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Klage gegen Fake-News mit Merkel-Selfie
Chan-Jo Jun, Rechtsanwalt aus Würzburg, geht rechtlich gegen Facebook vor. Er vertritt den Syrer Anas Modamani (19), dessen Selfie mit Angela Merkel immer wieder für rechtsextreme Propaganda missbraucht wird. Es ist nicht das erste Mal, dass Jun sich mit Facebook anlegt: Er versuchte auch Facebook-Manager persönlich wegen Volksverhetzung zu belangen, weil Facebook Hetz-Kommentare nicht löschte. Prozessauftakt ist der 6. Februar.
jetzt: Herr Jun, was genau werfen Sie Facebook vor?
Chan-Jo Jun: Wir haben im Auftrag unseres Klienten Anas Modamani zunächst eine einstweilige Verfügung beantragt. Und zwar sowohl gegen Facebook als auch gegen Theo Gottschalk, den stellvertretenden Sprecher eines Kreisverbandes der AfD, der eine inzwischen gelöschte Montage von Anas Modamani weiterverbreitet hat. Darauf wird Modamani als gesuchter Straftäter dargestellt. Diese Bilder sollen weg.
Was genau ist auf diesen Bildern zu sehen?
In einer Darstellung wird Modamani vor dem Anschlags-LKW vom Breitscheidplatz gezeigt. In einer anderen wird mein Klient gezeigt und dabei suggeriert, dass er einer der Verdächtigen sei, die mutmaßlich im Dezember in Berlin einen Obdachlosen angezündet haben.
Sind da Hobby-Polizisten am Werk?
Solche Photoshop-Bearbeitungen verraten kriminelle Energie, denn das Bild wurde gestaucht, um eine angebliche Ähnlichkeit mit einem der Verdächtigen nachzuweisen. Frau Merkel, die auch noch auf dem Selfie ist, sieht dadurch auch nicht mehr aus, wie sie selbst. Wer auch immer das Bild bearbeitet hat, hat es bewusst getan, um Herrn Modamani zu belasten. Und damit letztlich politische Meinungsbildung mit Lügen zu beeinflussen.
Und damit ist welcher Straftatbestand erfüllt?
Jener der üblen Nachrede, bis hin zur Verleumdung nach Paragraph 186 und 187 Strafgesetzbuch. Wer jemandem fälschlicherweise ein Verbrechen anhängen will oder auch nur etwas, das dessen Ruf schadet oder ihn „verächtlich“ macht, begeht eine Straftat. Wenn dem Täter unklar ist, ob die Anschuldigungen stimmen, ist es üble Nachrede. Wer genau weiß, dass die Anschuldigungen nicht stimmen, begeht eine Verleumdung.
Es geht aber noch um ein zweites Bild.
Ja, um eine Fotomontage eben wieder jenes Selfies von Anas Modamani mit der Kanzlerin. Hier wurde es allerdings in den Kontext des Anschlags vom Berliner Breitscheidplatz gestellt und mit einem Kommentar wie „Merkels Tote“ versehen, also einem Zitat des AfD-Politikers Marcus Pretzell. Hier liegt keine Verleumdung vor, weil keine Straftat direkt behauptet wird. Jedoch versuchen wir hier, das Recht am eigenen Bild geltend zu machen, also eine Verletzung des Kunsturheberrechtes nachzuweisen. Dies hätte natürlich für Facebook weitreichende Folgen, wenn Nutzer Facebook zukünftig zwingen können, ungewollte Verwendungen eines eigenen Bildes zu stoppen.
"Ich würde gerne mit diesem Fall ein Vorbild schaffen, um den Bürgern zu zeigen: Leute, Ihr kriegt Recht"
Muss ich mir denn aktuell gefallen lassen, wenn mein Bild für politische Propaganda oder ähnliches verwendet wird?
Das ist die Frage. Rechtlich ist diese Unterlassung schwieriger durchzusetzen, aber wir wollen es in diesem Fall probieren.
Was erhoffen Sie sich von diesem Verfahren konkret?
Dass Facebook gezwungen wird, mit allen Mitteln die Verbreitung eines oder aller dieser Bilder von Anas Modamani zu verhindern. Sprich: Zu löschen. Und zwar alle Verwendungen. Und auch einen neuen Upload zu verhindern. Zur Not durch Bilderkennungs-Software. Und Herr Gottschalk müsste sich ebenso verpflichten, das Bild nicht mehr zu verbreiten und es zu löschen, wo er es verbreitet hat. In einem nächsten Prozess könnten wir dann Schadensersatz oder Schmerzensgeld einklagen.
Das wäre ein wichtiger Präzedenzfall.
Ich würde gerne mit diesem Fall ein Vorbild schaffen, um den Bürgern zu zeigen: Leute, Ihr kriegt Recht. Ihr könnt auf Unterlassung und Schmerzensgeld klagen. Und Facebook sollte merken, dass es teuer wird, wenn massenhaft geklagt und gewonnen wird. Und man aufwändig löschen muss.
Wie weit verbreitet wurden die Bilder denn?
Der ursprüngliche Post allein wurde über 500 Mal geteilt. Pro Share werden etwa 50 weitere Personen erreicht. Wir gehen also von einer Reichweite von ca. 25000 Nutzern oder mehr aus. Wie oft es von anderen Personen wie Herrn Gottschalk neu hochgeladen wurde, wissen wir nicht. Ebenso wenig, wie stark es auch auf Twitter präsent war oder ist. Facebook hat zum Beispiel den Originalpost einer flüchtlingsfeindlichen Seite namens „fluechtlinge.info“ auf unser Ersuchen gelöscht. Aber das Bild an sich und die anderen Darstellungen sind noch häufig zu sehen.
Sie hätten also noch mehr Nutzer verklagen können?
Dutzende. Aber wir beginnen mit einem. Um einmal zu klären, wie verantwortlich jemand ist, der „nur“ weiterleitet, was andere behaupten.
Muss ich denn als normaler Nutzer immer überprüfen, was ich verbreite?
Ja. Das Gesetz unter Paragraph 186 StGB ist hier klar: wenn etwas nicht "erweislich wahr“ ist, und trotzdem verbreitet es jemand, macht er sich haftbar. Selbst wenn er von einem Gerücht spricht oder dieses nur weiterträgt. Man muss beweisen können, was man verbreitet.
Warum hat vorher niemand wie Sie geklagt?
Die Leute wollen in aller Regel ja nur, dass etwas entfernt wird oder wenigstens vergessen. Der Ärger ist auch schnell wieder verflogen. Außerdem kostet es Geld und Zeit, die Streitwerte sind niedrig, kein Anwalt oder eine kommerzielle Lobby verdient damit so große Beträge wie beispielsweise bei Urheberechtsverletzungen. Mich wundert es aber ehrlich gesagt auch, dass noch niemand auf diese Idee gekommen ist.
Wie hat Facebook bis jetzt auf Ihre Anstrengungen reagiert ?
Von Facebook und deren Anwälten höre ich schon seit Wochen nichts mehr, über das Impressum bekommt man eine automatisierte Antwort, dass dieser Weg nur für Urheberrechtsverletzungen nutzbar sei. Und die Melde-Funktion bringt das übliche Ergebnis: Dass das Bild nicht gegen die Gemeinschaftsstandards verstößt. Wir wissen ja inzwischen, dass der Dienstleister Arvato diese Anfragen nach Handbuch abarbeitet. Und da steht nichts von Verleumdung. Sprich: Facebook will Beleidigungen und Verleumdungen gar nicht löschen.
Wie meinen Sie das?
Mark Zuckerberg hat selbst im Jahr 2015 in einem Post geschrieben, dass Facebook alles versuchen will, um eine Einflussnahme von Regierungen und ihren Gesetzgebungen auf die Inhalte zu abzuwehren. Die große Mission, die Welt miteinander zu vernetzen, sei wichtiger. Und während der „Flüchtlingskrise“ hat Facebook in Deutschland sehr davon profitiert, dass Bewegungen wie Pegida sich eben vornehmlich über Facebook vernetzt haben. Diskussionen, die nicht mehr im Wirtshaus, sondern dem Netzwerk stattfinden, bringen Facebook Traffic. Es ist Leitmedium für eine Meinungsbildung zumindest eines gewissen Spektrums geworden.
"Er wusste ja damals, als er das Selfie machte, nicht einmal, wer Angela Merkel ist"
Entgegen Mark Zuckerbergs Meinung sehen Sie Facebook also in der direkten Verantwortung?
Facebook beeinflusst Wahlen, zumindest in einem bestimmten Maß, auch wenn Zuckerberg diese Idee für „verrückt" hält. Und damit muss es sich an Regeln halten, mindestens eine rechtliche Verantwortung tragen. Und wir müssen jetzt als Gesellschaften und Politik entscheiden, ob wir hinnehmen, was Facebook mit uns macht. Ob wir hinnehmen, dass wir amerikanische Verhältnisse bekommen, wo Falschnachrichten, sogar rechtlich nachweisbare Lügen, in welchem Maß auch immer, Menschen beeinflussen.
Brauchen wir dazu neue Gesetze?
Nein. Strenger kann das rechtlich fast nicht gefasst sein. Die Politik, vor allem Justizminister Maas, hat aber zu lange auf Dialog gesetzt, auf runde Tische und freiwillige Reaktionen von Facebook. Im Nachhinein muss man sagen: Die haben ihn nicht ernst genommen, über eineinhalb Jahre hinweg. Seit mehr Öffentlichkeit dafür da ist – und auch ein paar Politiker gemerkt haben, dass nette Gespräche nicht reichen – seitdem dreht sich der Wind.
Was kann ich als Nutzer konkret tun, wenn ich verleumdet oder beleidigt werde?
Wenn eine Tatsachenbehauptung falsch ist, gibt es kein Pardon. Dann ist sie auch nicht von der Meinungsfreiheit geschützt. Und jeder, der das teilt oder verbreitet, macht sich in meinen Augen haftbar und möglicherweise strafbar. Dann kann man klagen.
Und wenn mein Bild gegen meinen Willen verbreitet wird?
Entgegen der Facebook-Richtlinien, die mich nur schützen, wenn ich unvorteilhaft – beim Urinieren oder ähnliches – dargestellt werde, gilt das Recht am eigenen Bild auch in neutralen Situationen. Ich muss mir als Privatperson rechtlich gesehen nichts gefallen lassen. Und Facebook muss dem nachkommen. Die Option der Löschung meines Bildes gibt es bei Facebook und der Meldefunktion aber gar nicht. Eine klare Diskrepanz zwischen geltendem deutschen Recht und Facebook-Standards. Facebook will damit lieber nichts zu tun haben. Man muss sie also dazu zwingen.
Wie geht es Ihrem Klienten Anas Modamani heute?
Er hat Angst. Vor allem sorgt sich seine Familie in Syrien um ihn. Er wusste ja damals, als er das Selfie machte, nicht einmal, wer Angela Merkel ist. Der Umstand, dass er jetzt wiederholt mit den Anschlägen in Verbindung gebracht wird, beunruhigt ihn sehr. Er arbeitet in Berlin in der Gastronomie. Irgendwann erkennt ihn da noch jemand. Auch wenn er die Öffentlichkeit zwischenzeitlich gesucht hat, um auf seinen Fall aufmerksam zu machen... aber als Terrorist dargestellt zu werden, geht ihm natürlich nahe.