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60. Geburtstag von Tom Hanks
Lieber Tom Hanks,
heute wirst du 60 Jahre alt. Ich werde dieses Jahr 30. Das ist ein schöner Zufall. Und ein guter Zeitpunkt, mal über unsere Beziehung zu sprechen. Oder, naja, über meine Beziehung zu dir. Die besteht schon lange und sie hat ihre Gründe und mit diesem Text über sie möchte ich dir ganz herzlich zu deinem Geburtstag gratulieren!
Es fing an, als ich ungefähr neun Jahre alt war. Damals habe ich zum ersten Mal „Forrest Gump“ gesehen und war stante pede sehr verliebt in dich. Also zumindest so, wie eine Neunjährige halt verliebt sein kann, nämlich indem es mir einen Haufen gute und traurig-gute Gefühle machte, diesen Film und dich darin anzuschauen. Weil so viel Niedlichkeit, Liebe, glückliche Zufälle, tragische Augenblicke, weite Welt und große, grüne Bäume darin vorkamen und du so harmlos und warmherzig warst. In den folgenden Jahren habe ich den Film immer und immer wieder angeschaut. Jedes Mal, wenn er im Fernsehen lief, dann auf der DVD, die ich mir zum Geburtstag gewünscht hatte. Ich konnte ihn irgendwann so in- und auswendig, dass ich ihn schließlich in der Originalversion schaute, dann mit dem Audio-Kommentar des Regisseurs und dann in der tschechischen Synchronfassung.
Ich wurde dein treuster Fan und entwickelte Fan-Rituale. Ich las regelmäßig die „Cinema“, blieb nachts wach, wenn die Oscars verliehen wurden, und sammelte in einer Mappe Bilder von dir. Allerdings versteckt hinter Briefen und Zeichnungen, weil ich nicht wollte, dass jemand von meiner Liebe zu dir erfuhr. Sie war mein Geheimnis.
Durch „Forrest Gump“ habe ich mehr über amerikanische Geschichte gelernt als in der Schule
Ich erwartete auch alle 14 Tage sehnsüchtig die neue „TV Spielfilm“, die meine Mutter aus dem Supermarkt mitbrachte. Dort war nämlich ein alphabetisches Register aller Schauspieler und Schauspielerinnen drin, von denen in den kommenden zwei Wochen Filme im Fernsehen laufen würden. Ich suchte in diesem Register mit dem Finger immer gleich nach H und nach dir. So konnte ich dich nicht verpassen und so sah ich ungefähr alle Filme, in denen du jemals mitgespielt hast. Klassiker, wie „The Green Mile“, „Philadelphia“, „Schlaflos in Seattle“, „Apollo 13“ oder „Der Soldat James Ryan“, aber auch weniger bekannte wie „Schlappe Bullen beißen nicht“, „Splash – Jungfrau am Haken“, „Punchline“ oder „Eine Klasse für sich“. Ich denke, es hat mir nicht geschadet. Durch „Forrest Gump“ habe ich mehr über amerikanische Geschichte nach dem zweiten Weltkrieg gelernt als später im Geschichtsunterricht. Durch „The Green Mile“ wurde ich mit 13 zu einer Gegnerin der Todesstrafe. Durch „Philadelphia“ wusste ich etwa im gleichen Alter über HIV und Aids Bescheid und pinnte mir eine rote Schleife an meinen Eastpak.
Ich habe nicht alles in diesen Filmen verstanden, und genau das machte sie wahrscheinlich aus: Sie waren so zugänglich, so jugendfrei, mainstreamig, weichgespült und leicht konsumierbar, dass ich sie als Zehn- oder Zwölf- oder 14-Jährige problemlos anschauen konnte. Und doch steckte in vielen davon immer noch etwas mehr, eine größere Botschaft, eine bestimmte Weltsicht, und indem ich mir die Filme immer und immer wieder angeschaut habe, hat sich mir diese Weltsicht nach und nach eingeprägt. Das passierte subtil, mehr so nebenbei. Ich lernte zum Beispiel einfach, Menschen zu lieben, weil sie liebenswert daherkamen – ohne den Kontext zu kennen, ohne zu wissen, dass diese Menschen in der Welt da draußen diskriminiert wurden. Ich liebte Forrest Gump und ich liebte Bubba und ich liebte Andrew Beckett, und ich liebte sie, ohne zu wissen, dass Forrest Gumps sehr geringer IQ, Bubbas Hautfarbe und Andrew Becketts sexuelle Orientierung für viele Menschen Gründe darstellten, sie zu hassen.
Natürlich klang in den Filmen auch an, dass es Rassismus und Homophobie und andere Arten von Diskriminierung gibt, von denen ich, die ich als Mittelstandskind in einem 2000-Seelen-Kaff in der westdeutschen Provinz lebte, bisher nie gehört hatte. Aber sie kamen mir in den Filmen eben auch von Anfang an völlig unsinnig und ungerechtfertigt vor, entbehrten schlicht jeder Grundlage. Heute denke ich oft, dass ich meinen zukünftigen Kindern gerne die zwei Sachen beibringen möchte, die ich als Kind aus deinen Filmen herausgelesen habe: 1. Es gibt alle möglichen Arten von Menschen und 2. Das Wichtigste ist, dass man ein gutes Herz hat.
Als Teenagerin konnte ich nicht in dich verliebt sein. Also war ich einfach in deinen Sohn verliebt
Es wäre gelogen, zu behaupten, dass meine Liebe zu dir immer völlig unproblematisch war. Sie wurde problematisch, als ich in das Alter kam, in dem man cool sein muss. In dem man sich für Jungs, Schminke und Klamotten interessieren muss. Und für Stars. Junge, gut aussehende Stars. Du warst damals weder besonders jung (sondern schon über 40), noch besonders gut aussehend (sorry!). Zumindest im Vergleich zu den Hollywood-Stars, in die die anderen Teenagerinnen verliebt waren, Leonardo DiCaprio oder Brad Pitt oder so. Ich musste mir also einen Ersatz-Schwarm suchen und wählte dafür den Weg des geringsten Widerstands: Ich war fortan in deinen Sohn Colin verliebt. Das traf sich gut, weil der um die Jahrtausendwende sowieso in „Roswell“ mitspielte, einer amerikanischen Jugendserie. Auch Colin Hanks war nicht der Star, mit dem man punkten konnte, wenn man für ihn schwärmte (zu große Ohren und so weiter), aber immerhin nicht so alt, dass er mein Vater hätte sein können.
Ich habe aber trotzdem nie aufgehört, dich toll zu finden, und rettete meine Liebe aus meiner Pubertät hinüber in eine neue Phase. Denn irgendwann wuchs ich aus dem Alter heraus, in dem man überhaupt von irgendwas oder irgendwem so ein richtiger „Fan“ ist, und meine Zuneigung zu dir wurde zu einer Grundsympathie. Ich freute mich einfach immer, wenn ich dich irgendwo sah, im Kino, im Fernsehen, in der Zeitung. Weil du mir vertraut warst.
Und dann wurde Social Media groß und dort bist du auch aufgetaucht und das war ein ganz neuer Schritt in unserer Beziehung: ein Schritt ins 21. Jahrhundert. Du bist nämlich einfach ein irre guter, kluger und lustiger Twitterer (und dein Sohn Colin übrigens auch). Du twitterst Filmtipps, Bilder von Schreibmaschinen, Anerkennungen für Menschen, die du toll findest, Fotos aus deinem Leben und alle möglichen einsamen, verlorenen Dinge (Handschuhe, Schuhe, Mützen, eine Gabel aus dem Meer und den Studentenausweis einer jungen Frau namens Lauren). Und allein das, was du in deine Twitter-Biographie geschrieben hast, liest sich so sympathisch, wie ich mir dich immer vorstelle: „I'm that actor in some of the movies you liked and some you didn't. Sometimes I'm in pretty good shape, other times I'm not. Hey, you gotta live, you know?“
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Lieber Tom Hanks, auch wenn du jetzt 60 bist und immer noch mein Vater sein könntest und mittlerweile einen ganz schön faltigen Hals hast, bleibst du mein Favorit. Ich habe viel von dir gelernt und insgesamt bist du einfach der perfekte Durchschnittstyp, der eine nette Botschaft vom guten Menschsein verkündet. Klar, du bist ein Mann und weiß und wohlhabend und gehörst damit zur Elite dieser Welt. Aber dafür kannst du nichts und meines Wissens hast du das bisher auch nicht ausgenutzt. Das halte ich dir zugute. Und: Viele finden dich zwar langweilig und uninteressant – aber die haben bloß nicht verstanden, dass du in dieser Welt, die sich immer weiter in Extreme verstrickt, etwas bietest, was nur wenige zu bieten wissen: Wo du bist, kann man sich ausruhen. Und wird dabei mit etwas Glück sogar zu einem besseren Menschen. Ich ruhe mich seit zwanzig Jahren bei dir aus. Und ich werde das auch in Zukunft tun. Darum: Hoch sollst du leben, auf die nächsten zwanzig Jahre!
Viele Geburtstagsgrüße,
deine Nadja