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Like-Polizei, ja oder nein?
Das Unfriend-Tool ist schlimm! Denn es kombiniert Heuchelei mit Denunziantentum, findet dorian-steinhoff.
„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.
Dennis gefällt Nickelback, Peter gefällt die NPD und Sabrina will zu Guttenberg zurück. In den letzten Tagen wurde auf Facebook sehr häufig ein Tool geteilt, mit dessen Hilfe man seine Freundesliste filtern kann, um herauszubekommen, wer schlimmen musikalischen Vorlieben, Gerne-Groß-Betrügern oder indiskutablen Parteien einen Daumen-Hoch-Klick geschenkt hat. Das Tool heißt: „Who To Unfriend On Facebook“. In den Kommentaren unter den Postings tauschen sich die glücklichen Anwender darüber aus, mit wie vielen Nazis man bis eben noch befreundet war und fordert: jetzt das Ganze noch für die AfD oder Casper oder Frei.Wild. Rein sei meine Freundesliste!
Gutgelaunt erliegen die Entfreunder der Verlockung einer Geschmacks- und Überzeugungshomogenität und folgen einer digitalen Prangerkultur. Sie wollen Gleiche unter Gleichen sein, unberührt von dem, was sie ablehnen. Sie vergessen, dass Trennung und Abgrenzung Praktiken sind, die geschlossene Systeme befördern, die – ich denke das jetzt etwas dramatisch zu Ende – ein Gemeinwesen ins Wanken bringen können.
Na gut, das ist doch legitim, könnte man denken. Die Timeline ist selbst ein großes Filterprodukt, so funktioniert Facebook, nun auch selber Freundeslisten zu filtern, ist folgerichtig. Stimmt, aber die Logik einer Handlung verändert sich nicht in Abhängigkeit davon, ob ich sie auf Facebook oder im Analogen vollziehe. Das macht „Who To Unfriend“ so fatal: Unter dem Deckmantel der digitalen Pausenhofbeschäftigung bläst man zur Hexenjagd auf die einfachsten Ziele.
Zugegeben, natürlich will ich nicht mit einem Nazi auf Facebook befreundet sein und natürlich schaue ich mir auch nicht alle 567 Like-Angaben eines Profils an, bevor ich jemanden als Freund hinzufüge. Aber ich nehme auch keine Freundschaftsanfragen von Leuten an, die mir vollkommen unbekannt sind, die ich nicht zumindest meinem erweiterten Umfeld zuordnen kann und zu denen es auch sonst keine Querverbindungen gibt. Ich glaube, so kann ich ausschließen, mich mit dem Fahnenschwinger der letzten NPD-Demo anzufreunden. Bevor man also mit einem Filter als Unkrautstecher durch das Feld seiner unbekannten Freunde pflügt, gilt: think first! Ein Enttarnungsinstrument schützt nicht vor der eigenen Wahllosigkeit (die man sich beim Filtern auch noch eingestehen muss).
Und: Ist der Nazi, den man entfreundet, dann eigentlich kein Nazi mehr? Welchen Nutzen hat es, sagen zu können: „Hurra! Ich habe keinen NPD-Fan mehr in meiner Freundesliste und auch keinen Nickelback-Hörer und auch keinen zu Guttenberg-Verklärer!“? Nur den einen: Man fühlt sich ein bisschen besser! Der eigene Musikgeschmack fühlt sich etwas überlegener an, die politische Überzeugung ein bisschen korrekter; und dieses Wohlgefühl kann man auch noch öffentlich ausstellen und seine Überlegenheit mit denen teilen, die sich genauso überlegen fühlen wie man selbst. Schade, dass man gesäuberte Freundeslisten so schlecht fotografieren kann, würde doch ein super Instagrampost abgeben. Ich und meine nazifreie Freundesliste. Toll!
“Who To Unfriend” ist Ego-Wellness auf Kosten anderer. Dabei bedienen sich die Säuberungsfreunde einer Prangerpraxis, die so gar nicht zu ihrer ausgestellten Sauberkeit passt. Ich weiß nicht, was schlimmer ist: Heuchelei oder Denunziantentum. Sicher ist: Beides ist abstoßender als Nickelback.
Das Tool ist doch super! Denn wer Facebook-Freunde aussortiert, sortiert sich endlich selber aus, meint jan-stremmel.
„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.
Meine Cousine mag also Nickelback. Fünf meiner Freunde folgen MC Fitti. Und die NPD gefällt keinem. So, so.
Was mir dieses Facebook-Tool über meinen virtuellen Freundeskreis verrät, überrascht mich kein bisschen. Warum? Weil ich grundsätzlich weiß, mit wem ich mich auf Facebook angefreundet habe.
Das ist meine Erklärung dafür, dass ich bislang zu keinem meiner Freunde die späte und erschreckende Erkenntnis gemacht habe: Oha, dieser Olaf, der ständig in meiner Timeline auftaucht, ist in Wahrheit ein Anhänger verfassungsfeindlicher Organisationen oder hört kanadischen Windelrock.
Deshalb kann ich Leute wie dich, die jetzt großes Denunziantentum auf Facebook beklagen, nicht verstehen, schon ganz prinzipiell, und zwar aus zwei Gründen: Einmal, weil ich finde, dass man einen NPD-Anhänger in greifbarer Nähe gar nicht öffentlich genug mit Pisse bewerfen kann, und sei es in metaphorischer Form eines Facebook-Posts wie "Na sieh mal an, der Olaf mag die German Defence League!". Eine Hexenjagd ist das keineswegs. Es geht hier schließlich nicht darum, Tagebucheinträge öffentlich zu machen, in die man mit genug bösem Willen eine rechte Gesinnung hineinlesen kann. Es geht um öffentlich zur Schau getragene Unterstützung. Deshalb muss ein NPD-Follower damit zurechtkommen, dass man ihn öffentlich als solchen bezeichnet.
Und dann sind da noch die Nutzer dieses Tools, und hier sind du und ich gar nicht so weit voneinander entfernt. Denn jemand, der sich diebisch über eine Handvoll NPD-Schergen in der eigenen Freundesliste freut und sie nebst lässigem Statusupdate („Fünf Nazi-Deppen gelöscht - check!“) öffentlich entfernt, zeigt ja in lupenreiner Form, dass er ein eitler Geck im Endstadium der Hirnlosigkeit ist, der seine Facebook-Freunde offenbar völlig wahllos um sich schart. Wie ein Clubbetreiber, der erst mit großem Hallo jeden am Türsteher vorbeiwinkt, um sich dann drinnen über die geschmacklosen Turnschuhe seiner Gäste lustigzumachen. Muss ich so jemanden ernstnehmen? Eben. Vielleicht beißt sich hier meine Logik in den Schwanz, aber eigentlich muss man dem Unfriend-Tool doppelt dankbar sein: Es outet nicht nur eklige NPD-Freunde, die man ja, so es sie im eigenen Umfeld gibt, tatsächlich mal löschen sollte. Sondern es markiert auch generell eklige Leute, die es für nötig halten, auf der großen Bühne Mängelexemplare aus dem Freundeskreis zu jäten.
Ach ja: Dass meine Cousine Nickelback mag, überrascht mich so wenig wie es mich schockiert, aber auch hier bin ich dem Unfriend-Tool dankbar für den Hinweis. Denn ich sehe gerade, in drei Wochen hat sie Geburtstag, und kam da nicht kürzlich dieses Best-of-Album?
Text: jetzt-redaktion - Illustrationen: Katharina Bitzl