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Indie-Titanic oder Shuffleboard-Paradies?
Allerdings, findet lars-weisbrod:
Shuffleboard statt Flunkyball
Ich habe in meinem ganzen Leben nie auf einem Rock- und Popfestival gezeltet und Wasserfahrzeuge aller Art gemieden, wenn man schwanenförmige Tretboote einmal ausnimmt. Vermutlich kann man nur so zu der von jeder traurigen Realität unbefleckten Erkenntnis kommen: Wie großartig muss doch ein Festival auf einem Kreuzfahrtschiff sein! Kreuzfahrten gelten spätestens seit David Foster Wallaces Reisereportage „Schrecklich amüsant – aber in Zukunft bitte ohne mich“ als gesellschaftliches Unding, das jedem halbwegs gesunden Menschen den Verstand raubt. Dabei zeichnet der großartige Wallace ja ein viel differenzierteres Bild: Kreuzfahrten sind ein intensives Erlebnis, das dem Passagier die ganze Krux mit der modernen westlichen Zivilisation und ihrer Freizeitgestaltung monsterwellenmäßig ins Gesicht spült. Wie könnte man dieses Erlebnis besser krönen, als Jarvis Cocker auf die Schiffsbühne zu stellen und ihn darüber singen zu lassen, dass jeder Touristen hasst?
Man muss ja nicht einmal dieses grausame, tiefe Wasserbecken namens Meer mögen, um sich auf einem Schiff wohlzufühlen, denn Schiffe gehören nicht irgendwie als Zubehör zum großen Ozean dazu: Sie sind dessen Gegenteil. Wo ein Schiff schwimmt, genau da ist ja gerade eben kein Meer, sondern fester, Piña Colada bekleckerter Untergrund. Genau wie auf einem Festival auf grüner Wiese: Wo die Zelte stehen, da ist das Gegenteil von Natur. Man hat die Natur um sich herum, man macht sie aber keinesfalls mit – das ist der schöne Trick, den Kreuzfahrten und Festivals gemeinsam haben. Überhaupt ergeben sich liebenswürdige Ideen, wenn man Kreuzfahrtklischees mit Festivalklischees kombiniert: Statt orangener Jägermeisterhüte trägt man die viel cooleren orangenen Schwimmwesten, statt Flunkyball wird das wesentlich schickere Shuffleboard gespielt und beim Kapitänsdinner gibt es keine brennende Torte, sondern Frischeiwaffeln mit Eierlikörsprühsahne und Wunderkerzen drauf.
„Dämliche Festivalklischees“, rufen jetzt die Kids aus dem Poptheoretiker-Ausguck herunter, „es geht doch bei Festivals um Musik und ihre Aufführbarkeit!“ Stimmt natürlich. Aber wo sollte Musik schöner aufgeführt werden als auf ein Schiff? Festivals haben ja tatsächlich einmal das Konzept der Freiluftmusik entstaubt, die früher nur in Strandmuscheln auf Kurpromenaden stattgefunden hat. Konsequenterweise ist der Popbetrieb mittlerweile auch in andere völlig obsolete und nur noch durch Kitsch und Nostalgie zusammengehaltene Orte eingerückt: Zirkuszelte, Speisewagen, Philharmoniesäle. Jetzt wird eben auch die Bühne der Kreuzfahrtschiffe von Musical-Gastspielen und der B-Besetzung der Blue Man Group zurückerobert.
Alles, was einmal Frei- und Auszeit versprach, dann aber zu bloßer Routine erstarrte, kann gerettet werden, wenn zeitgenössische Popmusik sich ihm annimmt, mit ihrem Kunstgriff, irgendwie ironisch gemeinte Routine und Ekstase miteinander zu verknüpfen. Und wenn das Schiffsfestival dann absäuft (wegen Loch im Boot, nicht wegen Regen), kann Mr. Cocker in Anspielung an die legendärste Musikaufführung der Seefahrtgeschichte zu seiner Band mit jener ironischen Routine sagen:
"Gentlemen, it has been a privilege playing with you tonight."
„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.
Bloß nicht, meint quentin-lichtblau:
Die Indie-Titanic,
oder: Won't it be strange when we're all fully grown
Eigentlich habe ich James Murphy immer bewundert für das würdevolle Ende, das er mit LCD Soundsystem gefunden hat. Nach dem dritten Album angekündigterweise Schluss machen, furioses Konzert im Madison Square Garden und gut ist. Platz für Neues machen, mit dem DFA-Label neue Projekte aus dem Hintergrund fördern, vorbildlich. Kein zerstrittenes Ende mit indirekt impliziertem Versöhnungs-, beziehungsweise Reunion-Verdacht. Und vor allem kein langsames Ausfaden des Ruhms, begleitet vom absoluten Sell-Out Gau, der irgendwann auf Shopping Mall Eröffnungs-Bühnen oder mit allabendlichen Shows in Las Vegas endet.
Umso überraschter war ich, Murphys Name im Line-Up des unglaublich dämlichen S.S. Coachella wiederzufinden, einem "Festival" auf einem Kreuzfahrtschiff. Dort können betuchte Alt-Indie-Rockfans im Ballsaal eines Ozeanriesen ebenso gealterten Bands beim Ausverkauf ihres letzen Rests an Glaubwürdigkeit zuschauen. Mit Pulp, The Rapture oder Hot Chip besteht das Booking, neben ein paar mehr oder weniger neuen Acts, aus einer ziemlich abgestandenen Konsens-Suppe der Endneunziger-Anfangnuller-Generation des alternativen Mainstreams. Deren Protagonisten hätten wohl noch vor ein paar Jahren Auftritte auf einem Kreuzfahrtschiff als schlechten Hoax des NME abgetan. Solche Gigs waren nämlich bis vor kurzem maximal gescheiterten Musikerexistenzen vorbehalten, die sich über ihre täglich gleichen Animationsshows im durch die Welt schippernden Schiffsbauch wenigstens ein leichtes Gefühl von Freiheit und Tourleben erhalten wollten. Genauso die Passagiere mit dem Wunsch, sich im Herbst ihres Lebens noch eine Weltreise im Rundum-Sorglos-Paket zu gönnen und ihre Rente für teure Cocktails an der Sunset-Bar zu verprassen.
Wer nun glaubt die Coachella-Veranstalter wären sich dieser absoluten Antithese zum normalen Open-Air-Festival mit Schlamm und Dosenbier bewusst und würden auf witzig-charmante Weise mit dem Kreuzfahrt-Klischee spielen, der irrt. Im Gegenteil, die fast schon obszöne Spießigkeit der Ausführungen auf der Festivalseite steht denen eines AIDA-Clubschiff-Prospekts in nichts, aber auch gar nichts, nach.
Mit einem Festival im klassischen Sinne hat diese Indie-Rentner-Veranstaltung nämlich in etwa so viel zu tun wie Jarvis Cocker mit einem ernstzunehmenden Sexsymbol. Die egalitäre Atmosphäre des Campingplatzes wird ersetzt durch Kabinen in mehreren, abgetrennten Klassen. Die reichen von der Mini-Kabine für 500 Dollar im unteren Abschnitt des Schiffs bis zu den Royal-Suites am Oberdeck für 9000 Dollar. Zweitere sind ausgestattet mit einem Panorama-Balkon, Whirlpool und einem "European-Style"-Butler, der den Gästen 24 Stunden am Tag zur Verfügung steht. Mitgebrachte Getränke sind da selbstverständlich tabu, auch der Rausch ist durchorganisiert; in Pubcrawls durch die Schiffsbars mit illustren Namen wie "Michael's Club", "Martini Bar" oder "Ensemble Lounge" sollen verklemmte Passagiere von Animateuren zur Kontaktaufnahme mit anderen gebracht werden. Die Zeit zwischen den Konzerten kann sich der Besucher außerdem mit Mutti-Aktivitäten wie Yoga, Maniküre oder einem Schreib-Workshop vertreiben, natürlich gegen Aufpreis. Daneben gibt es eine Duty-Free-Mall, Nouvelle-Cuisine Restaurants, einen Spa-Bereich und ein Crocket-Feld (genau, dieses Spiel mit den Holzhammerschlägern, das schon damals im Garten deiner Großeltern langweilig war). Damit dürfte wohl auch der letzte Hauch von Festival-Anarchie im Keim erstickt werden.
Fraglich bleibt, wieso sich ehemals gestandene coole Säue an einem solchen Credibility-Horrortrip freiwillig beteiligen. Ist die S.S.-Coachella der letze Sargnagel eines Genres, das irgendwann mal Anti-Kommerzialität und den Hang zum Nischenpublikum für sich beanspruchte und nun immer mehr zur Hintergrundmusik in H&M-Filialen und Lifestylefaktor in Bierwerbungen verkommt? Oder ist das Ganze vielleicht doch ein gut gemachter Scherz? Ein Promo-Stunt für das echte, dreckige Wüsten-Coachella? Auf diesen Gedanken komme ich, als ich mich noch einmal durch die Liste der "On-Board-Activities" scrolle. Da wird auf der Rasenfläche des Sonnendecks ein exklusives Wine-Tasting angeboten. Betreut wird die Degustation hochwertiger Naturtropfen von einem prominenten Weinkenner, sein Name: James Murphy.