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Plädoyer für den BH
Vorneweg: Ich verstehe Kaitlyn Juvik. Die 18-jährige Schülerin trug keinen BH unter ihrer Kleidung und ein Lehrer an ihrer Highschool im US-Bundesstaat Montana beklagte sich darüber. Ihm sei das "unangenehm". Daraufhin rief Kaitlyn ihre Mitschülerinnen zum Protest auf: ein Schultag ohne BH, gegen Bodyshaming. Wäre Kaitlyn meine Mitschülerin, hätte ich wahrscheinlich bei der Aktion mitgemacht. Aber sobald ich aus der Schule nach Hause gekommen wäre, hätte ich mir den BH sofort wieder angezogen. Denn ich trage gerne BHs. Und ich habe das ungute Gefühl, dass man das derzeit besser nicht allzu laut sagen sollte.
Seit einiger Zeit wird regelmäßig der "kein BH mehr"-Trend ausgerufen, zum Beispiel neulich wieder bei Broadly oder bei den Kollegen von ze.tt. "Bralettes" (ohne jegliche Stützfunktion und Polster) und "Bandeaus" (ein Stretch-Band ohne Träger, das quer über die Brust getragen wird) werden als neue Superbequem- und Fastwieohne-Varianten des BHs gefeiert. Aus Kaitlyn Juviks Aktion ist die Facebook-Seite "No Bra, No Problem" entstanden, sie hat mehr als 36.700 Likes. Der "No Bra day" soll das Bewusstsein für die Gefahren von Brustkrebs erhöhen. Bei der gerade kursierenden #BraTossChallenge werfen Frauen vor laufender Kamera einen ihrer BHs weg, um auf Feminismus und starke Frauen aufmerksam zu machen (wobei die meisten davon während der Aktion einen BH zu tragen und einen anderen zu werfen scheinen, aber gut). Und die Google-Bilder-Suche zu "no bra" ergibt haufenweise sexy Bilder weiblicher Stars, deren Brüste und Nippel sich deutlich unter ihren Oberteilen abzeichnen.
Ich finde diesen Trend seltsam. Und zwar nicht, weil der Verzicht auf den BH immer noch als Symbol der weiblichen Befreiung gefeiert wird. Sondern weil diese politische Botschaft dauernd mit der Behauptung verbunden wird, ein Leben ohne BH sei viel komfortabler. Und zwar für alle Frauen.
Der BH engt Frauen soziologisch ein – aber physisch fühlen viele sich gar nicht beengt
Wie gesagt: Ich verstehe Kaitlyn Juvik und ihren speziellen Fall des BH-Verzichts. Aber bei all diesen Geschichten über "Frauen tragen keine BHs mehr" werden meist zwei Dinge vermischt: Erstens die Geschichte der Unterdrückung der Frau durch den BH, seine Vorgänger und verschiedenen Formen (Korsett, Push-up, whatever). Und zweitens die schöne Alltagsstory à la "Wer kennt es nicht, das befreiende Gefühl, abends endlich den BH auszuziehen?"
Sogar Kaitlyn Juvik fragte ihre Mit-Demonstrantinnen vor laufender Kamera: "Wer von euch findet, dass BHs unbequem sind?" Alle Mädchen meldeten sich. Dabei hätte die Frage ja lauten müssen: "Wer von euch findet es unmöglich, dass ein Lehrer uns vorschreiben will, dass wir alle einen BH tragen müssen?" Dann hätten sich alle melden und gemeinsam einen Tag keinen BH tragen können, ohne, dass eine sich dabei schlecht fühlt. So herum aber hätte ich mich als Kaitlyns Mitschülerin schlecht gefühlt. Ich finde BHs nämlich nicht unbequem. Im Gegenteil.
Ich kann ja auch verstehen, wenn sich Feministinnen soziologisch vom BH eingeengt fühlen und dass der ausgezogene Büstenhalter darum ein Befreiungssymbol sein kann. Aber ich glaube eben auch, dass es eine Menge Frauen gibt, die sich physisch ganz und gar nicht eingeengt fühlen, wenn sie einen BH tragen. Wohlgemerkt: kein Korsett, keinen Push-up, kein Mieder, aber auch keine superdünnen und null stützenden Bralettes oder Bandeaus, sondern einen stinknormalen BH – Bügel, bisschen Polster, zwei Träger.
Ich bin eine dieser Frauen und ich kann die größten Vorteile eines BHs gerne aufzählen, falls sie irgendwem nicht bewusst sein sollten:
1. Sie halten warm. Im Winter ohne BH vor die Tür zu gehen, ist für mich unvorstellbar. Ich friere allein beim Gedanken daran, weil ich mir einfach keine kälteempfindlichere Stelle an meinem Körper vorstellen kann als die Brustwarzen. Außer vielleicht meine Ohren. Und da setze ich ja auch eine Mütze drauf. Der BH ist die Mütze der Brust.
2. Sie halten fest. Wer keinen Zyklus oder keine zyklusbedingten Beschwerden hat, kennt das Problem vielleicht nicht – aber irgendwann zwischen Tag 14 und Tag 28 spannen und schmerzen meine Brüste so sehr, dass ich manchmal nicht auf dem Bauch schlafen kann. Genauso wenig kann ich drei Schritte ohne BH gehen, geschweige denn laufen, ohne, dass es höllisch weh tut. Und so wie ich auch einen schmerzenden Arm in eine Schiene legen würde, lege ich meine Brüste eben in einen BH.
Ein BH wärmt im Winter. Er ist die Mütze der Brust
3. Sie fühlen sich gut an. Ja, wirklich. Vielleicht tragen die meisten einfach falsche BHs – falsche Größe, falscher Stoff, falsche Träger, was weiß ich. Ich zumindest mag das Gefühl von weichem Stoff auf der Haut. Ich bin generell einfach lieber angezogen als nackt und ich trage generell gerne weiche Klamotten. Und an einer so empfindlichen Stelle wie den Brüsten erst recht. Ich nenne das nicht "eingeengt", ich nenne das "behütet".
Darum will und kann ich nicht auf den BH verzichten. All die "Ich fühle mich ohne BH so wohl"-Frauen können sehr gerne keinen BH tragen und sich wohlfühlen. Aber sie sollen es mir bitte nicht als feministische Botschaft verkaufen, dass sie nicht schnell frieren und ihre Brüste nie weh tun, weil sie zu jeder Tages- und Jahreszeit klein und fest sind. Das ist ja noch so ein Problem dieses Trends: Irgendwelche Stars werden dafür gefeiert, dass sie ihre Side- und Underboobs aus der Kleidung blitzen lassen und das gilt dann als Liebeserklärung an die "natürliche Brust". Während die meisten Frauen, die keine Apfelbrüstchen (oder Ballonbrüste, die aber eben auch rund und straff sind) haben, bei diesem Anblick eher Minderwertigkeitskomplexe kriegen.
Schülerinnen an Highschools sollen unbedingt BH-los gegen verklemmt-sexistische Lehrer protestieren. Und Frauen, denen es taugt, sollen Bralettes oder gar nix tragen. Mir wurscht. Aber die Demonstrantinnen sollen bitte nicht sagen, BHs seien unbequem, denn das ist nun mal nicht der Grund für ihren Protest. Und die Modedamen sollen bitte nicht sagen, ihre bequeme Mode sei total feministisch, und so jeder Frau mit schmerzenden oder gar nicht mal so perfekt geformten Brüsten das Gefühl geben, sie sei unemanzipiert. Schlimm genug, dass sie sich unmodisch fühlt – wegen etwas, das sie nicht ändern kann, sondern das zu ihrem Körper gehört.
Die Autorin dieses Textes möchte lieber anonym bleiben, weil ihre Brüste Privatsache sind.