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Es lebe der Eisbecher!

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Eigentlich passt der Eisbecher überhaupt nicht mehr in unsere Zeit. Angesagt sind gerade Läden, die Sorten wie Jasminblütensorbet oder Tamarindenmascarpone produzieren, und zwar ausschließlich zum Mitnehmen. Oft gibt es in modernen Eisdielen nicht mal Tische. Denn heute wollen die Leute alles, was mit „to go“ und schnell und zackig zu tun hat. Und mit „gesund und bewusst“. Ein Mensch, der 2015 lebt, bestellt kein Banana Split mit Sahnehaube. Nein, ein „Popsicle“ muss es sein, ein Eis am Stiel, das sich aber unter dem hübschen, amerikanischen Namen gleich ein bisschen teurer verkaufen lässt und am besten nur aus Joghurt oder aus Leitungswasser mit Minzblatt besteht, damit es nicht dick macht.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Aber: Der klassische Eisbecher ist ganz und gar nicht tot. Man muss nur mal zwischen zehn Uhr morgens und zehn Uhr abends um eine ganz normale, alteingesessene Eisdiele herumscharwenzeln, von denen es ja zum Glück noch einige gibt. Da darf man live miterleben, wie nicht nur ganze Schulschwänzertrupps, Kindergeburtstagsgruppen, mittelalte Freundinnencliquen oder latent grimmig dreinschauende ältere Herren auf der Eisterrasse Platz nehmen und sich noch vor dem Mittagessen einen Eisbecher reinziehen, der üppiger, bunter und übertriebener nicht sein könnte. Spaghettieis, Raffaello-Becher oder einfach nur sechs – ja, genau, sechs! – selbst gewählte Kugeln, von unten ausgepolstert mit großzügigem Sahnefundament und obendrauf – ach, was soll’s! – einfach noch mal Sahne und Erdbeersoße. Und diese Skulptur des Übermuts futtern sie in einem Tempo und mit einer irren Selbstverständlichkeit weg, als gehöre das zu ihren Alltagserledigungen wie Klopapierkaufen und Geldüberweisen.    

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Warum sich der Eisbecher so herrlich hartnäckig hält, versteht man vielleicht nur, wenn man sich das Wesen der Eiscreme generell vor Augen führt: Eis ist die natürliche Droge des Sommers. Es kühlt in der Hitze, erfrischt in der Pause, tröstet und belohnt nach einer schweren Aufgabe – und wenn ausnahmsweise mal alles perfekt ist, setzt es einfach noch einen obendrauf. Eis macht jeden Menschen glücklich, vom kleinen Mädchen, das gerade ihr Seepferdchen gemacht hat und zur Belohnung heute so viele Kugeln bestellen darf, wie es will, über den mittags vom Rave nach Hause torkelnden Philosophiestudenten bis zum Krankenpfleger, der gerade zur Nachtschicht aufbricht. Sie alle schrumpfen mit einem Eis vor der Nase innerlich auf das ewige Kind in sich zusammen: Eis wirkt entwaffnend. 

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Denn Eisessen ist so etwas wie das kulinarische Nickerchen, die Flucht ins süße Nichts, in die absolute Selbstvergessenheit. Ein Eis ist die unnötigste Mahlzeit der Welt, und doch können sich alle darauf einigen. Wie schön, wie sommerlich, wie zeitlos ist es, zu sagen: Lass uns ein Eis essen gehen! Eis geht immer, denn Eis hat keine Tageszeit wie Kaffee und Kuchen, nein, für Eis ist immer Platz. Nicht umsonst haben Eisdielen ja auch bis kurz vor Mitternacht geöffnet und in Italien oft noch länger. Italien, natürlich auch das: Eis ist Sehnsucht nach dem Süden und dem Leben des Dolcefarniente. Eis ist die Illusion der ewigen Weltflucht, der geheime Beweis dafür, dass im Leben vor allem das Jetzt zählt: Einmal nicht hingeschaut, einmal zu lang nicht geleckt, und schon ist alles dahingeschmolzen. Es ist süß und unvernünftig und zu nichts anderem als dem sofortigen, maximal leidenschaftlichen Verzehr geeignet, denn sonst ist es schneller zerlaufen, als du hinsehen kannst.    

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Diese Eigenschaften des Eisessens sind die Überlebensgarantien für den Eisbecher. Sie alle finden sich in ihm wieder – nur noch um ein Vielfaches potenziert: noch mehr Überfluss, Nonsens, Weltflucht, Kindseindürfen. Und alles noch dicker aufgetragen und unterstrichen von dieser fast schon absurden Optik. Eisbecher sind wie Jahrmarkt oder Feuerwerk: Von allem zu viel, aber Hauptsache es knallt. Allein die Namen der angebotenen Eisbecher durchzulesen ist eine Beschäftigung, die erheiternder nicht sein könnte: Coppa Bombastico, Fresco Fresco, Cup Casablanca, Viva Las Vegas, Vulcano! Man müsste Eisdielen im Grunde ganzheitlich in zeitgenössische Kunstgalerien importieren und den Betrieb weiterlaufen lassen wie eh und je. Ja wirklich, je länger man darüber nachdenkt, desto klarer wird es einem: Im Wesen des Eisbechers steckt die Weltformel.  

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