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Wie wird die Einschaltquote gemacht?
Die Einschaltquote ist deutschen Fernsehmachern heilig. Sie bestimmt, was der Deutsche im Fernsehen sieht. Sie entscheidet, ob das "Neo Magazin Royale" oder "Der Tatortreiniger" irgendwann mal zu einer halbwegs normalen Uhrzeit im Fernsehen laufen. Ebenso, ob die zehntausendste Staffel von "Der Bachelor" oder "Germany's Next Topmodel" wieder eine Fortsetzung bekommt.
Die Quote wird anhand von relativ wenigen Menschen berechnet, die eine sogenannte Quotenbox zu Hause stehen haben. Diese Testhaushalte geben mit einer speziellen Fernbedienung an, wer aus dem Haus gerade schaut. Was er schaut, wird über die Box erfasst. Die Daten laufen dann bei der Gesellschaft für Konsumforschung (GfK) ein, die im Auftrag aller großen Sender in Deutschland – also sowohl der öffentlich-rechtlichen als auch der privaten – diese Zahlen auf alle Deutschen hochrechnet und am nächsten Tag als Einschaltquote präsentiert.
An dem System gab es immer wieder Krititk, zum Beispiel weil viele Jahre lang Nicht-EU-Bürger, also sehr viele türkische Einwohner in Deutschland, von dieser Erfassung ausgeschlossen waren. Das hat die GfK aber nach eigenen Angaben Anfang 2016 geändert. Dennoch bleiben viele Fragen: Warum wird bislang nicht in die Quote einbezogen, was online geschaut wird? Warum dürfen die Menschen in den Testhaushalten niemandem erzählen, dass sie über die Einschaltquote entscheiden? Wer bestimmt eigentlich darüber, wer so eine Quotenbox bekommt? Das alles haben wir Robert Nicklas gefragt, der bei der GfK die Abteilung Fernsehforschung leitet. Und uns darüber gestritten, ob es wichtig ist, dieses System zu hinterfragen und unabhängig zu kontrollieren.
jetzt: Herr Nicklas, ich habe bei meinen Freunden mal nachgefragt, ob sie jemanden kennen, der so eine Quoten-Box zu Hause stehen hat. Ergebnis: Niemand kennt Menschen mit Quotenboxen.
Robert Nicklas: Die Zahl der Leute, die eine Quotenbox, wir nennen das GfK-Meter, zu Hause haben, ist sehr klein. Wir haben etwa 6000 Haushalte, das sind gut 10.000 Personen. Ein Haushalt, der bei uns teilnimmt, repräsentiert etwa 7600 Haushalte. Natürlich können wir nicht alle Personen in Deutschland befragen. Daher nutzen wir statistische Verfahren. Diese sagen uns auch, wie groß unsere Stichprobe sein muss. Unser Ziel ist es also, mit diesen Probanden ein verkleinertes Abbild Deutschlands zu haben. Zum einen müssen wir dazu überall in Deutschland sein, für die regionale Repräsentativität. Es hat ja nicht jeder den gleichen Empfang. Früher nahm man Wahlbezirke, heute ist das anders. Man sucht Gebiete mit einer ähnlichen Gruppe von Menschen, zum Beispiel im Innenstadtbereich. Dann kann ich sagen: Für diese Region steht ein Haushalt. Diese Regionen verteile ich gleichmäßig über Deutschland. Dann muss das noch sozio-demographisch repräsentativ sein. Kriterien sind zum Beispiel: Alter, Einkommen, Schulbildung.
Meine Generation sieht Sendungen wie das "Neo Magazin Royale" nicht im Fernsehen, sondern im Netz. Wir streamen in Mediatheken, bei Netflix oder Amazon, wir schauen auch illegal im Internet. Fließt das in irgendeiner Form in ihre Quote mit ein?
Nein. Momentan noch nicht. Aber wir haben ein Projekt mit unseren Auftraggebern, der AGF, alles auszuwerten, was über Smart TV, Mobiles oder Laptop angesehen wird, und in die Quote mit aufzunehmen. Apps fürs Handy wird es dann auch geben. Da rührt sich dieses Jahr viel bei uns, bis Ende des Jahres soll die Erfassung stehen. Wir nennen das dann eine Gesamtreichweite für Bewegtbild.
Ist das nicht ein bisschen spät? Junge Menschen sehen ja bereits seit Jahren größtenteils über digitale Wege.
Wir wissen natürlich, dass sich die Nutzungssituationen ändern, gerade bei jungen Menschen. Die Entwicklung und Abstimmung von Messinstrumenten bedarf aber auch ausreichender Zeit.
Mit der Box wird erfasst, wie lange und wie häufig jemand eine Sendung sieht. Haben die Testpersonen auch die Möglichkeit zu bewerten, ob sie eine Sendung sehr gut, mittelmäßig oder langweilig fanden?
In Deutschland nicht, das haben unsere Auftraggeber so entschieden. In Österreich hingegen haben die Testhaushalte die Möglichkeit, Sendungen mit Noten zu bewerten, wie in der Schule.
Wäre es nicht hilfreich, wenn auch deutsche Programmmacher wüssten, dass ihre Testpersonen eine Sendung langweilig oder spannend fanden?
Wir machen in Deutschland rein quantitative Untersuchungen der Haushalte, die Sender selbst machen natürlich auch qualitative Untersuchungen. Wenn eine Sendung von vielen gesehen wird, dann müssen wir davon ausgehen, dass die Sendung auch als gut wahrgenommen wird. Man interpretiert das dann über die Masse und verzichtet in Deutschland auf diese Bewertungsmöglichkeit.
"Einschlafen ist ein Problem"
Woher wissen Sie, dass eine Testperson vorm Dschungelcamp nicht eingeschlafen ist, oder seit einer Stunde auf Facebook rumdaddelt und die Sendung gar nicht sieht? Würde das die Quote verfälschen?
Ja. Aber Fernsehnutzung heißt, ich höre oder ich sehe oder ich höre und sehe. Allein, dass jemand nicht mehr im Raum ist, heißt nicht, dass er nicht mehr hört, was in den Nachrichten kommt. Aber: Die Haushalte sind aufgefordert, sich mit der speziellen Fernbedienung abzumelden, wenn ein Proband sich nicht mehr selber als Fernsehzuschauer definiert. Weil er vielleicht bügelt oder so.
Aber Sie können ja auch nicht überprüfen, ob sich jemand wirklich abmeldet, wenn er zum Beispiel in die Küche geht. Oder einfach einschläft, weil die Sendung ihm vielleicht zu langweilig war.
Wir machen in regelmäßigen Abständen Checks, bei denen wir anrufen und abklären, ob sich jemand wirklich abmeldet. Wir fragen nicht die Inhalte ab, aber zum Beispiel welches Programm er gerade sieht, damit wird das dann mit unseren Daten in Echtzeit abgleichen können. So können wir checken, wie verlässlich die Daten sind. Aber Einschlafen ist ein Problem. Wenn nach sechs Stunden am Fernsehgerät nichts passiert, keine Senderwahl, keine Lautstärkeänderung, fragen wir über ein Display an der Box nach, ob der Mensch bitte bestätigen kann, ob er noch schaut.
Stimmt das eigentlich, dass Testpersonen nicht davon erzählen dürfen, dass sie eine Quotenbox zu Hause haben?
Wir schützen unser System in zweierlei Hinsicht. Zum einen bitten wir die Testpersonen, selber nichts zu offenbaren. Und zweitens verpflichten wir uns auch dazu, dass das anonym bleibt.
Warum?
Wir müssen vermeiden, dass solche Testpersonen beeinflussbar sind.
Zum Beispiel durch Bestechung?
Ja, wenn jeder wüsste, wer dabei ist, dann könnte irgendein Sender auf die Idee kommen, denen mal ein interessantes Gimmick zu schicken, wenn sie dafür mal bei der und der Sendung auf den entsprechenden Kanal schalten.
Klingt nachvollziehbar. Heißt aber auch, dass ich als Journalist keine Möglichkeit habe, zu überprüfen, ob das stimmt, was Sie mir erzählen.
Das ist richtig. Und das ist auch gut so. Sie als Vertreter der Presse sind ja ein wichtiger Konkurrent des Fernsehens. Wüssten Sie, wer da dabei ist, könnten Sie genauso Interesse daran haben, die Haushalte zu beeinflussen, wie ein Sender, der will, dass sein Kanal angeschaltet wird.
Das glaube ich nicht. Mir als Journalist würde es nicht darum gehen, die Testpersonen zu beeinflussen. Was sollte ich denen sagen? Schaut mehr Arte? Oder: Kauft mehr Zeitungen? Aber ich könnte durch so ein Gespräch überprüfen, wie die Testperson es wirklich macht.
Das hat zwei Aspekte. Der wahre, hehre Journalismus ist investigativ und fragt, was macht ihr wirklich. Das ist ja gut so. Aber die Welt tickt anders. Die Medien sind untereinander Konkurrenten, deswegen gibt es immer wieder Kampagnen zum Beispiel von Print gegen elektronische Medien, wie Fernsehen. Und da müssen wir unser System schützen.
Dann versteh ich das richtig: Die Anonymität ihrer Testpersonen ist Ihr wertvollster Schatz, und...
Ja, genau.
...und deswegen wollen Sie sich nicht in die Karten schauen lassen. Beziehungsweise haben Angst, dass die Zeitung, in unserem Fall, die Onlineredaktion, ihnen diese Karten klaut?
Die Angst ist, dass Haushalte offenbart werden und wir wieder neu anwerben müssen. Wenn nur die Gefahr besteht, dass jemand beeinflusst werden kann, durch irgendein Medium, dann haben wir die eigentlich schon verloren. Wir hatten mal einen Journalisten unter den Probanden, die Anwerbung ist ja zufällig, das kann passieren.
Haben Sie sich geärgert, als Sie es rausbekommen haben?
Der kam durchs Zufallsprinzip rein und hat das dann ausgeschlachtet. Hat einen riesen Artikel drübergeschrieben, den mussten wir natürlich abbauen, und er war verloren für uns. Die Sender haben sich geärgert und darin eine Kampagne gegen das Fernsehforschungssystem gesehen. Wobei er in seinem Artikel eigentlich bestätigt hat, was ich Ihnen erzähle.