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Ist es moralisch in Ordnung, Insekten milliardenfach zu Essen zu machen?

Illustration: Katharina Bitzl; Fotos: rtr

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Wie klingen 400 Millionen zirpende Grillen in einer riesigen Halle? „Sehr laut, es ist gerade zu ohrenbetäubend“, sagt Radek Hušek und lacht. Der 25-jährige Tscheche eröffnet gerade im thailändischen Chiang Mai die größte Grillenfarm der Welt. Aus den Grillen stellt Radeks Firma „Cricket Lab“ ein Mehl her, mit dem sie den Nahrungsmittelmarkt revolutionieren will.

Im Jahr 2050 werden auf der Erde vermutlich neun Milliarden Menschen leben. Damit steigt natürlich auch der Proteinbedarf. In Zeiten, in denen die Leute sich bewusster ernähren und sich immer mehr von der Massentierhaltung abwenden, stellt sich die Frage, woher diese Proteine kommen sollen.

Radek hat aus dieser Frage ein Geschäft gemacht. Insekten gelten bei vielen Experten als Lösung des Proteinproblems.  Sie sind einfach zu züchten, leicht zu verarbeiten und enthalten sehr viele Eiweiße. Im asiatischen Raum essen bereits über zwei Milliarden Menschen Insekten, doch in der westlichen Welt sind Krabbler als Hauptnahrungsmittel noch kein Thema. Radek will das ändern und sein Grillenmehl in der Ernährung der westlichen Welt etablieren.

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Radek Hušek möchte mit seiner Firma Insekten als Nahrungsmittel in die westliche Welt bringen.

Foto: privat

Radek ist ein Businesstyp. Sein Linkedin-Profil sieht aus wie der feuchte Traum eines BWL-Professors: Jahrgangsbester der Wirtschaftsuniversität Prag mit Auslandssemester an der ESADE Business School in Barcelona. Ein Start-up während des Studiums gegründet und erfolgreich verkauft. Ein zugesagtes Master-Studium an der London School of Economics. Das er allerdings nicht angetreten hat – wegen der Grillen.

„Wenn du mir vor einem Jahr gesagt hättest, dass ich die größte Grillenfarm der Welt gründen werde, dann hätte ich dir vermutlich den Vogel gezeigt“, sagt Radek heute. Mit Insekten hatte er bisher nicht viel am Hut, deshalb hat er sich für seine Idee kompetente Hilfe geholt. Sein Firmenpartner Jesse Willems kümmert sich um den Anbau der Grillen, er hat Animal Management an der Van Hall Larenstein University in den Niederlanden studiert.

Zusammen haben sie in Thailand diesen Mai ihre Grillenfarm fertig gestellt. Gezüchtet wird bereits, im Herbst soll die volle „Grillen-Kapazität“ erreicht werden. Für den Standort Thailand haben sie sich entschieden, weil dort die Bedingungen für Grillen am besten sind, wie Radek sagt. Es ist konstant warm, so können sich die Grillen am besten vermehren.

Auf Radeks Grillenfarm werden die Grillen automatisch gewaschen, getötet und gemahlen. Das sei eine Weltneuheit. „Die meisten Grillenfarmen in Thailand sind klein. Wir wollen mit wenig Aufwand so viel wie möglich produzieren, damit wir das Grillenmehl zu kostengünstigen Preisen anbieten können.“ Das Grillenmehl ist fast geschmacklos und kann deshalb zu allem möglichen verarbeitet werden: Brot, Nudeln oder Proteinriegel.

Wenn der Betrieb Ende des Jahres voll aufgenommen wird, arbeiten pro Schicht gerade mal acht bis zehn Mitarbeiter auf der Farm. Weil fast alle Prozesse automatisiert sind, kommt die Farm trotz der Massenproduktion fast ohne Mitarbeiter aus. Die Tiere in sechs Meter hohen Boxen gehalten, um Platz zu sparen. Insgesamt wird für den Anbau der Grillen deshalb nur 660 Quadratmeter Platz benötigt.

Ist das moralisch in Ordnung?

Beim Begriff „Massenproduktion“ zuckt der nachhaltig denkende, umweltbewusste Millennial natürlich zusammen. Bilder von Legehennenbatterien und Schweinen in Massentierhaltung kommen einem in den Sinn. Bei voller Kapazität sollen 3,5 Tonnen Grillenmehl pro Monat produziert werden. Ein Gramm Mehl enthält elf Grillen, das macht 400 Millionen Grillen im Monat.

Professor Heinz Mehlhorn, Zoologe an der Uni Düsseldorf, sieht darin kein Problem. „Grillen haben ein so wenig entwickeltes Nervensystem, dass das mit der Massentierhaltung von Schweinen oder Kühen nicht vergleichbar ist.“ Radeks Firma wirbt damit, dass die Grillen schockgefrostet werden und so in Sekunden sterben – anscheinend ganz ohne Leiden.

Aber Schweine, die in Sekunden mit einem Bolzenschussgerät getötet werden, leiden doch auch? „Schweine ahnen den Tod förmlich, wenn sie zum Schlachter gebracht werden, sie können Todesangst spüren",  sagt Professor Mehlhorn. „Deshalb leiden sie trotzdem, auch wenn der Tötungsprozess quasi schmerzfrei abläuft. Die Grillen haben diese Sensibilität nicht.“

Für Radek sind Vegetarier und Veganer eine wichtige Zielgruppe

Moralisch gibt es also keine Bedenken bei Radeks Grillenfarm. „Es macht auf jeden Fall Sinn, Insekten als Massenware zu produzieren“, sagt Professor Mehlhorn. „Sie enthalten viele Proteine und sind leicht zu halten.“ Radeks Firma wirbt auf der Website mit folgenden Zahlen: Grillen benötigen zwölfmal weniger Futter als Rinder und halb so viel Futter wie Schweine oder Hühner, um ein halbes Kilo Protein zu produzieren.

Aber wollen Europäer wirklich Produkte aus Insektenmehl? „Natürlich ekeln sich Europäer, wenn sie an Grillen als Essen denken“, sagt Radek. Deshalb verarbeite Cricket Lab ja die Tiere zu Mehl.

Auch Vegetarier und Veganer sind für Radek potenzielle Kunden: „Viele Menschen werden zu Vegetariern oder Veganern, weil sie die Massentierhaltung ablehnen. Wir fügen den Tieren keinerlei Schmerz zu und arbeiten ressourcenschonend.“ Bei Cricket Lab arbeiten sogar zwei Vegetarier: „Die sind voll von unserer Idee überzeugt und würden auf jeden Fall die Produkte aus Grillenmehl essen.“

Wenn es nach Professor Mehlhorn geht, wird es Radek mit seiner Firma in Europa schwer haben. „Ich glaube nicht daran, dass sich dieses Nahrungsmittel in Europa durchsetzen kann. Der Mensch ist ein Gewohnheitstier und ekelt sich einfach vor Insekten. Die mussten sehr viel Geld für diese Farm investieren, ich könnte mir gut vorstellen, dass sie pleite gehen, was ich schade finden würde. Insektenmehl als Massenware ist wirklich eine gute Idee, die der Menschheit guttun würde.“

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