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Beziehungsfrei an Karneval - funktioniert das?

Foto: dpa

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Stefan: Beziehungsfrei geben bedeutet, sich selbst zu betrügen

Der Selbstbetrug ist ein freundlicher Kerl. Jedenfalls am Anfang. Meist taucht er auf, wenn man alleine ist. Er verschenkt Freundlichkeit und Gesellschaft, kann sehr nachvollziehbar erklären, warum alles doch nicht so wild ist und schlägt vor, sich erstmal locker zu machen. So passiert es, dass man – obwohl es schon spät in der Nacht ist – doch noch diese eine Runde am Computer weiter spielt oder eine weitere Folge dieser einen Serie anschaut. Denn der freundliche Kerl sitzt ja auch hier und legt beruhigend die Hand auf die Schulter. Passt schon!

Besonders gefährlich ist der Selbstbetrug, wenn er in Begleitung eines echten Menschen auftaucht. Denn dann besitzt er die Fähigkeit, seine Kräfte zu verdoppeln. Er schlüpft beispielsweise in den Körper des computerspielenden Freundes, hockt sich neben dich und legt beide Hände auf beide Schultern. Wenn du nicht aufpasst, machst du dich dann „erstmal locker“ und schon bist du reingefallen auf den scheinbar freundlichen Kerl.

Die zweite unbestreitbare Eigenschaft des Selbstbetrugs ist die: Spätestens 24 Stunden nachdem man mit ihm in Kontakt war, will er nichts mehr von dir wissen. Du stehst alleine da, ganz und gar nicht locker und stellst fest: Es ist wilder als du denkst. Wobei wild hier nicht für Halligalli und großen Spaß steht, sondern einfach nur für Ärger.

Warum ich das erzähle? Weil die Idee, während Karneval „beziehungsfrei“ zu haben, der Nummer-eins-Hit des Selbstbetrugs ist, der jedes Jahr in einer neuen Cover-Version aufgelegt wird – und dennoch immer gleich fad klingt. Denn: Der Selbstbetrug ist kein freundlicher Kerl, er ist eine Falle. Und in der landen alle, die in den nächsten Tagen Fremdknutschen – einige schon am Aschermittwoch, andere erst in ein paar Monaten. Aber alle landen in dieser Falle. Nein, das sage ich nicht aus moralischen Gründen. Es geht mir einzig um den Ärger, der auf solche Beziehungsregeln so sicher folgt wie der Kater aufs Saufen. Selbstbetrug hat noch nie geklappt, er wird auch dieses Jahr nicht klappen. Also: Mach dich locker und lass es einfach bleiben!

Yvonne: Wenn Beziehungsfrei nur die Erlaubnis zum Fremdküssen bedeutet – kein Problem!

Ach Gott, das ist schön aufgesagt und sehr grundsätzlich gesprochen. Ich widerspreche trotzdem herzlich und auf allen mir zur Verfügung stehenden Kanälen. Zumindest, wenn es um das Beziehungsfrei zu Karneval geht, das für mich gleichbedeutend mit der Erlaubnis zum Fremdküssen ist. Selbstverständlich fällt mir diese Haltung im Moment leicht, weil ich sowieso Single bin. Aber ich will diese Offenheit auch in eine künftige Beziehung hineinretten.

Das ist ein hübsch großes Projekt, ich weiß. Es wird auch nicht bedeuten, dass ich meinen nächsten Verliebten schon am ersten Abend davon in Kenntnis setze, dass ich während Karneval eventuell mal fremd knutsche. Nur glaube ich, mir in meinem bisherigen Leben eine gewisse Entspanntheit angeeignet zu haben. Ich habe mir meine Gedanken über das Wesen von Beziehungen gemacht und erlebe es für mich so: Die sklavische Befolgung eines Verbots macht die Menschen zu Idioten. Das Glotzen und Sehnen und Wünschen macht sie blöde. Jene aber, die einmal über ein Verbot getreten sind, sind auf der guten Seite. Vielleicht sollte man auch sagen: auf der gesunden Seite. Sie schenken sich natürlich Zweifel und Vorwürfe. Gut. Aber sie schenken sich auch die Chance, mal von einer anderen Seite auf ihre Beziehung zu sehen.

Weißt du: Es gibt Menschen, die in ihren Beziehungen einstauben, weil sie sich nicht den Hauch von Eifersucht gönnen. Sie verhalten sich so gut, so brav, so züchtig und sind ein ganzes Leben lang nur bestrebt, ihren Gefühlshaushalt auf Nullniveau zu halten. Ich finde das falsch. Wie soll man denn Liebe empfinden können, wenn man keine Ahnung von der Eifersucht hat? Ist es nicht manchmal auch wichtig, die Liebe auf die Probe zu stellen? Sie zu kitzeln? Sie herauszufordern? Ich finde: Ja. Und nochmal zur Versicherung: Ich rede nur von Küssen! Nicht von mehr.

Nun ist mir bewusst, dass das "Problem" Fremdküssen zwei Äste hat. Der eine hat mit Perspektive zu tun, der andere mit Bewertung. Bei der Perspektive ist es so: Selber fremd küssen ist im Grunde erträglich. Wenn der Partner fremd küsst, ist das unerträglich. Da sind wir aber bei der Einheit, die ich gerne lernen würde. Ich würde gerne cool bleiben, wenn mir mein Partner gesteht, dass er einmal geknuscht hat. Ich würde vielleicht laut werden wollen und ein bisschen donnern, ich möchte aber nicht der sein, der betrunken vor Selbstmitleid davon zieht. Ich möchte mich dann an diese Zeilen hier erinnern und laut sagen: Okay, Blödmann. Ich finds nicht gut. Aber wenn es nicht mehr ist, dann kann ich es ab, weil ich schließlich finde, dass eine Beziehung sowas aushalten muss.

Und da sind wir schon beim zweiten Ast in Sachen Fremdküssen. Es geht da um die Bewertung. Küssen hat für mich nichts mit Fremdgehen zu tun. Küssen macht man angezogen. Küssen geht im Überschwang. Küssen ist nicht immer der Anfang von etwas Großem sondern das Sahnehäubchen auf etwas sehr Nettem. Punkt. Das war es dann auch. Deshalb: Lass mir an Karneval meinen Frieden. Ich werde es sicher nicht darauf anlegen, dass etwas passiert. Aber wenn es passiert, lasse ich es geschehen. Einmal im Jahr ist das in Ordnung. Ich finde, ich bin an allen anderen Tagen brav genug.

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