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Hat eben das zweite Comeback seiner Band verkündet: Morten Harket, Sänger von A-ha.

"Keiner braucht die aufgewärmte Rentnersuppe!", findet sina-pousset.

Jetzt also auch noch die Spice Girls! Soeben haben sie ein mögliches Comeback angedeutet. Es handelt sich hier um ein Phänomen, das in der Musikindustrie immer beliebter wird: Eine ehemals erfolgreiche Band, die eigentlich keiner vermisst hat, verkündet ihre Rückkehr. Jüngere Beispiele: A-ha, Take That, Backstreet Boys.

So richtig freuen sich darüber aber eigentlich nur die Pop-Rentner selbst: Nach Jahren meist wenig ergiebiger Alternativexistenz dürfen sie endlich wieder auf die Bühne. Die Tour, das neue Album – alles wird toll, am besten genau so toll wie damals. Beispiele wie Kiss oder Limp Bizkit belegen: Wird es leider nie.

Ein Comeback wird deswegen so ausgiebig gefeiert, weil es außer der Rückkehr meistens nichts mehr zu feiern gibt. Die Kreativität ist zusammen mit dem Hasch von damals verraucht, geblieben ist: eine Masse an eingeschweißten Ur-Fans, die sich in ihre Jugend zurückversetzen lassen will und ihr Urlaubsgeld für überteuerte Karten ausgibt. Denn der Erfolg aller Comebacks basiert auf einem Ist-Ja-So-Wie-Früher-Gefühl. Weiterentwicklung ist da nicht erwünscht.

Abgesehen davon ist jedes Comeback eine emotionale Zumutung. Wenn die Lieblingsband zerbricht, ist das für Fans wie eine echte Trennung: Es wird gelitten, geheult und das Lieblingslied auf Repeat gehört, bis das T-Shirt salzig schmeckt. Als sich Take That 1996 trennten, wurde eine Suizid-Hotline eingerichtet. Und nicht nur für Pubiertierende bricht da eine Welt zusammen. Als ich von einem abgesagten Oasis-Konzert mit dem Shuttlebus nach Hause fuhr, roch ich Männertränen und Schnaps. Man lag sich in den Armen, schunkelte und sang: „Don’t Look Back in Anger.“

Wenn die Lieblingsband  ihr Comeback verkündet, ist das, als stünde der Exfreund nach zehn Jahren wieder mit einer Flasche Wein vor der Tür.

Deswegen ist das Zurückkehren, das ja immer nur halbherzig ist, nicht nur künstlerisch Mist, sondern auch denen gegenüber gemein, die damals gelitten haben. Der Fan-Schmerz ist nach Jahren gerade verheilt, die Löcher an der Zimmerwand sind mit neuen Postern bedeckt. Es ist vorbei - diese Gewissheit hat man sich mühevoll in Herz und Ohr gehämmert. Wenn die Lieblingsband von damals ihr Comeback verkündet, ist das in etwa so, als stünde der Exfreund nach zehn Jahren wieder mit einer Flasche Wein vor der Tür. Im besten Fall denkt man sich: "Was soll der Scheiß?" Im schlimmsten Fall: "Warum jetzt, du Arsch! Ich hab doch jetzt den Peter/meine Katze/mit Stricken angefangen. Mein Leben ist endlich wieder schön!"

Bei soviel Verletzungspotential möchte man Gewissheit: Das ist jetzt wirklich für die Ewigkeit! Ist es aber nicht. Genau so, wie es Usus ist, sich als ehemals erfolgreiche Band mindestens einmal zu versöhnen, ist es üblich, sich darauf wieder zu trennen. A-ha zum Beispiel: Zwei Trennungen, zwei Wiedervereinigungen. Gewissheit darf es nie geben – die Alt-Rocker Led Zeppelin verkündeten auf ihrem letzten Reunion-Konzert: „Remember: it’s never over!“ Grausam, dieser Warmhaltesatz! Eine On/Off-Beziehung für das Fanherz.

Einen richtigen Comeback-Gewinner gibt es also nicht. Es gibt nur Musiker, die, statt kreativ zu sein, alte Hits neu auflegen, Nicht-Fans, die sich die aufgewärmte Rentnersuppe im Radio anhören müssen und echte Fans, die für ein bisschen Nostalgie viel zahlen und viel leiden müssen. 

>>> Die Gegenmeinung: "Schluss mit dem Geheule - für ein Recht auf Comebacks!"  >>>

 
"Was soll das Rumgeheule - lasst die alten Herren doch zurückkommen, so oft sie möchten!", sagt jan-stremmel.

Worüber wir nicht streiten müssen: Dass die aufgewärmte Soße vieler Rückkehr-Bands ungenießbar ist. Oder dass es würdelos ist, wenn ein Popstar die Songs von vor 20 Jahren auftischt, weil er mutmaßlich nochmal vor der Rente das alte Geldschwein melken will. Und dass das für Fans eine Enttäuschung sein kann.

Aber: Das ernsthaft blöd zu finden ist weinerlich und vermessen. Denn es geht hier weder um Kunst noch um die Fans.

Stell dir vor, du bist Anfang 20 und Musiker. Du wirst erfolgreich. Du wirst berühmt. Du weißt gar nicht recht, was passiert – aber plötzlich bist du Superstar. Du hast also durch eine unerhörte Verkettung von Zufällen, Glück und Talent eine  sehr profitable Einnahmequelle erschlossen. Ein paar Jahre genießt du das. Aber auch du wirst älter.

Irgendwann stört dich morgens der Mundgeruch der Kollegen im Tourbus, die alten Songs gehen dir auf die Nerven. Aber die Fans wollen nun mal immer nur „Back for Good“ oder „Take on Me“ hören - „künstlerische Weiterentwicklung“ ist ein Wort, das die wenigsten Fans akzeptieren. Sie wollen das, was sie kennen, womit wir das Thema Vermessenheit schon anschneiden.

Alten Popstars geht es wie Zahnärzten nach der Midlife-Crisis: Es ist leichter, einfach weiterzumachen.


Du hörst also auf. Trennung, Schlagzeilen, in Hotlines heulende Teenager. Dir egal – du kannst die alten Songs nicht mehr hören. Du willst Ruhe, Privatleben. Vielleicht sogar mal darüber nachdenken, was eigentlich sonst noch machbar ist mit einem angebrochenen Leben, das die erste Hälfte wie in Schienen vor sich hingelaufen ist, nur weil aus deiner Band zufällig eine globale Marke geworden ist.

Es vergehen ein paar Jahre. Du schreibst Songs, die keinen interessieren, du schwängerst jemanden, du moderierst hin und wieder irgendwas. Aber du merkst: Neu anfangen geht nicht. Diese Band aus deinen Zwanzigern ist dein Schicksal. Und sie ist auch die angenehmste Art für dich, Geld zu verdienen. Alten Popstars geht es da wie Zahnärzten nach der Midlife-Crisis: Die meisten von denen arbeiten ja auch nach Sinnkrise, Affäre, Scheidung und Motorradkauf weiter als Zahnärzte. Weil es leichter ist, einfach weiterzumachen.

Du als Popstar also: Comeback. Reunion-Tournee. Wieder die großen Hallen, wieder die gleichen Leute, die deine alten Songs hören wollen. Du denkst dir: Eigentlich sind sie ja rührend, wie sie da 90 Euro pro Stehplatz zahlen.

Keine Frage, in diesem Moment hast du große Teile dessen aufgegeben, woran du möglicherweise früher mal geglaubt hast. Du bist Establishment. Altes Inventar, das genau die Rolle erfüllt, die ihm im System zugedacht ist. Es geht nicht mehr um Revolution, es geht um Alterswohlstand und wahrscheinlich den Unterhalt für drei anspruchsvolle Kinder.

Aber es ist dein Recht. Und die Fans, die dir jetzt Gier oder Trägheit oder Kalkül vorwerfen, sind weinerlich und vermessen, weil eine Band eben keine Aktiengesellschaft ist. Die Fans sind keine Anteilseigner, die irgendein Mitspracherecht hätten. Sie sind Fans einer Gruppe Künstler, die du erfunden hast. Und weil du sie erfunden hast, darfst du sie auch kaputt machen.

Text: jetzt-redaktion - Foto: dpa

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