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Wenn Gleichberechtigung beim Putzplan endet
Heute Abend haben wir WG-Treffen. Wahrscheinlich werden wir dabei Bier trinken. Wahrscheinlich werden wir lange über Dinge sprechen, die sich schnell klären lassen. Sehr wahrscheinlich wird es früher oder später ums Putzen gehen. Und sehr sicher wird es an mir liegen, das anzusprechen. Oder an einer meiner Mitbewohnerinnen. An denen halt, die es gern sauberer hätten. Und das sind selten – nein, eigentlich nie – die Jungs.
Seit ich vor knapp zwei Jahren hier eingezogen bin, haben wir eine stabile Frauenquote von 50 Prozent. Davor waren es vier Jungs und zwei Mädels. Die hatten keinen Putzplan. Jetzt ist es sauberer als früher. Das sehe ich auch, wenn ich mein Zimmer mit den Biotopen meiner männlichen Mitbewohner vergleiche: unterschiedliche Sauberkeitsbedürfnisse. Aber beim Rest der Wohnung geht es nicht um persönliche Präferenzen. Das ist sozusagen neutrales Gebiet. Eines, für das wir Kompromisse und Regeln gefunden haben und um das wir uns eigentlich gleichermaßen kümmern wollen. Zumindest klebt dieses Versprechen in Form eines bunten Rads mit weißen Pfeilen am Herzen der WG, dem Kühlschrank. In Form eines Putzplans. Das Seltsame ist: Obwohl wir politisch alle recht ähnliche Einstellungen teilen (eher links, auf keinen Fall konservativ) und klassische Rollenaufteilungen kategorisch doof finden, stellt uns dieses fatale Bastelwerk vor Diskussionen.
Besonders in der Gruppe der Selbständigen und Kreativen, stellte sich heraus, dass Frauen trotzdem den Hauptteil der Hausarbeit stemmen
Wir sind nicht nur Mitbewohner, wir sind Freunde. Wir gehen auf die gleichen Demos, organisieren zusammen Partys, teilen Freundeskreise, plakatieren gemeinsam die Stadt. Trotzdem bin meistens ich diejenige, die anregt, das Putzplan-Rad doch mal wieder weiterzudrehen. Den Küchentisch nach dem Essen abzuwischen. Kurz zu fegen, wenn der Kaffeesatz neben dem Mülleimer landet. Eine undankbare Rolle, mit der man sich nicht sonderlich beliebt macht. Und leider immer noch eine Rolle, die selbst in den alternativsten Lebenskonstellationen meistens den Frauen zukommt.
Dass dieses Phänomen besonders in linken Kreisen und nicht nur in meiner WG weit verbreitet ist, zeigt eine umfangreiche Studie der Soziologinnen Cornelia Koppetsch und Sarah Speck von den Unis Frankfurt und Darmstadt. Sie befragten heterosexuelle Paare aus verschiedensten Milieus, in denen Frauen das Haupteinkommen verdienen, nach ihrer Aufteilung der Haushaltsarbeit.
Wiedererkennungsfaktor: Besonders in der Gruppe der Selbständigen und Kreativen, stellte sich in langen Interviews heraus, dass Frauen trotzdem immer noch den Hauptteil der Hausarbeit stemmen. Eine Rollenaufteilung, die eigentlich nicht zum Selbstverständnis dieser aufgeklärten, alternativen und oft akademischen Paare passt. Und die sie selbst nicht wahrhaben wollen.
„Wir haben einfach unterschiedliche Sauberkeitsstandards“, rechtfertigen die Frauen oft ihre Inkonsequenz. „Ich wisch dann halt einfach mal schnell drüber.“ „Wäsche?“ „Macht die Maschine.“ „Aufhängen?“ „Ach so, naja, das macht man doch so nebenbei... Beruhigt mich auch irgendwie.“ Aussagen, die die Wissenschaftlerinnen immer wieder hörten, wenn Paare auf ihre ungleiche Arbeitsverteilung angesprochen wurden. Rechtfertigungen, um Streitigkeiten zu vermeiden. Um den Schein der Gleichberechtigung aufrechtzuerhalten. Um nicht diese ewige, nervige Gender-Debatte führen zu müssen. Statt ihre Partner mit dem Problem zu konfrontieren oder eingerostete Paar-Dynamiken aufzubrechen, suchen diese Frauen dann oft den Fehler bei sich selbst, obwohl sie bereits die Doppelbelastung von Arbeit, Haushalt und in manchen Fällen sogar noch Sorgearbeit für die Kinder übernehmen. Ein Mechanismus, den ich von mir selbst kenne.
Wir haben die Logik der Jungs angenommen. Wir akzeptieren, dass es sowas wie ein natürliches „Sauberkeitsbedürfnis“ gibt
Wer öfter als einmal nachhakt, wann denn jetzt wieder gewischt wird, ist unentspannt, penibel, hat einen Putzfimmel. Ich habe Angst vor diesen Zuschreibungen. So will ich nicht sein. Ich erwische mich selbst dabei, wie ich deshalb Dinge, die mich stören, nicht anspreche, sondern einfach mache. Auf dem Weg zur Küche noch die leere Bierflasche aus dem Flur mitnehmen, Kakteen gießen, alte Zeitungen wegschmeißen. „Nebenbei“-
Sachen halt. Meine weiblichen Mitbewohnerinnen erwische ich bei den gleichen „Nebenbei“-Sachen. Und das, obwohl wir im Gegensatz zu den männlichen 50 Prozent alle drei in mindestens einem festen Job plus Studium eingebunden sind, selten das Haus nach neun Uhr morgens verlassen und selten vor neun Uhr abends zurückkommen. Unseren Putzdienst machen wir natürlich trotzdem. Unkommentiert und meistens pünktlicher als der Rest. Ohne eine lautes „Ich geh jetzt mal das Klo putzen!“. Wenn wir alle diese kleinen Handgriffe, die wir täglich mit dem Dreck anderer tun, genauso lautstark kommentieren würden, wäre das ein sehr lauter und sehr langer Monolog.
Neben den schlimmen festgefahrenen Strukturen der Zuschreibungen, die vielleicht sehr viel tiefer sitzen, als wir es wahrhaben wollen, sind wir aber auch ein bisschen selbst schuld: Wir haben die Logik der Jungs angenommen. Wir akzeptieren, dass es sowas wie ein natürliches „Sauberkeitsbedürfnis“ gibt. Das wir’s eben selbst machen müssen, wenn es uns stört. Dabei ist das großer Bullshit. Es gibt keine Hormone für Sauberkeitsempfinden und es ist albern, sowas als Argument anzuführen. Genauso wenig sollten wir diese Naturalisierung oder irgendwelche „Putzfimmel“-Theorien auf uns selbst anwenden. Das einzige, was es wirklich gibt, ist dieses bunte Rad am Kühlschrank, auf das wir uns alle geeinigt haben. Unsere gemeinsame Versicherung von Solidarität und Rücksicht. Ein Vertrag, der unserem WG-Motto „alle dürfen hier alles“ entspricht, der aber eben auch meint: Alle müssen gleich viel. Ein Vorhaben, für das wir auch auf Demos gehen und Petitionen unterzeichnen: Das Versprechen auf gleiche Arbeit für alle, auch in den eigenen vier Wänden.
Deshalb wird das Treffen heute Abend vielleicht nicht bequem. Weil diese Diskussion nicht zu unserem sonstigen Lifestyle passen wird. Weil das Reden darüber unsexy ist und keinen Spaß macht. Es wird an mir als Frau liegen, das anzusprechen, weil es, wie bezeichnend für das Problem, niemand sonst tun wird. Trotzdem bin ich zuversichtlich. Weil es oft nur darum geht, den ersten Stein zu werfen, damit sich was ändert. Dieses eine Mal werde ich noch mal alle diese Zuschreibungen riskieren, damit sich was ändert. Weil ich weiß, dass wir ja eigentlich die gleichen politischen Ansichten teilen. Weil man mit Freunden über sowas reden dürfen muss, auch wenn es nervt. Denn wenn wir uns selber gerecht werden wollen, dann müssen wir streiten. Und welchen passenderen Zeitpunkt könnte es für ein solches WG-Treffen geben, als heute Abend, am 8. März, dem Weltfrauentag.