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"Ich bin nicht Robin Hood"

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Von innen ist die Konsumzentrale in Leipzig-Plagwitz eines dieser Gebäude, das sehr hip wäre, wäre das Licht nicht so schrecklich.  Es ist von diesem dunklem braungelb, das einen direkt schläfrig macht, wenn man sich einmal hingesetzt hat.

Dabei ist das, was an diesem Novembernachmittag in der Konsumzentrale Leipzig besprochen werden soll, durchaus wichtig: Die Stiftung Datenschutz, 2013 von der Bundesrepublik Deutschland ins Leben gerufen, will hier heute an ihrem Datentag über Datenschutzbestimmungen im Netz diskutieren – also über jene Dinger, neben die wir ständig ein Häkchen setzen, ohne genau nachzulesen, worum es eigentlich geht. Aber wessen Schuld ist das eigentlich, dass wir so sorglos mit unseren Daten umgehen? Die der Seitenbetreiber und Unternehmen, die alles so lang und verschwurbelt formulieren, dass wir eh nichts kapieren? Oder unsere, weil es uns eh nicht interessiert? 

Die Person, deren Vortrag als letzter Punkt auf der Tagesordnung steht, ist bei Facebook-Kritikern und Datenschützern eine Art Star. Im Jahr 2015 wurde Max Schrems, 29, bekannt als „der Jurastudent aus Österreich, der erfolgreich Facebook verklagt hat“. Damit war er auf allen Kanälen, in der FAZ und Tagesschau, aber auch auf der Titelseite der Bild-Zeitung. Weil das abstrakte Thema "Datenschutz" mit ihm ein Gesicht bekam. Da gab es auf einmal einen Helden, einen "David gegen Goliath", wie so gerne geschrieben wurde. Und zwar einen, der am Ende auch noch gewinnt.

Aber bedeutet das, dass jetzt alles gut ist? Unsere Daten sicher und Facebook wieder nett? Natürlich nicht, sonst müsste es Veranstaltungen wie diese, die "Datenschutztag" heißen, ja gar nicht mehr geben. Aber wie kann denn wieder alles gut werden? Das müsste genau so jemand wie Max Schrems doch wissen, oder?

An diesem Nachmittag in Leipzig fällt Max Schrems allein schon wegen seiner Optik auf. Als einziger Mann im Raum trägt er keinen Anzug, sondern ein schwarzes Hemd und Jeans. „Von Kraken und dem Wunsch nach Kontrolle“ heißt sein Vortrag, den er frei im Stehen hält. Allein wie er das tut, erzählt viel darüber, warum er so gut bei den Leuten ankommt: Weil er in Bildern sprechen kann. Da sind eben keine Paragraphen und absurde Stock-Fotos mit grünen und blauen Linien zur Bebilderung von Daten. Stattdessen zeigt er Fotos aus den USA, in denen vor jedem und allem gewarnt wird. An der Windschutzscheibe eines Mietwagens steht eine lange Erklärung, was in diesem Auto alles Krebs erregen könnte. Gleiches gilt für Kaffeebecher, Wandfarben und so weiter: Sie kommen mit ewig langen Gefahren-Hinweisen, die kein Mensch lesen will. Und vermutlich auch kein Mensch liest.

Aus Max' Sicht ist Datenschutz wie die Atommüll-Debatte: Man muss sich darauf verlassen können, dass die Experten die Wahrheit sagen

Die Idee dahinter: Wer gewarnt wurde und es trotzdem gemacht hat, kann am Ende nicht klagen und sagen „Hab ich ja nicht gewusst.“ Genau so sei das eben derzeit auch mit den Datenschutzvereinbarungen im Internet, sagt Max. Und das findet er falsch. Stattdessen sollten aus seiner Sicht, und da ist er ganz Jurist, die Gesetze so sein, dass in diesen Vereinbarungen nichts steht, das illlegal ist. Er nimmt da gerne Amazon als Beispiel: Bestimmte Daten braucht der Konzern, um die bestellte Ware auch liefern zu können. Eine Lieferadresse und Kreditkartendaten zum Beispiel. Diese Daten an Dritte weiterverkaufen muss er allerdings nicht, um die Bestellung erfüllen zu können - und sollte es dementsprechend auch nicht tun.

 

Die europäische Datenschutzgrundverordnung, die in anderthalb Jahren in Kraft treten soll, ist aus Max' Sicht für diesen Prozess ein Hoffnungsschimmer. „Mit der bin ich zu 90 Prozent happy“, sagt Max. Nur die Umsetzung, die hapere noch. Aber das könnte man auch regeln, indem Unternehmen, die diese Regeln missachten, hohe Strafen zahlen müssen.

 

Max Schrems wünscht sich also eine Welt, in der man nirgends mehr zustimmen muss, weil der Umgang mit Daten verbraucherfreundlich geregelt ist. „Nur, wenn es wirklich etwas sehr Spezielles ist oder wenn jemand seine Daten in einem Tradeoff hergibt – zum Beispiel weil er sich für einen Newsletter anmeldet und dafür in einem Onlineshop Rabatte bekommt – nur dann müsste man noch zustimmen“, sagt Max. Denn aus seiner Sicht ist es, Achtung, wieder so ein Bild, mit der Debatte um Datenschutz doch wie mit der Atommüll-Debatte: „Der Durchschnittskonsument hat von diesen Themen keine Ahnung. Und woher sollte er auch? Es sind ja nicht alle Kernforscher. Aber wenn der Atomkraftexperte mir erklärt, wie lange so ein Ding strahlt und was man damit tun sollte, dann muss ich ihm das glauben können.“

 

Bezogen auf Facebook also: Der Konzern sagt, er halte sich an die Regeln und dann stimmt das auch. Klingt gut. Aber ist das nicht ein bisschen naiv?

 

Tatsächlich ist Max Schrems nicht naiv - anders als die ganzen Julian Assanges und Edward Snowdens, die einem ja stets vermitteln beim Thema Datenschutz sei eh bereits alles verloren, ist er Optimist. Muss er vielleicht auch sein, um überhaupt immer weiter machen zu können. Und tatsächlich gibt seine Biografie ja auch eher Anlass zur Hoffnung: Denn wer anders als ein Optimist käme auf die Idee, mit Mitte 20 einen Millardenkonzern wie Facebook erfolgreich verklagen zu können? In dem Prozess damals ging es Max darum, zu beweisen, dass in die USA versandte Daten, anders als stets behauptet, nicht nach europäischem Datenschutzrecht behandelt werden. Stattdessen können sie unter anderem auch von US-Behörden genutzt werden. „Safe Harbour“ hieß das Abkommen, das nach Max‘ Prozess kippte.

 

Nun gibt es seit Juni 2016 ein neues Abkommen namens "Privacy Shield". Max selbst sagt darüber, es sei eigentlich das gleiche wie "Safe Harbour", nur mit ein paar Absätzen mehr. Die Probleme blieben aber bestehen. Und da kommt er wieder durch, der Optimist. Denn eigentlich ist das doch wahnsinnig deprimierend, oder?

 

"Ich sehe das eher so als Pingpong-Spiel und nehme es nicht so ernst", sagt Max darüber. "Mein Zugang ist, das spielerisch zu sehen. Und so geht es mir recht gut, ich bin selten unglücklich im Leben." Nochmal klagen, dieses Mal gegen Privacy Shield, möchte er allerdings ungern. "Hallo? Ich mache das in meiner Freizeit. Ich werde dafür nicht bezahlt und ich bin nicht Robin Hood", sagt er und lacht. Dann muss er das Gespräch kurz unterbrechen. Ein Amerikaner hat seinen Vortrag eben kaum verstanden, aber er will Max sagen, dass er denkt, dass er Unrecht hat. Die beiden diskutieren kurz, dann schiebt er Max eine Visitenkarte zu. So geht das andauernd - alle auf dem Kongress wollen zumindest kurz mit Max Schrems reden. Ihm sagen, wie sie seine Arbeit finden, ihn zu weiteren Kongressen einladen.  Auch nach diesem Vortrag muss Max noch weiter nach Berlin, zu einer anderen Veranstaltung. Man bekommt den Eindruck, dass der Doktorand aus Wien mit seinem rhetorischen Talent noch jede Menge andere Jobs haben könnte. Lukrativere als das Dasein als Aktivist.

 

Will er aber nicht. Stattdessen plant er, der Typ, der bereits Facebook verklagt hat, noch etwas Größeres: "So eine Art Stiftung Warentest für Datenschutz" nennt es Max, einen Verein für Konsumentenschutz für Digitales. Die Idee dahinter: Der Verein soll mit dem technischen und juristischen Knowhow die Nutzungsbedingungen beispielsweise von Apps untersuchen. Werden dort Passagen gefunden, die nicht legal sind, werden die Mitglieder des Vereins an die zuständigen Stellen verwiesen, bei denen sie sich beschweren und gebenenfalls auch klagen können. Das klingt jetzt leichter als es ist, schließlich sind die Zuständigkeiten für "das Internet" mit seinen global verteilten Firmen immer noch juristisch ein schwer greifbarer Raum. Welches Recht gilt da wann? Max' Verein, eine Art Stiftung Warentest mit aktivistischen Zügen, soll da weiterhelfen. "Wir diskutieren ständig darüber, wie böse das Internet ist, aber keiner klagt dagegen. Diese NGO könnte das zumindest auf europäischer Ebene machen", sagt Max.

 

Ein genaues Konzept und Leute gibt es bereits, allerdings noch keine Finanzierung. Aber das will Max' auch bald angehen - er ist gut vernetzt, da wird sich schon etwas finden. So ganz scheint er eben doch nicht davon auszugehen, dass mit der neuen Datenschutzverordnung alles gut wird. Aber vielleicht macht gerade das auch den Optimisten aus: Wenn es nicht direkt perfekt ist, hilft man eben ein bisschen nach.

 

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