waren. Warst du da eine Ausnahme, Paul?
Paul Nkamani: Es gab da solche und solche Leute. Manche waren total offen, andere wollten lieber nicht gefilmt werden. Viele hatten Angst, weil sie nicht wussten, welches Ziel Jakob mit seiner Kamera eigentlich verfolgt. Außerdem haben manche befürchtet, dass der Film eines Tages in ihren Heimatländern gezeigt werden könnte, wo dann die ganze Familie hätte sehen können, unter welchen Bedingungen sie dort im Wald hausen. Jakob Preuss: Paul war außerdem einer der wenigen, der nicht sofort eine Gegenleistung oder Geld haben wollte.
Waren die anderen auch neidisch auf Paul und dachten, dass du ihn bezahlst?
Jakob Preuss: Im Heim vom Roten Kreuz in Granada haben sich zwei Freunde von Paul geweigert, weiter gefilmt zu werden. Sie kommen in einer Szene vor, in der sie mit Paul zusammen von der Überfahrt erzählen. Sie haben dann versucht, Paul zu überreden, auch nicht mehr mitzumachen, sollte ich sie nicht anständig bezahlen.
Paul Nkamani: Als mich meine Freunde in Granada unter Druck gesetzt haben, dachte ich schon: Vielleicht ist es besser für die Gruppe und den Zusammenhalt, wenn ich das mit dem Film sein lasse. Aber das ging dann wieder vorbei. Abgesehen davon macht man sich natürlich ab und zu Gedanken, ob das, was man im Film erzählt, nicht später beim Asylverfahren gegen einen verwendet werden könnte.
Paul, du nennst Jakob in einer Szene einen Pessimisten, weil er sich immer so viele Sorgen um dich macht. Ist das immer noch so?
Paul Nkamani: Ja, zumindest zu 50 Prozent, was mein Bleiberecht betrifft. Da sieht es für Menschen aus Kamerun natürlich eher schlecht aus, auch wenn ich durch meine Sondersituation, den Rauswurf aus meiner Universität und den Problemen danach im Dorf, vielleicht wieder etwas höhere Chancen habe.
Jakob Preuss: Du hast in Deutschland auch viel von deinem Optimismus verloren, glaube ich. Wenn man Arbeit und eine Gastfamilie hat, Deutsch beherrscht und eigentlich alles Notwendige tut, um sich perfekt zu integrieren, fragt man sich natürlich schon, warum man keine Chance, also keinen Aufenthaltstitel bekommt. Aber ich bin im Gegenzug mittlerweile optimistischer geworden. Ich glaube, dass es trotz allem klappen kann mit dem Bleiberecht, denn fast alle, die den Film sehen – selbst konservative Politiker, Ministerialbeamte oder Polizisten – fragen am Ende: Gibt es für ihn nicht irgendeine andere Möglichkeit, hier zu bleiben, außer Asyl?
"Jakob will offene Grenzen und weiß selbst nicht wirklich, was die Folgen wären"
Im Film klingt allerdings auch an, dass ihr beide euch in euren Ansichten zur EU-Migrationspoltik ziemlich stark unterscheidet.
Jakob Preuss: Ja, beim Thema Migration werden wir beide uns komischerweise nie einig. Ich für meinen Teil halte ein Recht auf Migration für realisierbar. Wie viele Dinge haben wir in der Vergangenheit schon für natürlich gegeben gehalten? Sklaverei, die gottgegebene Herrschaft von Adeligen, das alles ist Geschichte, warum sollte sich bei diesen riesigen Ungleichheiten, welche die nationalstaatliche Aufteilung der Welt mit sich bringt, nicht auch was tun? Natürlich nicht von heute auf morgen, aber ich denke schon, dass Europa sich langfristig vom aktuellen Asylmodell verabschieden muss, hin zu einer neuen, faireren Form der Aufenthaltsgestaltung.
Paul Nkamani: Ich bin da nicht so überzeugt. Jakob will offene Grenzen und weiß selbst nicht wirklich, was die Folgen wären. Für mich ist das eher eine Utopie. Trotzdem wäre es natürlich auch keine Lösung, die Grenzen zu schließen, weil das schlicht unmöglich ist. Man müsste viel verstärkter die Gründe suchen, aus denen Menschen flüchten: Die Armut bekämpfen, vor Ort investieren, die Kriege stoppen. Letztendlich ist Europa ja für diese Misere verantwortlich.
Jakob Preuss: In diesem letzten Punkt mit der Verantwortung muss ich nun aber auch mal widersprechen, zumindest zum Teil!
Paul Nkamani: Das war ja klar!
Jakob Preuss: Eine typisch afrikanische Sichtweise!
Trotz der Unstimmigkeiten: Glaubt ihr, dass der Film in den Köpfen der Zuschauer etwas bewirkt? Soll er das?
Jakob Preuss: Natürlich sehen den Film hauptsächlich Leute, die der ganzen Thematik gegenüber von Haus aus eher positiv eingestellt sind. Der Film wird aber auch in Seminaren gezeigt und trifft da durchaus auch auf kritische Zuschauer. Und obwohl viele von Flüchtlingsschicksalen nicht mehr viel hören wollen: Sich einmal diesen ganzen Weg vor Augen zu führen, das Verlassen von Heimat und Familie, sein Leben in der Wüste zu riskieren, dann drei Jahre für das Schleppergeld zu schuften und sich auf dem Mittelmeer direkt noch einmal in Lebensgefahr zu begeben – das macht man eben nicht mal einfach so, das ist ein brutaler, harter Weg. Und wenn dann jemand nach dem Sehen des Films beim Aufeinandertreffen mit einem Flüchtling nicht sofort denkt „das ist ein fauler Schmarotzer“, sondern „das könnte auch ein Paul sein", dann haben wir schon viel erreicht.