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Wahlrecht für Kinder? Yeah! Sagt Yvonne. Nein! Sagt Stefan
Mail 1 Betreff: Wahlrecht ab Geburt - so ein Käse Liebe Yvonne, schau mal: ich habe heute früh um 6.43 Uhr eine Pressemitteilung von der Familien-Partei gekommen. Um 6.43 Uhr! Die spinnen doch. Darin fordert diese - mir bis 6.43 Uhr unbekannte - Partei die "zügige Umsetzung des Wahlrechts ab Geburt". Zwei Dinge verwirren mich daran: erstens ist die Formulierung "zügige Umsetzung" doch immer ein Hinweis darauf, dass man etwas garantiert niemals machen will. Der von meinen Eltern geforderte Anruf bei meiner Oma wird zum Beispiel immer mit dem Versprechen einer "zügigen Umsetzung" beschieden, also verschoben. Und zweitens finde ich das Ganze inhaltlich fragwürdig: Die ehemalige SPD-Familienministerin Renate Schmidt hat vorgeschlagen, dass jeder ab Geburt wählen darf. "Die Politiker der etablierten Parteien orientieren sich aus Gründen der Wiederwahl an den mit steigender Tendenz lebenslang kinderlos bleibenden Wählermehrheiten." Gut so, würde ich meinen. Politiker sollen sich an der Mehrheit orientieren. So geht doch Demokratie. Oder etwa nicht? Sag mal was, du als Renate Schmidt der jetzt-Redaktion Stefan +++
„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.
Mail 2 Betreff: Spinnst Du? Grüß Gott, Stefan, mit Verlaub: das ist Tinnef. Klar orientieren sich die Politiker an der Mehrheit. Aber, Problem: Wenn irgendwann nur noch kinderlose Alte wählen dürfen, dann haben wir in zwanzig Jahren top-mäßige Altenheime, um Jugendliche und deren Interessen aber kümmert sich keiner mehr. Hey, da würde ich als Politiker auch sagen: Also wenn nur zehn Prozent meiner Wähler zwischen 0 und 18 Jahren sind, dann kann ich es mir auch gleich sparen, die anzusprechen. Und das muss man verhindern! Wie? Indem man Kindern und vor allem Jugendlichen Stimmzettel in die Hand drückt. Funktionieren tut das so: Die Eltern füllen solange den Stimmzettel für ihre Kinder aus, bis die Kinder sagen, dass sie nun selbst wählen möchten. Im besten Falle füllen schon die Eltern die Zettel im Interesse der Kinder aus. Soll heißen: Die Interessen der immer kleiner werdenden Herde der Nachwachsenden in Deutschland bekommt wieder ein Gewicht in Deutschland. Und stell dir vor, wie das wär, wenn plötzlich 15 Millionen Wähler mehr in den Wahllisten stünden! Die Politiker würden auf den Marktplätzen und in den Zeitungen wieder eine verständliche Sprache reden, eine Art „logo“-Nachrichten-Sprache. Dann würden auch manche Eltern mal kapieren, wofür die Politiker sind. Und wenn ich mir erst die Debatten am Küchentisch zwischen einem 13-Jährigen Steppke und der 40-Jährigen Mutter über Bildung vorstelle – tolltoll! Das ist doch die Politisierung, die du dir immer wünschst, oder? Deine einstige Familienministerin Renate Schmidt aka Yvonne. Der Streit spitzt sich zu, Stefan kontert und Yvonne kriegt einen ziemlichen Hals: Auf der folgenden Seite liest du noch zwei Mails und dann die Debatte der jetzt.de-User
„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.
Mail 3 Betreff: Dann wählt dir dein Vater CSU! Liebe Renate, äh Yvonne, nehmen wir mal für einen Moment an, Deine Argumenation stimmt. Und schauen wir uns meine ehemalige Klasse an. Dort hätte dein Vorschlag dazu geführt, dass die CSU jede Menge Stimmen mehr bekommen hätte, als sie eh schon hat. Denn dann hätten die CSU-Väter meiner Antifa-Freunde einfach bis zur Volljährigkeit ihrer Kinder CSU - und damit einen massiven Familienstreit gewählt. Und das wäre, jetzt ich mit Verlaub, Tinnef: Eltern denken konservativer als Kinder. Meistens jedenfalls. Und im Streitfall hätten die Eltern bis zur Volljährigkeit ihrer Kinder das Stimmrecht. Das wäre meines Erachtens schlimmer als jetzt, wo es so ist, dass man als 15-Jähriger Antifa-Junge immerhin keine Stimme hat. Das ist aber weit besser als eine CSU-Stimme, oder? Darüberhinaus: In einer Gesellschaft, in der es viele Alte gibt, ist es doch auch gut, wenn deren Interessen gut vertreten werden. Oder nicht? Meiner Meinung nach wäre eine Herabsetzung des Wahlalters auf 16 Jahre angemessen. Aber dass Kleinkinder, die nicht mal ein U-Bahnticket lösen können, die Besetzung des Bundestages bestimmen sollen, halte ich für Quatsch. Dein Stefan +++
„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.
+++ Mail 4 Betreff: Hallo? Checkst Du´s überhaupt? Ach Mensch, Stefan, der Clou ist doch, dass jedes Kind, das sich in der Lage fühlt, selbst zu wählen, sich ins Wählerverzeichnis eintragen könnte und fortan die persönlichen Wahlunterlagen zugestellt bekäme. Da können die Eltern nur so lange wählen, bis ihr Kind aktiv wird. Und außerdem: Es gibt immer doofe Eltern. Aber in einer Demokratie geht man grundsätzlich von patenten Eltern aus, denen das Wohl ihrer Kinder am Herzen liegt. Sollte das mal nicht der Fall sein, nun, dann fände ich auch ein paar verbale Auseinandersetzungen zwischen Eltern und Kindern nicht beklagenswert. Und dein Kleinkind-Argument greift nicht: Klar sehen wir keine Sechs-Jährigen an der Urne. Aber vielleicht fitte 13- bis 15-Jährige, die sich bislang in Kinderparlamenten, in Jugendparlamenten vergnügen mussten, ohne wirklich auf die Politik Einfluss zu nehmen. Allein diese Politik-Kultur, wie es sie für Kinder und Jugendliche schon gibt – in den Sommerferien – die ist doch DAS Zeichen, dass der Nachwuchs alle Tassen im Schrank hat. Also: Nochmal die Vorteile vom Wahlrecht von Geburt an: - Politiker müssen klarer reden - In den Familien wird wieder über Politik gezofft - Die Gesellschaft muss sich mehr mit dem Nachwuchs auseinandersetzen - Wir hätten, laut Papier, fast 15 Millionen Wähler mehr. Das tut einer Demokratie nur gut. Große Grüße von Deiner Yvonne, alias Ursula von der Leyen (die findet meine Haltung sicher auch super). +++ Text: stefan-winter und yvonne-gamringer Fotos: ddp, dpa