- • Startseite
- • FallFuerZwei
-
•
Zur Attac Sommer-Akademie: Wer braucht die eigentlich noch? Ein Fall für Zwei
In München tobt gerade ein Kampf ums gute Gewissen. Es geht ums Einkaufen. Die Biomarkt-Kette Basic, die in München ihren Sitz hat und mittlerweile überall in Deutschland Läden betreibt, möchte Anteile an die Schwarz-Gruppe verkaufen. Die wiederum steht hinter der Discount-Kette Lidl und ist in den vergangenen Jahren wiederholt für ihre Unternehmespolitik in die Kritik geraten. „Mit dem Einstieg des Lidl-Eigentümers bei Basic treffen komplett gegensätzliche Unternehmensphilosophien aufeinander“, kommentierte die taz den geplanten Verkauf, der am Freitag Thema der nicht öffentlichen Hauptversammlung der Basic AG war.
„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.
Der Protest geht baden: Bild von einer Attac-Demo, Foto: dpa Die Geschichte der Biomarkt-Kette und des Discount-Riesen ist aus zwei Gründen interessant, wenn man sich zum derzeiten Zustand des globalisierungskritischen Netzwerks attac äußern möchte: Zum einen war sie der Grund für eine (seit langem mal wieder) relevanten Äußerung der Globalisierungskritiker. Attac-München richtete einen so genannten Mailomaten ein, über den man Protestschreiben verschicken konnte. Zum zweiten beweist die Geschichte vom Bio-Disounter: Ethischer Konsum (jetzt.de berichtete) ist ein ständig wichtig werdender Weg, seinen Protest auszudrücken. Bisher hat sich noch keine Partei oder Organisation wirklich diesem Thema angenommen. In England und Amerika ist die Bewegung der so genannten Neo-Greens oder Lohas bereits ein relevanter (Wirtschafts-)Faktor. In Deutschland jedoch scheint immer noch die Vorstellung vorzuherrschen, man müsse nur provokante Plakate malen und schon sei man politisch. Dass eine andere Welt auch und vor allem durch anderen Konsum möglich werden kann, ist vielleicht auch bei attac angekommen. Voranzutreiben scheint das Netzwerk diesen Gedanken jedoch nicht. Stattdessen macht Attac merkwürdige Schlagzeilen für Heiner Geissler (hier den FallFuerZwei bei jetzt.de lesen). In den 90er Jahren sammelte Attac interessante Ideen und Ansätze und machte sie für Sympathisanten attraktiv. Heute gelingt zumindest der zweite Teil nicht mehr. Die Wahrnehmung des Netzwerks ist vielmehr die eines langweilgen Arbeitskreises, der wieder und wieder diskutiert, aber nichts tut. Ein anderer Protest ist möglich, attac! Mach doch einfach mal wieder mit!
Ja, mich nervt Attac auch ganz oft. Wenn die Aktivisten bei Demos nicht nur demonstrieren, sondern auch noch den „Bewegungskanon“ singen und zudem die Samba- und Straßentheatergruppe ausrücken, man aber nicht weiß, wofür oder wogegen sie singen und tanzen. Außerdem werde ich auch manchmal den Verdacht nicht los, dass sich dort hauptsächlich meine ehemaligen Erdkundelehrer treffen, die finden, dass die Menschen in Afrika ein viel ursprünglicheres Verhältnis zur Natur haben als wir im Westen, und Plakate mit der Aufschrift „Eine andere Welt ist möglich“ vor sich hertragen. Die Zeitschrift „konkret“ bezeichnete Attac auch einmal als Verein von „Weltverbesserern und Pfaffen, Geldpfuschern und Kleingärtnern“. Aber genau das macht Attac aus, dass dort die Sambagruppe tanzt, während Kleingärtner über Regionalwährungen diskutieren, Geldpfuscher über Hedgefonds, Pfaffen über die EU-Verfassung und mein ehemaliger Erdunkelehrer über den Klimawandel. Allein in den wenigen Tagen der Sommerakademie in Fulda fanden 50 Vormittagsseminare, 90 Workshops und 15 große Podiumsdiskussionen statt, in denen Themen wie „Kaufboykotte oder Kaufempfehlungen als globalisierungskritische Aktionsformen“, „Lobbyismus in Brüssel und Klimapolitik“ und „Osteuropa vor dem Kollaps“ verhandelt wurden.
„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.
Zusammenkommen und reden: Bild von einerm Attac-Strategietreffen, Foto: dpa
Es gibt Leute, die sich mit den klassischen Attac-Themen wie der Einführung einer internationalen Steuer beschäftigen, es geht aber auch um andere Pädagogik-Konzepte, um Sozialabbau, um Wasserversorgung aus kommunaler Hand, die Nato-Sicherheitspolitik, die Einführung einer Kulturflatrate, um das Urheberrecht an die Zeiten des Internets anzupassen, um die Privatisierung der Bahn, um eine transparentere Struktur der vier großen Energiekonzerne und um fairen statt freien Handel. Und so vielfältig die Themen, so vielfältig sind auch die Leute, die in den 200 angemeldeten und gleichberechtigten Ortsgruppen allein in Deutschland mitmischen. In nur einem von 50 Ländern, in denen es Attac gibt. Und diese Leute streiten sich selbst permanent über das richtige Konzept und darüber in welche Richtung sich Attac entwickeln soll.
Attac will die Vielfalt und – das ist das wichtige – hält sie auch aus. Chico Whitaker, einer der Mitgründer des Weltsozialforums, der dafür mit dem Alternativen Nobelpreis ausgezeichnet wurde, hat diese Haltung einmal sehr schön beschrieben. Auf die Frage, wie er sich die Weltwirtschaft wünsche, antwortete er: „Das ist ganz unmöglich, unsere Ziele in einem Dokument zusammenzufassen. Und wissen Sie was? Darüber sollten so viele Dokumente wie möglich verfasst werden.“ Deshalb gibt es kein Grundsatzprogramm, das sich in einigen wenigen Punkten zusammenfassen lassen und vermitteln könnte. Deshalb gibt es nicht den großen, einen Gegenentwurf.
Genau dafür bin ich dankbar und deshalb finde ich den Vorwurf nicht richtig, dass man nicht weiß, was Attac eigentlich fordert.
Denn das nervt mich an der etablierten Partei-Politik, dass sie immer so tut, als hätten sie für alles eine Lösung, aber die Realität straft sie Lügen. Worten und Taten fallen immer mehr auseinander. Die Parteien scheinen noch nicht einmal zu wissen, in was für einer Welt sie leben wollen, also können sie auch nicht versuchen, sie so zu gestalten. Das frustriert.
Attac dagegen diskutiert, kritisiert, sagt oftmals „nein“, aber entwickelt auch Visionen und Ideen für neue Steuermodelle, Wirtschaftstheorien und Umweltszenarien. Das ist nicht populär, weil es den gut geölten Betrieb stört, und weil es die Mehrheit, die einfach nur ihre wohlverdiente und berechtiget Ruhe haben wollen, nervt. Vor allem, wenn dir die neue Weltordnung mit Sambarhythmen eingehämmert werden soll.
Vielleicht kann man das dann auch nicht ernst nehmen und vielleicht ist vieles weltfremd und lässt sich widerlegen. Aber auch die Kritik an den Kritikern kann man oft genug wiederum kritisieren (auch Weltbank und Internationaler Währungsfonds haben ihre liberale Wirtschaftspolitik verändert, nachdem die Währungen der asiatischen Tigerstaaten zusammengebrochen sind). Und wenn man sich immer nur auf das angeblich Machbare beschränkt, kann sich nie etwas weiterentwickeln und verändern. Und deshalb bin ich dankbar, dass es all die ehemaligen Erdkundelehrer, Kleingärtner und Weltverbesserer von Attac gibt.
Text: caroline-vonlowtzow - dirk-vongehlen