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Alle wollen uns mit Kampagnen zum "machen" animieren. Ist das gut?

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Der Hintergrund Es ist das Jahr der Fußball-Weltmeisterschaft und das Jahr der Motivationen. Angela Merkel sagte in der Neujahrsansprache, sie vertraue den Menschen in unserem Land, Deutschland sei ein „Land der Ideen“. Arm in Arm mit der Wirtschaft will die Bundesregierung mit der Kampagne „Land der Ideen“ den Menschen zeigen: Es gibt schon viele Ideen im Land, wir können aber noch mehr gebrauchen. Die Sektmarke Mumm verbrät ihren Markennamen in einer Werbekampagne und kitzelt all jene, die immer sagen, „man müsste mal so richtig Gas geben“. Mumm sei, so heißt es, "wenn man´s macht". Und die Soziallotterie Aktion Mensch hat ihre Kampagne „Die Gesellschafter“ lanciert, in der Bürger gefragt werden, in welcher Gesellschaft sie leben wollen und was sie für diese Gesellschaft tun würden. Von allen Seiten also: Aufforderungen, Motivationsreden, Ruck-Aktionen, die die verborgenen Macher-Potentiale der Deutschen wecken sollen. Die Du-bist-Deutschland-Kampagne im vergangenen Jahr schien nur der Auftakt dazu zu sein. Damit Deutschland vorankommt. Brauchen wir dieses Gedöns?

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

JA! Hinter den Kampagnen stecken aus meiner Sicht zwei Absichten. Die eine: Menschliche Kreativität für den Aufschwung Deutschland mobilisieren. Die andere: Menschen ermuntern, sich zu verwirklichen, ihre Stimme zu finden. Ich mag den zweiten Ansatz dahinter und erlaube mir auch, nur diesen Ansatz zu verstehen. Die "Gesellschafter" zum Beispiel stellen mir Fragen, auf Plakaten, in Fernsehspots, die endlich mal keine Aufforderung zum Kaufen darstellen sondern eine Anregung zum Nachdenken sind. Hier fehlt zum Glück diese schwere und dustere Pathetik, mit der mir Du-bist-Deutschland zu Leibe rückte und schwups: Ich fühle mich angesprochen. Das Leben, denke ich, funktioniert nicht ohne Anregungen. Die kommen, nicht immer, aber oft, von außen. Die Freundin, die Eltern, die Freunde – Quellen der Inspiration. Warum nicht auch aus einer Kampagne Anregung schöpfen? Diese konzertierten Aktionen wecken in mir eine Art Versammlungsgefühl und sagen: Ja, Du allein bist für dein Leben verantwortlich. Aber, auch ja: wir hadern doch gemeinsam mit dieser Herausforderung, mit dieser Frage, wie man einigermaßen zufrieden oder verwirklicht lebt. Das ist in meinen Augen Demokratie: Ich werde gefragt und ich werde wertgeschätzt. Und ich empfinde es weder als Manipulation noch als Eingriff in meine persönliche Lebensplanung, wenn mir die Regierung, eine Soziallotterie oder meinetwegen auch mal eine Sektmarke Denkanstöße verpassen. Das ist legitim und, ich gebe es zu: Mich berührt das hin und wieder auch. Genauso wie ich, muss ich auch zugeben, manche Du-bist-Deutschland-Anzeige länger als nötig betrachtet und bedacht habe, allein, weil in dem Moment meine im Schädel implantierte Medienkritik-Maschine mal runtergefahren war. So hat die Anzeige mich am Ende, irgendwie, doch bewegt. Ob ich letztendlich wirklich meine Meinung äußere, eine Idee habe und artikuliere? Das ist doch leidlich wurscht. Diese Kampagnen ändern, finde ich, das Klima, in dem man Lust hat, laut zu denken, zu spinnen, zu verwerfen - und eben auch zu scheitern. Man kann das Ganze das "staatlich verordnete und von der Wirtschaft unterstützte Ende der Verzagtheit nennen", meinetwegen. Hier wird aber niemand in die Pflicht genommen, hier wird man nur gekitzelt. Mal ganz praktisch betrachtet: Ich will nicht, dass ich die Ergebnisse meiner gesammelten „man müsste mal“-Überlegungen erst in einem anderen Leben verwirklicht sehe. Und deshalb ist es gut, wenn mir jemand sagt: Du musst es jetzt machen, wenn da was in Deinem Kopf spukt. Ich bin doch eh schon so träge. Vielleicht haben sich die Gewerkschaften und die Studenten in Frankreich gerade etwas erkämpft, was uns von allen Seiten angetragen wird. Sie haben ihre Stimme wiedergefunden, sie wollen mitreden, wie in ihrem Land ein paar Dinge in Zukunft funktionieren. Sie wollen ihre Ideen einbringen, sich selbst einbringen. Nichts anderes steckt hinter den Motivationskampagnen, wie ich sie verstehe: Sie regen uns an, eine Stimme zu finden. Habe ich nichts dagegen. Autor: peter-wagner

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

--- Nein! Diese Kampagnen waren und sind nichts weiter als der stille Rückzug des Staates aus dem öffentlichen Leben. So wie ich das sehe, geht es allein darum, die Menschen in unserem Land auf die Zeit vorzubereiten, in denen sie vollkommen auf sich selbst gestellt sind. Das Tragische ist eben, dass diese Absicht hinter einer seltsamen Wohlfühl- und Macherrhetorik versteckt ist, die auf den ersten Blick total eingängig ist, die sich aber auf den zweiten Blick selbst entlarvt: Du bist Deutschland - du bist allein verantwortlich für dein Wohl und Wehe. Man müsste mal machen - wenn alles scheisse läuft, ist es allein deine Schuld. Du wohnst im Land der Ideen - also sieh mal zu, dass Du selbst eine Idee hast! Diesen Nachklang erzeugen all diese Ansätze bei mir. Sie erzeugen einen gehörigen Druck, dem die meisten Menschen einfach nicht gewachsen sind. Sich selbst verwirklichen, entschuldigung, das ist ein riesiges Projekt, das man leider erst dann richtig angehen kann, wenn man sein Leben einigermaßen in den Griff bekommen hat - in privater wie in beruflicher Hinsicht. Insofern sind diese Mutmacher-Chosen den Hirnen der Leute entsprungen, die finanziell einigermaßen in Sicherheit sind und die sich in abendlichen Cocktailrunden Gedanken über die Zukunft der Republik machen. Am Ende eines solchen Abends kommt man dann schnell in die Versuchung, endlich mal wieder dem Volk einzuimpfen, dass es sich gefälligst mal um sich selbst kümmern soll - und nicht immer nur dem lieben Vater Staat auf der Tasche und auf den Nerven herumliegen. Aber, altbekannte Metapher: Die Schere zwischen Begüterten und weniger Begüterten klafft weiter und weiter auseinander. Die Jugendlichen in Neukölln, im Hasenbergl, in Mümmelmannsberg werden a) durch die Kampagnen eh nicht erreicht und tragen b) sicher nicht die Alleinschuld an ihrer schlechten Integration oder Bildung. Nicht sie sondern tatsächlich die Politik hat Reformen im Bildungssystem verpennt und in der Art, Menschen zu integrieren. Der Ideen- und Diskussionsbedarf besteht in den Parlamenten mindestens so sehr wie in der Bevölkerung. Außerdem wird einem ganz nebenbei unterstellt, man würde ja gar nichts machen. Man sei nur ein kleiner dummer Bürger in diesem Staat und habe allein durch sein Da-Sein in diesem wunderbaren Deutschland schon eine Bringschuld. Deswegen machen mir diese Kampagnen auch Angst. Selbst die "Gesellschafter", so gut ihre Absicht sein mag: Sie suggerieren mir, alles liege bereits im Argen. Alles müsse hinterfragt werden. Für Alles brauche man eine neue Idee. Und immer geht es um unser Land, um unsere Gesellschaft. Verdammt nochmal: Ich bin nicht Deutschland! Ich bin ich und damit Ende. Dass einige Leute ein Problem mit der individualisierten Gesellschaft haben, ist nicht mein Problem. Ich finde diese Entwicklung in Ordnung und will weder für die Fußballweltmeisterschaft noch für irgendwelche anderen Stimmungskampagnen in Haftung genommen werden - die Trikots von Telekom-Herstellern können sich andere anziehen und sich dann fotografieren lassen. Wenn ich eine Idee habe - ich werd´s Euch sagen. Wenn ich eine Antwort auf die Herausforderungen der Zukunft habe - werde ich sagen. Ich bin nicht Kati Witt, nicht Günther Jauch und es kann auch nicht unendlich viele dieser Vorzeigedeutschen geben. Ich werde auch heute Abend wieder sagen "man müsste mal", weil ich einfach gern träume. Und einen Tritt in den Arsch brauche ich nicht, den gibt einem das Leben von alleine. Und jetzt Frohe Ostern, Deutschland. Autor: durs-wacker

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