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Feminismus, ich kapier dich gerade nicht

dpa, Collage Jessy Asmus

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Eine Frau in sehr knappen Dessous wackelt mit dem Hintern, gießt sich Milch über den Latex -bedeckten Busen und leckt sich die Lippen, während sie verführerisch in die Kamera starrt. Ist das a) sexistische Kackscheiße (TM), b) sowas von egal oder c) ein empowering Statement gegen ageism, Sexismus und die Stigmatisierung von stillenden Müttern?

Wer c) gewählt hat, hat selbstverständlich recht! Zumindest, wenn man dem Tenor diverser Publikationen glauben darf.

Die Frau ist, na klar, die Sängerin Fergie, 41 Jahre alt (und damit eigentlich im Popstar-Rentenalter), Mutter eines Sohnes. Ihr Song "MILF $" und das zugehörige Video lassen sich mit der Kernaussage "BITTE ALLE MAL HERSCHAUEN" zusammenfassen. Aber weil Fergie ja nicht doof, und obendrein schon ein paar Jahre im Geschäft ist, weiß sie, dass sich Dinge mit einem Narrativ besser verkaufen. Also erklärte sie, dass ihr Song ein starkes Statement ist. Ein empowerndes für arbeitende Mütter, die sexy sind. Fergie rappt/singt/redet davon, dass sie - Stichwort "MILF Money" jede Menge Kohle hat und der Mann dagegen nur ein kleines Taschengeld. Dass sie hart gearbeitet hat und deshalb nen Drink vertragen könnten. Dass sie so motherfucking sexy ist und ihr aufgrunddessen alle an den (Milch-)Busen wollen. Dass sie, zusammengefasst, die Mehrfachbelastung Kind-Karriere-On-Fleek-und-Sexy-Ding-Sein super wuppt. 

Ends empowerig für durchprivilegierte cis-Frauen

Echt ends empowering, denkt man sich da als arbeitende Mutter, die jenseits ihres Sexytums ungefähr zweihundert andere Dinge/Sorgen/To-Do-Listen im Kopf hat, die ihr um ein Vielfaches dringlicher erscheinen. Und das, obwohl man unfassbar privilegiert, weil weiß, europäisch, Mittelschichtsdings und cis-Frau (also eine Frau, deren Geschlechtsidentität mit dem Geschlecht übereinstimmt, dass ihr bei der Geburt zugewiesen wurde) ist und heterosexuell und nicht behindert und ach ... naja, eben so was von dermaßen durchprivilegiert.

Beneidenswert also, dass Fergie und die Supermodelfreundinnen, die sie in dem Video unterstützen, das alles so hinkriegen. Aber ja doch auch ihr sehr privater Luxus. Und damit der Welt doch eigentlich unfassbar egal. Hätte ich jetzt gesagt. 

Wenn das aber so egal ist, warum wird dann das Video in meiner Timeline bevorzugt von Frauen geteilt mit einer atemlosen Begeisterung über dieses angeblich so starke feministische Signal an die Welt? Wo sehen die das genau? Und warum? In solchen Momenten wird mir klar: Ich kapier den Feminismus gerade nicht mehr.  

Fergie Kim Gina Collage 16:9
dpa, Collage Jessy Asmus

Auf der Suche nach Antworten spreche ich mit Dr. Stevie Schmiedel. Sie ist Gründerin des deutschen Ablegers der gemeinnützigen Organisation Pink Stinks. Der Verein bemüht sich darum, traditionelle Geschlechtervorstellungen in der Werbung und Industrie zu durchbrechen – mit besonderem Augenmerk auf Produkten für Kinder. PinkStinks wehrt sich also gegen Überraschungs-Eier für Mädchen, dagegen, dass Mädchenabteilungen von Kleiderketten in der Regel aussehen, als hätte ein Einhorn reingekotzt und manche Unternehmen sogar ihre Stifte geschlechterspezifisch bewerben (ja, echt, das gibt es).

 

Schmiedel hat ebenfalls ein wenig Schwierigkeiten, zu verstehen, warum so ein Video gleich zur feministischen Botschaft deklariert wird: "Ich denke, Ermächtigung spielt eine große Rolle. Fergie feiert sich, ihre Sexualität und ihren Körper. Warum man das aber gleich Feminismus nennen muss, ist eine Frage, die ich mir auch stelle."

 

Slut Shaming geht nicht 

 

Gleichzeitig macht sie eines klar: Was überhaupt nicht geht, ist "Slut Shaming". Mit dieser Strategie wurde zuletzt Gina Lisa Lohfink quer durch alle sozialen Medien diskreditiert, die momentan wegen Falschaussage in einem Vergewaltigungsprozess vor Gericht steht. Weil sie so aussieht, wie sie aussieht (mit operierten Brüsten und Lippen), weil sie in einem Werbeauftritt mit dem Spruch "Wer ist die Billigste im ganzen Land" auftrat und als Botschafterin der Erotikmesse "Venus", wird ihr von manchen Menschen das Recht abgesprochen, zwei Männer wegen Vergewaltigung anzuzeigen.

 

Analog dazu sieht Stevie Schmiedel es problematisch, wenn man Fergie das Recht auf eine wie auch immer geartete Botschaft abspricht, weil sie die in

Unterwäsche verkündet: "Die steht zu ihrer Sexualität und ihrem Körper und kann damit machen, worauf sie Bock hat." Wenn sie sich die Brüste operieren, das Gesicht machen und halbnackt vor der Kamera tanzen will, dann muss man das als Feministin aushalten, ohne sie in irgendeiner Weise zu verurteilen. Das ist nachvollziehbar, wenn auch nicht immer leicht.

 

Fergie kann selbstverständlich machen, was sie will, aber im Fall von "MILF $" betreibt sie "false advertising". Denn im Grunde genommen hat sie keine andere Botschaft als sich selbst. Weil das aber eine ziemliche Nullbotschaft ist, hat sie ihren Song mit einer vermeintlichen "empowering message", mit einer emanzipierenden Botschaft, in der aber rein gar nichts drinsteckt. 

 

Aber momentan scheint es in den (Netz-)feministischen Kreisen so eine Art Pawlowschen Reflex zu geben, erst mal prophylaktisch alles, was Frauen im popkulturellen Zusammenhang veranstalten, ziemlich unhinterfragt super zu finden: Zum Beispiel Kim Kardashian, die für ein Nacktselfie von vielen Menschen kritisiert wurde - sofort setzte der Beißreflex ein. Ausgerechnet die Frau, die sich um nichts anderes kümmert, als ihr eigenes Aussehen und ihre Marke, wird von Feministinnen vehement in Schutz genommen. Und dafür gefeiert, dass sie aus ihrem Körper Kapital schlägt.

 

Mehr Beispiele? Beyonce lässt auf ihrer Tournee kurz auf der Bühne das Wort "Feminist" aufflackern – schon kriegen alle Herzchen-Augen und erklären eine Frau zur feministische Ikone, deren Äußerungen zu gesellschaftlich relevanten Themen auf ein DIN-A4-Blatt passen.

 

Aggressive Stimmung unter Feministinnen

 

So schwer das manchmal nachzuvollziehen ist: Das alles wäre ja grundsätzlich okay bis toll, wenn nicht gleichzeitig in den deutschen Blogs und Kommentarspalten der Netzfeministinnen ein Ton herrschte, der so ganz anders klingt. Von Solidarität und "Empowering Messages" kann da keine Rede sein. Da werfen sich die Kommentatoren gegenseitig vermeintliche Ignoranz, Privilegiertheit und Bornhiertheit vor - und schlagen sich gegenseitig verbal die Köpfe ein. Die Stimmung ist aggressiv und das Gegenteil von ermächtigend.

 

Und da wird es dann eigenartig. Wie kann man Frauen feiern, die nichts anderes als sich selbst im Kopf haben - nur weil sie kapiert haben, dass man drei Reizwörter in den Raum werfen muss, damit sich die Medien damit beschäftigen? Und gleichzeitig Frauen fertig machen, weil sie womöglich einige Millimeter von der eigenen Theorie entfernt sind?

 

Was würde denn passieren, wenn diese lauten Feministen den Toleranz-Maßstab, den sie bei Fergie anwenden, auch ihren Mitdiskutierenden zugestehen würden? Dann würde viel "Ich aber noch hundertmal mehr als du"-Hate wegfallen und es wäre wieder Platz im Diskurs. Platz zum Beispiel für Inhalte. Für Fragen zu Körperbildern, Frauenbildern, Bilder von Geschlechterbildern und all diese komplizierten Dinge. Platz im besten Fall auch für Antworten auf diese Fragen. Und dann hätte vielleicht auch so eine überprivilegierte, emanzipierte working mom wie ich wieder Lust, mitzureden. 

 

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