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Food-Pornografie - muss das sein?
Zeigt her eure Essen, sagt Philipp Mattheis
„Hört endlich auf, euer Essen zu fotografieren“, stand letztens in der Facebook-Statuszeile einer Freundin. Ein gutes Dutzend Personen stimmte mit ihr sogleich überein. Mit der verdammten Mampf-Pornografie müsse endlich Schluss sein, forderten sie und beklagten sich über die Aufringlichkeit, mit der manche Leute ihr Essen unter die Nase binden.
Dass das Fotografieren des eigenen Essens in letzter Zeit überaus zugenommen hat, ist wohl wahr. Täglich postet irgendjemand Deftiges wie ein blutiges Steak mit Rosmarin-Kartoffeln, Gutbürgerliches wie Spinatknödel mit Schweinegulasch, Selbstgemachtes wie Pizza oder Ravioli, Kalorien-Motherfucker in Form von Krapfenkollektion oder einfach nur eine anständige Wurstsemmel. Betitelt und kommentiert werden die Bilder mit Neidbekundungen („Ich will auch!“) oder Lautmalereien in Form von „Mjamm“, „Boaaaah“ oder „Ohhhhhh!“.
Die Fotografen und Hochlader nennen sich selbst gerne „Foodies“. Foodies sind Leute, die Essen extrem geil finden. Und wie die meisten Menschen, die irgendetwas extrem geil finden, können sie ihre Umwelt damit nicht in Ruhe lassen. Sie müssen es ihnen mitteilen. Sie müssen fotografieren, was sie kochen und essen, und die Bilder ins unendliche Netz stellen. Essen machen und Essen essen ist für Foodies ein Hobby, so wie andere eben auf einem Klavier klimpern oder sich mit Gotcha-Kanonen beschießen. Foodies lieben Essen; sie finden größten Gefallen daran, scheinbar unmöglich selbst zu produzierende Gerichte wie Ravioli selbst zu machen, geben mehr Geld für Restaurantbesuche aus als andere für Championsleague-Spiele und wissen von jedem. Für manche Foodies ist Essen sogar wichtiger als Sex.
Und wenn wir schon einmal bei der Untenrum-Analogie sind: Die Feinde der Foodies und ihres Exhibitionismus’ werfen ihnen vor, „Food-Pornografie“ zu betreiben. Die schamlose Zurschaustellung der Nahrung, führe weniger begnadeten Köchen (und Essern?) ihre Unzulänglichkeit vor Augen. Ungesundes, weil zu kalorienhaltiges Essen, werde unnötig glorifiziert. Aber auch von Fotos von anderen Essen wecke nur den Neid der Betrachter und überschreite zu dem eine Intimgrenze, denn Essen sei schließlich wie Sex Privatsache. Andere Kritiker wiederum stört die Unzulänglichkeit der gebloggten Fotos, die nämlich wiederum weit von „wirklich gutem Essen“ entfernt seien. Ähnlich kritisch äußerte sich unlängst Oberfoodie Wolfram Siebeck im ZEIT-Magazin. Siebeck ist genau genommen aber gar kein Foodie, dafür ist er zu professionell - zumindest nicht, wenn man diese Definition hier zu Grunde legt.
Ich aber bin einer. Und als bekennender Foodie, Essenfotografierer und Hochlader kann ich sagen: Wir wollen keine Essgestörten provozieren. Wir wollen Vegetarier nicht zum Fleischkonsum missionieren und Carnivore nicht zum Vegetarismus. Wir wollen nicht mit unseren Restaurantbesuchen oder unseren Kochkünsten angeben. Wir betreiben keine Pornografie. Wir objektivieren unser Essen nicht, weil es nämlich schon lange tot ist. Wir degradieren die abgebildeten Motive nicht, wir glorifizieren sie. Wir tragen mit unseren Bildern nicht zur Ungerechtigkeit der Welt bei. Wir freuen uns nur an etwas Notwendigem, Nützlichem, Sinnlichem. Es ist nur Essen, aber es ist obergeil.
Auf der nächsten Seite sagt Christian Berg: Spaghetti-Knipser sind zeigefreudig und unsympathisch
Essen ist eine Stadt im Ruhrgebiet und ob es obergeil ist ... aber gut, fangen wir anders an: Wir leben in einer toleranten Gesellschaft. Jeder darf alles tun, sogar sein fotografiertes Essen im Netz verbreiten. Aber Toleranz schließt für mich eben auch ein, dieses Vorgehen zu kritisieren, zu beschimpfen und abzulehnen. Und ich will dir gerne sagen, warum ich das tue: weil es nervt!
Dabei liefert der Begriff "Food-Porn" genau den Zugang zu dem, was ich als störend empfinde. Es ist das Zur-Schau-Stellen, das Reduzieren und Ergötzen - all das steckt in dem Begriff Pornografie und ich verstehe den Reiz, den manche darin finden. Data-Porn zum Beispiel ist eine Form des Ergötzens an Schaubildern und Infografiken, die besonders sind. Gleiches gilt eben auch für die Spaghetti-Knipser aus meiner Timeline. Mit einem wichtigen Unterschied: Sie zeigen ihre eigenen Kochergebnisse. Sie sind - in der Sprache der längst vergilbten Kleinanzeige - zeigefreudig. Sie stellen sich selbst bzw. ein Ergebnis ihrer Kreativität dar. Ergötzend, zur Schau stellend, pronografisch.
Das können sie gerne tun, von mir bekommen sie dafür aber keinen Sympathiepunkt. Sie werden dafür vielmehr ignoriert. Denn diese Form der Selbstproduktion über das Essen beweist die Wahrheit des Opa-Spruchs: Du bist, was du isst. Wer schlingt oder den korrekten Gebrauch von Messer und Gabel vermissen lässt, wird deshalb zurecht für unfein, hektisch oder irgendwie nicht ganz bei sich bezeichnet. Und wer sein Essen vor dem Verspeisen fotografisch dokumentiert und der Welt zum optischen Fraß vorwirft, wird deshalb von mir genauso für kulinarisch zeigefreudig gehalten. Und das ist eben einfach unsympathisch.
christian-berg
Text: philipp-mattheis - Illustration: christopher-stelmach