- • Startseite
- • EM 2016
-
•
Neues Stadion-Ritual für die EM
Neulich habe ich Fußball geschaut. Kommt so gut wie nie vor. Und dann auch noch ein Spiel der Saudi-Arabischen Liga. Kommt noch seltener als so gut wie nie vor. Ich fand es auch eher mäßig interessant und wurde erst ganz am Ende aufmerksam:
Das Spiel war vorbei und ein Hubschrauber oder eine Kameradrohne sendete Bilder vom Flug über das Stadion. Das Flutlicht wurde ausgeschaltet, die Menschen im Publikum hielten ihre Smartphones in die Höhe und an jedem Smartphone leuchtete das kleine Kamera-Blitzlicht. Von oben ergab das ein Meer aus funkelnden Lichten und sah wunderschön aus. Ich war ganz begeistert. Die anderen, mit denen ich das Spiel angeschaut hatte, waren weniger beeindruckt. Sie schauen öfter Fußball und wohl auch öfter Spiele der Saudi-Arabischen Liga. Sie kannten das schon.
___Stromausfall im Stadion? Macht nix, gibt ja Smartphones! Hier die der Fans beim Fußballspiel Tottenham gegen Besiktas, 2014 in Istanbul.
- Foto: Sedat Suna / dpa; Bearbeitung: Katharina Bitzl___
Aber ich fragte mich: Warum wird das nicht immer und überall gemacht? Das könnte doch das Stadion-Ritual der 2010er Jahre sein! Jeder könnte einfach so mitmachen. Smartphones werden für so vieles genutzt – wieso nicht auch für einen schönen, gemeinschaftlichen Moment?
Anschließend habe ich das Phänomen „Smartphone-Lichter im Stadion“ ein bisschen erforscht. Das älteste Beispiel, das ich mit dem Suchbegriff „Flashlights Stadium“ gefunden habe, zeigt Lichter in einem Football-Stadion in Ohio bei einem Madonna-Konzert 2012. Aber das Publikum nutzte für das Lichtermeer damals keine Handys, sondern kleine Taschenlampen, die unter den Sitzen bereitlagen. Auf Facebook wurde dazu aufgerufen, sie zu benutzen, wenn Madonna „Like a Prayer“ singt. „Those flashlights are already in purses and pockets lol“ schrieb eine Nutzerin unter den Post. Vielleicht meinte sie damit: die Taschenlampen werden von den Zuschauern geklaut. Vielleicht meinte sie aber auch: die Zuschauer haben doch eh alle selbst eine Lampe in der Hosentasche – die an ihrem Telefon.
Als das Licht im Stadion ausfiel, ließen die Fans ihre Handys leuchten
Beispiele von Handylichtern auf den Rängen findet man erst ab etwa 2014. Im September 2014 twitterte ein Nutzer namens Stone Atwine ein Bild aus einem Fußballstadion in Uganda, in dem das Licht ausgefallen war. Viele Zuschauer ließen daraufhin ihre Blitzlichter leuchten. Für Atwine war das ein Beweis dafür, dass Smartphones entgegen anderer Behauptungen auch in Afrika längst angekommen sind und die „feature phones“ (ein Begriff für Nokia 3210 und seine Freunde) abgelöst haben:
Die jetzt-Redaktion hat diesen Artikel mit einem Inhalt von x angereichert
Um deine Daten zu schützen, wurde er nicht ohne deine Zustimmung geladen.
Ich bin damit einverstanden, dass mir Inhalte von x angezeigt werden. Damit werden personenbezogene Daten an den Betreiber des Portals zur Nutzungsanalyse übermittelt. Mehr Informationen und eine Widerrufsmöglichkeit findest du unter www.swmh-datenschutz.de/jetzt.
Dieser externe Inhalt wurde automatisch geladen, weil du dem zugestimmt hast.
Etwas Ähnliches passierte Ende 2014 in Istanbul bei einem Europa-League-Spiel zwischen Tottenham und Besiktas. Auch dort fiel das Licht aus und das Spiel musste unterbrochen werden. Die Fans wollten natürlich, dass es weitergeht, und leuchteten darum mit Handylichtern und -bildschirmen:
Die jetzt-Redaktion hat diesen Artikel mit einem Inhalt von youtube angereichert
Um deine Daten zu schützen, wurde er nicht ohne deine Zustimmung geladen.
Ich bin damit einverstanden, dass mir Inhalte von youtube angezeigt werden. Damit werden personenbezogene Daten an den Betreiber des Portals zur Nutzungsanalyse übermittelt. Mehr Informationen und eine Widerrufsmöglichkeit findest du unter www.swmh-datenschutz.de/jetzt.
Dieser externe Inhalt wurde automatisch geladen, weil du dem zugestimmt hast.
Auch während eines amerikanischen Uni-Fußballspiels und während einer Partie in Indien, beide im November 2014, erleuchteten die Fans die Stadien. Aus dem Mai 2015 gibt es ein Foto aus einem Stadion in Buenos Aires, aus dem Oktober 2015 ein Video, das keine Ortsangabe hat. Im November 2015 leuchteten die Handys beim Spiel Manchester gegen Eindhoven zum zehnten Todestages des ehemaligen Manchester-Stars George Best.
Das letzte Beispiel und die beiden, bei denen ein Stadion ohne Strom erleuchtet wurde, sind die schönsten. Genau dafür sollten die Handylichter genutzt werden: um Solidarität zu zeigen, um einen Moment der Gemeinschaft zu erzeugen. So ähnlich wie 2014 in Hongkong, als die Handylichter ein Symbol des friedlichen Protests wurden.
Während der EM sitzen jetzt wieder viele vorm Fernseher und meckern, dass der Typ vor ihnen und die Frau neben ihnen und der kleine Kerl auf der anderen Seite die ganze Zeit mit ihren Telefonen rumhantieren, filmen, Fotos und Selfies machen.
Handylichter könnten die neuen Feuerzeuge sein – nur ohne Verbrennungsgefahr
Ich wünsche mir darum, dass die Uefa veranlasst, dass nach jedem Spiel das Licht im Stadion gelöscht wird und alle ihre Blitzlichter anmachen. Das wäre ein schönes Erlebnis für alle und ein schönes neues Ritual: Die Fernsehzuschauer bekämen die hübschesten Bilder und die Stadiongänger hätten ein gemeinschaftliches Erlebnis, miteinander und mit ihren Smartphones. Win-win, egal, wer gerade auf dem Feld gewonnen hat und wer während des Spiels auf dem Nebensitz genervt hat. Im Schein der kleinen Lichter könnte man sowohl Tränen der Freude als auch Tränen der Trauer wegwischen. Oder Tränen der Rührung, weil es so schön aussieht. Man würde sich feierlich fühlen und auch irgendwie friedlich. Wie früher, wenn bei den romantischsten Songs eines Konzerts die Feuerzeuge gezückt wurden – nur eben ohne Verbrennungsgefahr. Oder wie bei einer Lichterkette. Das Handy-Leuchten könnte, wenn man es ganz groß fassen will, sogar ein Symbol sein: gegen Rassismus und Terrorismus und für Verbundenheit. Das könnte Europa – gerade bei einer EM in Frankreich – doch aktuell ziemlich gut gebrauchen.
Das allerfrühste Beispiel für Flashlights im Stadion, das ich gefunden habe, ist übrigens ein Bild des amerikanischen Fotografen Scott Mutter und fast 30 Jahre alt. Mutter, der vor allem für seine Fotomontagen berühmt war, hatte in den Achtzigerjahren eine Vision. Damals wurde mehrere Jahre lang diskutiert, ob im Chicagoer Baseball-Stadion Wrigley Field Flutlichter für Nachtspiele installiert werden sollten oder nicht. Mutters Beitrag zu der Debatte war ein bearbeitetes Bild des Stadions, das zeigte, wie die Fans von den Rängen aus das Spielfeld mit Taschenlampen erhellten. Man kann es sich im digitalen „Museum of Photography“ ansehen.
Mutter ist 2008 gestorben, ein Jahr, nachdem das erste iPhone auf den Markt kam und die Smartphones die Welt eroberten. Er hat also leider nicht mehr miterleben können, wie seine Vision in einigen Stadien Wirklichkeit wurde. Und wer weiß, vielleicht wird sie ja doch noch zur Tradition – und 2018, zehn Jahre nach Mutters Tod, werden bei der Weltmeisterschaft in Russland alle Stadien leuchten.