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Wohnen in Madrid oder: Im Zimmer mit einem vollbärtigen Dänen
Im vergangenen Herbst, nach der Bundestagswahl. Kleines, dunkles Wohnzimmer einer Wohnung in Madrid. Ich liege auf dem Boden. Angela Merkel betritt pfeifend das Wohnzimmer. In der Hand ein einfacher Sandkuchen und eine Wohnungsanzeige. Merkel (voll Tatendrang): Guten Morgen, Herr Braun! Sie sind doch ‚Botschafter der guten Laune`, oder? Ich (verschlafen): Ja, man nennt mich so, aber… Merkel: Eine kleine Aufmerksamkeit der Bundesregierung für Botschafter im Ausland. Und natürlich auch weil Sie, Herr Braun, bald Geburtstag haben und ich soeben Kanzlerin geworden bin. Ich (überrascht): Vielen herzlichen Dank, Frau Bundeskanzlerin. Und: gratuliere zur neuen Stelle! Was ist denn ihre Botschaft? Merkel: Äh.., also, an der wird grade noch von unseren Parteistrategen gebastelt. Botschaft, ..., ja! Wissen Sie was, Herr Braun? Sie brauchen dringend einen Botschaftssitz! Gerade als ich Merkels Kuchen anschneiden wollte, wachte ich aus meinem Traum auf. Kurz zuvor war ich in Madrid angekommen. Seit zwei Tagen schlief ich auf dem Boden, im Wohnzimmer einer Freundin. Angela Merkel hatte Recht: Ich brauchte schleunigst eine angemessene Bleibe. Ich begann meine Suche im Internet und telefonierte mit Italienern, Französinnen oder Finnen, die mir in gebrochenstem Spanisch ihre Wohnung beschreiben wollten, worauf ich beschloss, sie mir besser einfach anzusehen. Dann entdeckte ich die Wohnungsangebote an Bäumen nahe der Universität. Auch hier ergaben sich ein paar Besichtigungstermine, auf die ich mich natürlich vorbereiten wollte.
„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.
Wie verstellt man sich am Besten, um eine Wohnung zu bekommen? Immer der jeweiligen Situation anpassen! Sollten die potentiellen Mitbewohner einer WG etwa begeisterte Sozialdemokraten sein (ist das heutzutage noch möglich?), dann wollte ich „Anhänger von Gerhard Schröder spielen“. Sollten sie aber Schröder verachten, dann, überlegte ich mir, verachte ich halt eine Weile ein bisschen mit. Nur Opportunisten kommen weiter. Man darf kein Idealist sein, um beim Gewinnspiel "Wer wird Mitbewohner?" nicht zu den Verlierern zu gehören. Nachdem ich sämtliche Mitbewohner-Typ-Szenarien (von "Befürworter der Sterbehilfe" bis zu "Verachter des gewaltsamen Stiertodes") durchgespielt hatte, dachte ich mir: oder vielleicht doch besser einfach du selbst sein? Bei der ersten Wohnungsbesichtigung machte mir ein Spanier mit nacktem Oberkörper die Tür auf. Das Gesicht sah ich erst, als sich der Rauch verzogen hatte. Er kiffte unverblümt weiter und zeigte mir gelangweilt die Wohnung und das "Zimmer". Es war eine Abstellkammer für 300 Euro mit einem leicht angeschimmelten Hochbett. Er machte sich nicht einmal die Mühe, seinen Joint auszumachen oder mir einen Zug anzubieten. Ich verteufelte die Gastfreundschaft, sah mir die verdreckte Küche und das Wohnzimmer an, das ich allen Ernstes "nicht mitbenutzen" durfte, wie er mir sagte, und ging schnell wieder. Die zweite Wohnung, die ich mir anschaute, war traumhaft schön, direkt an der Puerta del Sol, mitten im Zentrum gelegen. Die anderen Bewerber und ich trafen auf eine Deutsche (Stuttgart) und einen französischsprechenden Schweizer (Lausanne), die zwei weitere Mitbewohner suchten. Viele Interessenten kamen und gingen. Wir erfuhren, dass die Miete für das freie Zimmer 250 Euro betragen würde und sich zwei Leute das Zimmer teilen müssen. Dafür hatte die Wohnung ein sehr großes, helles Wohnzimmer. Nach ein paar harmlosen Fragen zu meinen Spanischkenntnissen und meinem bisherigen Leben merkten wir, wie gut wir uns verstanden. Und ich merkte, dass mein Opportunismus hier nicht gefragt war. Keine Sterbehilfe, kein Stiertod, keine Sozialdemokratie. Weder Befürworter, noch Verfechter. Christian, ein vollbärtiger Däne, und ich, wir bekamen das Zimmer. Ich hatte also eine Wohnung, bereits nach dem zweiten Termin! Ich hatte gewonnen. Ein Zimmer für 250 Euro mitten in Madrid, dachte ich mir, das kriegst du nicht wieder! Halbwegs annehmbare Einzelzimmer kosten hier etwa 350 Euro, angeschimmelte Abstellkammern beginnen bei 300 Euro. Und da Christian ausgesprochen nett war und wir vereinbarten, dass der jeweils andere bei "Damenbesuch aus Dänemark oder Deutschland" (wir waren beide in festen Händen) ins Wohnzimmer ziehen würde, konnte ich auch mit einem vollbärtigen Dänen im Zimmer leben. In der ersten Nacht in meiner neuen Wohnung hatte ich folgenden Traum: Im vergangenen Herbst, kurz nach der Bundestagswahl. Kleines, dunkles Wohnzimmer einer Wohnung in Madrid. Ein Student liegt auf dem Boden. Gerhard Schröder betritt schnaubend das Wohnzimmer. In der Hand eine aufwendig verzierte Torte und eine Wohnungsanzeige. Schröder (desillusioniert): Guten Tag, Herr Braun! Sie sind doch Botschafter der guten Laune, oder? Ich (verschlafen): Ja, man nennt mich so, aber… Schröder: Eine meiner letzten Amtshandlungen, Herr Braun. Eine kleine Aufmerksamkeit der Bundesregierung für Botschafter im Ausland. Ich (überrascht): Vielen herzlichen Dank, Herr Schröder, oder darf ich bereits Altkanzler sagen? Nur so nebenbei: Was war denn eigentlich ihre Botschaft? Schröder (bestimmt werdend): Äh.., also, an der wurde jahrelang von unseren Parteistrategen gebastelt. Jetzt kam uns die Wahlniederlage dazwischen ..., deshalb, ... machen Sie es besser! Verlieren Sie nicht, Herr Braun. Niemals! Verschwitzt wachte ich auf. Illustration: Eva Hillreiner