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Über die magischen Kräfte von Kindheitsessen
Milchreis, Spinat mit Spiegelei, Nudeln mit Tomatensoße: Es gibt Speisen, die fallen in die Kategorie „Kindheitsessen“ – und das ist gar nicht despektierlich gemeint. Sie alle haben gemein, dass sie relativ unkompliziert in der Herstellung, aber eher unterkomplex im Geschmack sind – und eine gleichmäßige Konsistenz haben (denn wenn man etwas als Kind gehasst hat, dann, wenn in einem weichen Essen auf einmal harte Brocken auftauchen – oder umgekehrt). Die meisten Menschen haben so ein Kindheitsessen, bei dem ihnen ganz warm zumute wird.
Nahrungsaufnahme ist nämlich oft eine emotionale Angelegenheit. Das merkt man schon, wenn man mal eine unpopuläre Meinung zu dem Thema äußert („Ich liebe Haut auf meinem Kakao“ / „Ich habe eine Gluten-Unverträglichkeit “ / „Nutella oder Erdnussbutter ausschließlich mit Butter aufs Brot, sonst flutscht es nicht“ / etc.). Dank Bemerkungen wie diesen wurden schon Freundschaften und Beziehungen beendet.
Essen ist eine erstaunlich emotionale Angelegenheit
Aber Essen kann nicht nur entzweien, sondern auch wieder ganz machen. Und genau da kommt das Kindheitsessen ins Spiel, das man ehrlicherweise eigentlich „Trostessen“ nennen sollte. Denn genau das tut es. Es tröstet, auch wenn wir schon längst nicht mehr zu Hause leben, und unsere Enttäuschungen über ein nicht gewonnenes Fußballspiel sich mittlerweile in erträglichen Grenzen hält.
Wir haben gelernt mit Enttäuschungen umzugehen und trotzdem gibt es auch in unseren WG-Küchen natürlich noch genug Anlässe (wenn nicht sogar mehr), in denen ein Trostessen nötig wird.
Das Tolle am Trostessen ist, dass es eigentlich immer einfach genug ist, um es auch als Küchen-Amateur nachkochen zu können. Muss ja auch sein, schließlich musste Mama oder Papa das Essen aus dem Ärmel schütteln können, wenn mal wieder emotionale Notzeiten ausgebrochen waren. Deshalb hat Trostessen in der Regel auch nicht mehr als fünf Zutaten, die in jeder einigermaßen ausgestatteten Küche vorrätig sind. Und weil man auch nicht stundenlang in der Küche stehen muss, bis es fertig ist, hilft Trostessen zuverlässig auch groß gewordenen Kindern. Wenn sie ein paar wichtige Regeln beachten:
- Wichtigste Regel bei Trostessen: nie an Butter, Sahne, Fett und anderen Geschmacksträgern sparen. Stattdessen den etwas ollen Spruch bedenken: „Butter sparen – ganz verkehrt! Der Körper braucht es – Butter nährt!“ Eine universelle Weisheit, die übrigens ebenso auf Zucker, Alkohol, Fett und andere ungesunde Bestandteile der Diät anwendbar ist.
- Man sollte sein Kindheits-Trostessen nicht verändern oder mit exotischen Gewürzmischungen zu verbessern versuchen. Das überlassen wir verzweifelten Food-Bloggern auf der Suche nach frischem "Content". Denn jeder weiß: Trostessen wirkt nur, wenn es authentisch schmeckt.
- Wenn es trotz Rezept-Treue in der WG-Küche einfach nicht so schmecken will wie bei Muttern, beim nächsten Heimatbesuch das entsprechende Gericht wünschen und bei der Zubereitung helfen. Oft sind es völlig unwichtig erscheinende Abweichungen, die den Geschmack ausmachen. Wenn zum Beispiel die Mama immer H-Milch für den Pudding verwendet und man selbst Vollmilch, dann kann man davon ausgehen, dass es daran gelegen hat.
- Achtung, ganz wichtig: Man darf sich keinesfalls an seinem Trostessen überfressen und es deshalb wirklich nur in wichtigen Momenten und nicht zu inflationär kochen. Sonst beraubt man sich nämlich selbst einer funktionierenden Psycho-Krücke, mit der man auch aus schwierigen Situationen wieder rauskommt.
- Man darf andere Menschen nicht für ihr Trostessen auslachen. Sie können nichts für ihre frühkindliche Prägung. Und wer weiß: Vielleicht konnten die Eltern nicht mehr kochen und deshalb ist das Trostessen dieser Menschen jetzt Toast mit Ketchup. Trostessen ist Trostessen, egal woraus es besteht.
Guten Appetit - und gute Besserung!