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Elternkolumne: Warum Eltern bei Besuchen immer putzen müssen
Es gab bisher genau eine Wohnung, die meine Eltern nicht insgeheim grauslig fanden. Die allererste. Die, bei der sie selbst mit zur Besichtigung kamen und der Vermieter ausschließlich mit ihnen geredet hat. Ein Zimmer, 26 Quadratmeter, Teppichboden, Stadtrand, gerade noch Trambahnendstation, aber Neubau. Neubau, das ist in unterschiedlichen Generationen grundverschieden konnotiert, sollte ich im Zuge meines Mieterdaseins lernen.
Meine Eltern fanden es super, ich fühlte mich wie in einem Hotelzimmer und fand das auch irgendwie super, außerdem hatte ich keinen Vergleich. Wir fuhren zu Ikea und jedes einzelne Möbelstück wurde von meinen Eltern mit ausgewählt, bezahlt und aufgebaut. Und als ich komplett ausgestattet war, vom Schneebesen bis zur Fußmatte, fuhren sie ab, ein Tränchen im Auge um das verlorene Kind, aber durchaus zufrieden mit dessen Wohnsituation. Es sollte das letzte Mal gewesen sein, dass sie diese Zufriedenheit spürten.
Von da an lief jeder Besuch irgendwie gleich ab. Zwei Tage vorher begann ich mit der Ordnungsaktion. Meist so gründlich, dass es zwei Stunden vor Eintreffen der Eltern schlimmer aussah als vorher und ich in Rekordzeit alle Spuren des Aufräumens aufräumen musste. Aber Stress hin oder her, das Ergebnis konnte sich sehen lassen. Dachte ich. Dann kamen meine Eltern.
Parkplatzsuche, Hallohallo, Umarmung, wie war die Fahrt, kommt rein, Schuhe könnt ihr anlassen, nein könnt ihr wirklich, wollt ihr was trinken, prüfende Blicke und ehe ich mich versehe, hat meine Mutter schon einen Putz- oder Staub- oder Spüllappen in der Hand und mein Vater ist schon wieder am Auto, um seinen Werkzeug-Rucksack (mit dem er zugegebenermaßen ziemlich cool aussieht) und, wenn nicht gerade Sonntag ist, seine Bohrmaschine zu holen.
„Komm, wir machen jetzt noch schnell das Bad”
Als könne sie nicht anders, fängt meine Mutter an, Fenster zu putzen, Spiegel nachzupolieren oder die zwei Tassen zu spülen, die noch in der Küche stehen, als wäre es unmöglich, den Anblick dieser zwei Tassen auch nur für fünf Sekunden zu ertragen. Sie sagt dann Sachen wie: „Komm, wir machen jetzt noch schnell das Bad”, als hätte ich es nicht gerade geputzt und als gäbe es keine schönere Mutter-Tochter-Aktivität an einem Wochenende. Der Witz daran ist: Ich kenne meine Mutter. Sie hat keinen Putzfimmel. Klar ist es bei ihr wahrscheinlich insgesamt noch ein bisschen sauberer als bei mir. Aber wenn man ehrlich ist: Meine Mutter putzt auch vor allem dann, wenn sie Besuch erwartet.
Aber es ist auch nicht nur der Grad an Sauberkeit, sondern die Wohnungen selbst, die meine Eltern stets zu entsetzen scheint. Fragt man meine Freunde, würden die sicher sagen, dass ich wohnungstechnisch stets enormes Glück hatte. Meine zweite Wohnung in Augsburg: Zweier-WG, drei Zimmer, gigantischer Balkon, gute Lage. Danach zugegeben Souterrain-Wohnung, aber riesig und mit sehr gemütlicher Wohnküche, super Lage und das in München. Und dann eine lichtdurchflutete WG, nur zwei Straßen weiter, vierter Stock, Altbau.
Ich hielt diese Wohnungen jedes Mal für ein kleines Wunder, meine Eltern sahen darin: die Wohnung, in der die Türen nicht schlossen und der Flur komisch roch, ein dunkles, indiskutables Kellerloch und die Wohnung mit dem Uraltbad und dem Uraltgasherd, der jede Minute explodieren könnte. Ein Besuch bei mir löste in ihnen drei Gefühle aus: die Freude, selbst nicht dort wohnen zu müssen, die Sorge um mich und das Bedauern, dass ich nicht doch was studiert hatte, was mich reich gemacht hätte. Und sie schienen das zwischen den Besuchen auch jedes Mal zu verdrängen, denn jeder Besuch löste genau das Gleiche wieder aus.
Viele Jahre hat mich das immer geärgert. Nicht schlimm geärgert, ich kam ja auch in das Alter, in dem man anfängt zu erkennen, dass es keineswegs selbstverständlich ist, was Eltern alles für einen tun und sie im Alter eben nicht weniger verschroben werden. Aber geärgert hat’s mich eben doch.
Eltern halten einen wirklich für nicht überlebensfähig
Doch in der letzten Zeit glaube ich, das elterliche Wohnungsbashing ein bisschen ergründen zu können. Schritt eins zur Erkenntnis kam, als mir der 19-jährige Sohn meiner Cousine, gerade frisch ausgezogen, von seiner neuen coolen WG erzählte und auf dem Heimweg meine Mutter berichtete, wie entsetzt meine Cousine war von dieser „coolen WG” und dass sie zwei Tage geputzt hat, bevor er einziehen durfte. Und mir war sofort klar, was mir selbst in der Situation nie klar geworden ist: Es gibt in unseren Eltern einen Teil, der uns, wenn wir ausziehen, tatsächlich noch nicht für alleine überlebensfähig hält.
Und das noch nicht mal zu unrecht. Sind wir mal ehrlich: Solange wir zu Hause leben, sind die meisten von uns doch ziemlich verwöhnt. Vieles passiert einfach für uns, ohne dass wir etwas dafür tun müssen. Würden wir tatsächlich eins zu eins in der eigenen Wohnung so weitermachen, wäre es recht wahrscheinlich, dass wir verhungern, in dreckiger Wäsche ersticken, oder für immer auf der Toilette sitzen würden, weil keiner neues Klopapier gekauft hat. Unsere Eltern erleben uns nicht in unserem normalen Wohn-Alltag. Deshalb denken sie, sie müssten unser Überleben sichern.
Schritt zwei zur Erkenntnis kam, als ich vor kurzem meinen Eltern stolz meine neueste Wohnung präsentierte: vierter Stock, Altbau, riesig, voll funktionsfähige Küche, großes Bad, nicht wie bisher in allen Matschtönen, die die 70er Jahre ausgewürgt hatten, sondern strahlend weiß. Mein Freund und ich können unser Glück immer noch kaum fassen. Diesmal gab es nichts auszusetzen. Dachte ich.
Es wurde auch erstmal geoooht und geaaaaht, als sie die vier Stockwerke hochgeschnauft waren (ich bin mir sicher, für einen kurzen Augenblick sehnten sie das Kellerloch zurück). Es wurde ein bisschen geschraubt, aber nicht geputzt und ich war zufrieden.
Bis der Anruf kam.
„Wann hast du das nächste mal am Wochenende frei? Wir kommen nochmal. Wir müssen dir noch ein bisschen helfen, dass ihr die Wohnung fertig bekommt. Das ist ja alles noch so leer bei euch. Und ich bring dir den Wunderlappen mit, von dem ich erzählt habe. Was braucht ihr sonst noch und wie kommt ihr eigentlich mit eurem Geld aus?”
Es war anscheinend so schlimm, dass es eines sofortigen Folgebesuchs bedurfte. Als wäre diese geräumige Luxuswohnung aus Ermangelung an überflüssigen Möbeln und Schnickschnack ein offensichtliches Zeichen von Armut und Notstand.
Die Wohnung ist der einzige Bereich, in dem sie komplett verstehen, was passiert
Aber als ich erkannte, dass sie selbst mit dieser Wohnung und nachdem ich meine Überlebensfähigkeit jahrelang unter Beweis gestellt hatte, noch nicht beruhigt waren, wurde mir klar, dass sie niemals beruhigt sein würden. Dass nichts genug war. Dass sie für mich immer irgendwas noch besser machen wollten. Weil ich nun mal ihre Tochter war. Und da wurde mir doch sehr warm ums Herz.
Die Wohnung ist für viele Eltern das Einzige im Leben von uns erwachsenen Kindern, auf das sie noch Einfluss nehmen können. Der einzige Bereich, in dem sie komplett verstehen, was passiert und durch dessen Verbesserung sie unsere Lebensqualität noch steigern können. Sie können uns nicht im Job helfen, wie damals bei den Hausaufgaben. Sie können nicht beim Chef anrufen und sagen: „Sorgen sie dafür, dass die Kollegen netter zu meinem Kind sind” oder „Geben sie ihr gefälligst eine Gehaltserhöhung”. Sie können nicht zu unserem Schwarm gehen und ihm drohen, seinen Eltern zu erzählen, dass er raucht, wenn er uns nicht auf ein Date einlädt. Aber sie können Regale aufhängen und Blumenstöcke kaufen. Vom Wohnen verstehen sie was und vom Putzen und Handwerken erst recht. Sie haben uns, als wir auf die Welt kamen, ein Nest gebaut, damit wir uns wohlfühlen und sie hören damit auch nicht auf, nur weil wir ausgeflogen sind.
Und ich glaube, sie denken, wenn es nach ihrem Besuch schöner ist als vorher, irgendwas wieder funktioniert, aufgehängt oder sauber ist, dann dürfen sie vielleicht bald wieder mal ein Wochenende vorbeikommen. Und das denken sie, weil sie nicht merken, dass wir uns doch freuen, wenn sie kommen, weil wir ihnen dann stolz zeigen können, wir gut wir wohnen können. Und putzen. Und überleben.
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