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Fernbeziehung mit den Eltern
Noch vor ein paar Jahren rollte ich mit den Augen, wenn meine beste Freundin mit ihren Fernbeziehungsproblemen nervte. „Wir haben einfach keinen gemeinsamen Alltag!“ „Ich hab das Gefühl, ich kenn ihn gar nicht mehr richtig!“ So klagte sie. Damals nahm ich mir vor: So werde ich nie.
Jetzt bin ich doch genauso. Denn obwohl mein Freund nur ein paar Fahrradminuten entfernt von mir wohnt, führe ich eine Fernbeziehung. Mit meinen Eltern.
Ich wohne in der Stadt, sie in meiner Heimat auf dem Land. In unregelmäßigen Abständen setze ich mich drei Stunden in den Zug, um zu ihnen zu fahren. Wir sehen uns maximal einmal pro Monat für zwei Tage.
Ich bin gerne bei meinen Eltern zu Besuch. Aber neulich auf dem Heimweg im Zug dachte ich darüber nach, warum ich immer das Bedürfnis habe, alles auszudiskutieren und bei aufkommenden, auch kleineren Konflikten nicht einfach das Thema wechsle. Warum dann über unwichtige Dinge gestritten wird, zum Beispiel darüber, ob Martin Schulz ein komischer Typ oder total gut ist. Warum meine Mama nicht verstehen kann, dass ich auch an einem Wochentag manchmal noch um 10 Uhr im Bett liege. Oder warum ich mich persönlich beleidigt fühle, wenn auf die Nachricht, dass ich eben eine wichtige Prüfung bestanden habe, nur ein „Ok.“ als Antwort im Familienchat kommt.
Da merkte ich: Wir führen eine Fernbeziehung. Die Symptome sind eindeutig:
1. Die gemeinsame Zeit ist durchgeplant
Uns fehlt der gemeinsame Alltag. Wir sehen uns selten und nur am Wochenende oder im Urlaub. Deshalb möchten wir maximal coole Sachen unternehmen, wenn wir schon alle versammelt sind, und planen alles strikt durch. Einfach mal kurz alleine spazieren gehen oder im Zimmer bleiben? Machen wir kaum. Dabei tun jedem von uns ein paar Minuten „alleine-Zeit“ pro Tag gut.
2. Wir müssen uns jedes Mal wieder aneinander gewöhnen
Mamas Verplantheit nervt nur am Anfang, Papas Schweigsamkeit fällt nach dem Essen schon gar nicht mehr so auf. Umgekehrt werde ich am Samstagmorgen noch vorwurfsvoll beäugt, während ich meinen vierten Kaffee trinke – am Sonntag stört das niemanden mehr.
3. Wir streiten nur, wenn wir uns sehen
„Nicht gleich die gute Stimmung vermiesen“, denkt man sich anfangs noch und schluckt den Ärger herunter. Spätestens am zweiten Tag funktioniert das nicht mehr, dann kracht es. Dagegen streiten wir fast nie am Telefon oder gar per Whatsapp. Konflikte werden in eine Kiste gepackt und bis zum nächsten Treffen aufbewahrt. Am Telefon streiten, das wäre ja doof.
4. Wir vertragen uns vor dem Abschied wieder
Denn im Streit auseinandergehen, das will niemand. Und so wichtig war das Ganze ja nun auch nicht.
5. Regelmäßigen Kontakt gibt es nur per Whatsapp
Zwar ist die Familiengruppe immer voll mit Fotos und kurzen Updates aus unseren Leben, aber längere Telefonate sind, weil jeder seinen eigenen, vollgepackten Alltag hat, oft schwierig. Manchmal verpassen wir tagelang gegenseitig unsere Anrufe – bis wir dann einen festen Termin zum „mal wieder Telefonieren“ ausmachen.
6. Wir führen getrennte Leben und das ist okay
Wehmütig bin ich schon, wenn ich mich nach einem gemeinsamen Wochenende am Bahnsteig von meinen Eltern verabschiede. Aber: Sobald ich in meinem eigenen kleinen Zuhause angekommen bin, schätze ich mein selbstständiges Leben wieder. Die Geborgenheit, die ich bei meinen Eltern spüre, werde ich zwar niemals woanders finden. Aber bei mir zuhause bin ich der Boss – ich entscheide, ob ich mir noch bis 4 Uhr morgens Serien anschaue. Ich entscheide, ob ich mir alleine meinen Lieblingswein aufmache. Ich entscheide, ob ich die Vorlesung einfach mal sausen lasse – und das fühlt sich gut an.
Trotzdem ist die Fernbeziehung zu meinen Eltern einfacher als die des Pärchens in meinen Freundeskreis: Schließlich können auch noch so lange Telefonate in Liebesbeziehungen nicht die körperliche Nähe ersetzen. Und auch die Eifersucht spielt in der Beziehung zu meinen Eltern natürlich keine Rolle. Außerdem haben wir 18 Jahre des Zusammenlebens, auf die wir aufbauen können – ich denke, die Aussichten, dass unsere Fernbeziehung noch lange hält, sind ganz gut.
Die Autorin dieses Textes möchte gern anonym bleiben, damit ihre Eltern nicht rausbekommen, dass sie sich manchmal alleine eine Flasche Wein aufmacht und bis 4 Uhr nachts Serien schaut. Gleichzeitig.