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Fremde Menschen in der Timeline
„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.
Wir sind doch alle öffentlich - sagt Yvonne Gamringer
Ich habe Kollegen, die stellen bei Facebook soviel Zeug rein, dass ich daran zweifle, ob sie sonst noch etwas anderes tun. Einmal hatte ich den interessanten Gedanken, ob es nicht was wäre, man würde sich als Berufsbezeichnung den „Poster“ ausdenken, also den Menschen, der den Tag lang nichts tut als Dinge online zu stellen, die sich andere anschauen. Dann wären gleich weniger Journalisten auf dem Arbeitsmarkt, weil es plötzlich ganz viele Poster gäbe und man müsste sich nicht mehr so schrecklich um die wenigen Arbeitsplätze bei den Zeitungen und Sendern balgen.
Einer meiner Facebookfreunde geht zum Beispiel nur mit der Handykamera durch den Tag und seltsamerweise ist er der Einzige, dem ich seinen neuen Beruf als Poster nicht nachtrage. Er erzeugt mit seiner Arbeit sozusagen originären Content. Er belässt es nicht dabei, Links und Videos zu verlinken, er stellt Bilder von Menschen hoch, die ihm in der Bahn, auf dem Rad und in der Stadt begegnen. Meistens sind die Bilder Stil-Statements. Wenn man es übertreiben will, kann man sagen, die Bilder ergeben so etwas wie einen sehr minimalistischen Modeblog. Sehr häufig sind Schuhe von Männern und Frauen zu sehen, sehr häufig sieht man Menschen von hinten, wie sie gerade etwas anschauen oder wie sie in eine Richtung laufen. Die Bilder sind ohne das Wissen der Fotografierten entstanden. Für mich ist das total in Ordnung. Jeder, der sich auf der Straße bewegt oder in die Bahn steigt, muss damit rechnen, gefilmt, fotografiert oder sonst wie wahrgenommen zu werden. Wie soll ich mich dagegen wehren, bei einem Spaziergang durch Rothenburg ob der Tauber auf die Fotografien japanischer Touristen zu kommen? Soll ich dem Pro7-Kameramann eines über die Rübe ziehen, der für einen Nachrichtenbeitrag die vorweihnachtliche Menschenmenge in Münchens Fußgängerzone abfilmt und mich dabei aus Versehen wenige Sekunden in Großaufnahme zeigt, wie ich das Bild kreuze? Hä?
Ich halte es für sehr unwahrscheinlich, dass man sein Bild von sich derart schützen kann. Deswegen finde ich nichts an fremden Menschen in der Timeline meines Freundes. Ich finde auch nichts dabei, wenn man anhand der Bilder Kleidung diskutiert oder einfach nur Beobachtungen austauscht. Die betrachtende Öffentlichkeit ist an der Stelle ja auch begrenzt. Wir befinden und nicht auf einer Nachrichtenwebsite oder in der Zeitung, wir betrachten in einer kleinen Gemeinschaft ein Fundstück aus der Gegenwart. Ein Foto. So einfach und so entspannt, finde ich, muss man das betrachten. Niemand kommt dabei zu Schaden, niemand wird in ein großes öffentliches Licht gezerrt. Niemand wird verletzt. Es ist ein privater Spaß, denn was ist Facebook anderes als die Abbildung meiner Privatheit im Netz. So what?
Auf der nächsten Seite: Warum Christian Berg gegen Fremd-Fotos im Netz ist.
Sympathisch geht anders - sagt Christian Berg
Menschen, die die Namen Waldorf und Statler kennen, finden es meist sehr lustig, die beiden alten aus der Muppetshow zu imitieren. Sie gefallen sich darin, so zu tun, als seien sie externe Beobachter des Lebens im Allgemeinen, die von außen ihre Kommentare abgeben - zu ganz konkreten Situationen. Meist glauben sie, sie seien dabei lustig und kultivieren ihre Kommentarperspektive mit einer "typisch ich"-Haltung zum Leben.
Über den Humor dieser Haltung mag man streiten, sie hat aber immerhin einen Vorteil gegenüber dem hier diskutierten Phänomen: Sie stellt sich der Debatte. Man kann den Waldorfs und Statlers dieser Welt in die Augen gucken, man kann ihnen widersprechen oder sie beschimpfen. Sobald sie sich jedoch in ihre Timeline zurückziehen und sich dort mit den mit ihnen befreundeten Menschen gleichen Schlags darüber verständigen, wieviel besser, modischer und stilvoller sie sind, wird es unsympathisch. Denn die zufällig fotografierten Menschen aus der U-Bahn haben keine Chance sich zu wehren. Sie werden mit der gleichen distanzierten Überlegenheit analysiert wie Dschungel-Campbewohner - mit dem großen Unterschied, dass letztere dafür bezahlt werden sich verspotten zu lassen.
Wer einfach nur so in der Jogginghose durch die Stadt läuft, mag vielleicht ein Depp sein, dass er deshalb zum Thema einer arroganten Facebook-Freundschaft wird, hat er dennoch nicht verdient. Wenn Menschen aus der bequemen Position vor dem Bildschirm Kommentare abfeuern und andere beleidigen, weil diese angeblich zu wenig Stil haben, ist das paradoxerweise selber ein Zeichen von Stillosigkeit. Oder um es mit Oliver Kahn zu sagen: Wer so agiert, hat keine Eier.