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Alles gleichzeitig? Ein Fall für Zwei übers Multitasking

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Multitasking geht nicht - sagt Nadja Schlüter Ich habe mich letzte Woche unter dem Einfluss mehrerer Biere bei Facebook angemeldet, sogar ein Bild hochgeladen und mir ein paar Freunde gesucht. Am nächsten Morgen habe ich mich unter dem Einfluss einer Nacht ruhigen Schlafs wieder abgemeldet. Der Gedanke, bei einem weiteren Forum regelmäßig nachzuschauen, was da so passiert, war mir einfach zu anstrengend. So eine Community verpflichtet, aber ich fühle mich schon genügend anderen Dingen verpflichtet und gerate darüber sehr schnell in Stress. Je mehr Baustellen ich habe, desto näher komme ich dem Rande der Verzweiflung. Ich kann mir dann nicht mal alles merken, was zu tun ist, und schreibe Notizzettel, die überall um mich herum auf dem Schreibtisch kleben. Darauf stehen sogar Sachen wie „A.s StudiVZ-Nachricht beantworten“, weil ich das in aufgabenreichen Zeiten eben auch als weitere Pflicht und nicht etwa als Zeitvertreib betrachte. Wenn etwas erledigt ist, streiche ich die Aufgabe wild durch, lieber noch schreibe ich einen neuen Zettel mit einer Aufgabe weniger drauf. Das beruhigt mich. Wenn ich Multitasking versuche, sieht das folgendermaßen aus: Ich muss eine Hausarbeit schreiben und sitze daher am Computer. Ich versuche, zu schreiben und gleichzeitig das wichtige Zitat in dem Buch auf meinen Knien im Auge zu behalten. Dann blinkt plötzlich Skype. Es blinkt, weil mir jemand einen Link geschickt hat, ein youtube-Video oder einen Artikel oder einen Cartoon, ich solle mir das unbedingt ansehen. Ich will mir eigentlich nichts ansehen, aber ich will das Angebot auch nicht ablehnen. Als sich das Browserfenster öffnet, fällt mir ein, dass ich noch e-mails beantworten muss, die ich gestern schon als ungelesen markiert habe, damit ich sie nicht vergesse. Es macht mich nervös, dass das noch nicht erledigt ist und es macht mich nervös, dass ich dadurch Zeit verliere, die ich für die Hausarbeit genau jetzt brauche, zumindest fühlt es sich so an, als bräuchte ich sie genau jetzt. Und dann blinkt icq, denn mein Blog-Kollege schreibt mir erstens: dass ich mal wieder was posten soll, und zweitens: dass ich endlich mittwittern müsse, sonst sei ich ein Latest Adaptor. Bin ich auch. In vielen Dingen bin ich sogar ein Gar nicht-Adaptor. Weil ich auf meiner To Do-Liste ganz unten lieber „hinlegen und ausruhen“ statt „twittern“ eintragen möchte. Die meisten finden das langweilig oder altmodisch, und ja, die Tatsache, dass ich nur dann effektiv arbeiten kann, wenn ich mich ganz und gar auf eine Sache konzentriere, ist langweilig und altmodisch. Ich kann sogar nur dann effektiv skypen, also ein fruchtbares und schönes Gespräch führen, wenn ich nicht gleichzeitig mehrere Word-Dokumente und Browserfenster geöffnet habe. Und meine Hausarbeit wird einfach viel besser, wenn ich offline bin, während ich sie schreibe. Wenn ich erst frühstücke, dann die Links anklicke, die mir jemand über Skype geschickt hat, dann den lange fälligen Anruf bei Mama tätige und dann alle e-mails beantworte, kann ich endlich den To Do-Zettel wegwerfen und mich voll und ganz in die letzte Aufgabe vertiefen, die draufstand. Das Prinzip ist so einfach wie logisch: Die Aufgaben müssen nach Relevanz, Zeitaufwand und Stressfaktor sortiert und - ganz wichtig! - nacheinander abgearbeitet werden. Natürlich kann auch ich mich nicht völlig gegen Multitasking wehren. Nicht selten ist mir ein icq-Gespräch oder ein spannender Link sogar willkommen, wenn ich eigentlich gerade Rechnungen schreibe und gleichzeitig in irgendeinem Organisationswust stecke. Aber dann gerät in meinem Kopf sehr schnell alles durcheinander und ich brauche eineinhalb Stunden für drei Sachen. Wenn ich sie nacheinander erledige, brauche ich nur eine Stunde und kann sicher gehen, dass das Ergebnis mindestens zufriedenstellend ist. Und möglicherweise hatte ich sogar Spaß an dem, was ich gemacht habe, anstatt, den Tränen nahe, Schweißausbrüche oder zittrige Hände zu bekommen. Auf der nächsten Seite: ein Lob aufs Multitasking von Dirk von Gehlen.


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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Multitasking muss - sagt dirk-vongehlen Gegen das Multitasking zu sein, ist einfach. Zu einfach. Denn natürlich sagt die Stimme der Vernunft, man solle eine Sache nach der anderen erledigen, und zwar in Ruhe und so, dass die Qualität darunter nicht leidet. Das ist ein schönes Ideal. Es hat aber mit der Realität wenig gemeinsam und wer ihm nacheifert, blockiert sich damit mehr als dass er auf diese Weise Dinge vernünftig erledigt und der Reihe nach und mit guter Qualität. Denn selbst wer sich auf die telefon- und internetfreie Insel begibt und dort abseits aller anderen Menschen tatsächlich nur eine einzelne Tätigkeit in Angriff nimmt, kann sich nicht sicher sein, dabei nicht doch gestört zu werden. Denn: Leben heißt gestört zu werden. Wir begeben uns doch eben deshalb in ein Umfeld (WG, Büro, Uni), weil dort Menschen sind, die uns stören werden. Sie klopfen und wollen Geld leihen (WG), was essen (Büro) oder die Referatspapiere kopieren (Uni). So unterschiedlich diese Anliegen auch sein mögen, sie alle hindern uns daran, das schöne Ideal des Single-Taskings zu erreichen. Und dabei habe ich von geöffneten Browser-Fenstern, Chatprogrammen oder aufploppenden E-Mails noch gar nicht gesprochen. Deshalb kommt mir die Rede gegens Multitasking immer vor wie ein Plädoyer fürs schöne Wetter, während draußen der Regen hernieder prasselt: Gefällig aber hilflos. Es ändert nichts, wenn man den Regen beklagt, man muss ja trotzdem raus. Deshalb ist mir der Erfinder des Regenschirms näher als der Schönwetter-Prediger. Was das heißen soll? Na, dass ich während ich diesen Text schrieb nur drei mal meine Mails gecheckt habe, mich mit nur zwei Kollegen unterhielt und nur einen Hinweis auf Facebook gepostet habe. Man muss sich ja schließlich auch mal konzentrieren.

Text: nadja-schlueter - und Dirk von Gehlen

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