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Elternkolumne: Eltern die viel und schlecht fotografieren
Ich habe zu Hause eine Schublade mit Dingen, die ich eigentlich nicht brauche, aber auch nicht wegwerfen will. Meist aus emotionalen Gründen. Als ich diese Schublade neulich mal wieder öffnete, fiel mir etwas auf: Ein großer Teil des Inhalts sind Fototaschen, wie man sie bei Drogeriemärkten bekommt, wenn man dort Abzüge abholt. Die Taschen sind beschriftet, meist in der Handschrift meiner Mutter. Darauf stehen Sachen wie: „Geburtstag Mama“, „Weihnachten 2016“, „Weihnachten 2015“. Die Bilder in den Taschen sind eigentlich immer gleich: Familie mit Sektgläsern, Familie am Tisch, der Weihnachtsbaum, irgendwer packt ein Geschenk aus. Der einzige Unterschied ist die Farbe der Christbaumkugeln und die Kleidung der Personen.
Ich kann mit diesen Bildern nichts anfangen. Nachdem meine Mutter oder mein Vater sie mir bei einem Besuch in die Hand gedrückt haben, schaue ich sie einmal an, dann lege ich sie in die Schublade. Ich glaube, meine Eltern wissen sogar, dass ich mich nicht sonderlich dafür begeistere. Sie machen mir trotzdem immer wieder Abzüge.
Wir haben ein anderes Verhältnis zu Fotos als unsere Eltern. Für uns sind Fotos vor allem etwas Digitales. Etwas zum Posten oder Whatsappen, nur ganz selten wird ein besonders schönes Exemplar entwickelt und an die Wand gehängt. Wir knipsen alles und jeden; ein Ereignis, das nicht in der Foto-Bibliothek auf einem unserer Geräte oder in der Cloud liegt, hat nicht stattgefunden. Unsere Foto-Archive sind auch Tagebücher, mit denen man jederzeit in der Bahn sein Leben eine Weile zurückverfolgen kann. Ab und an ordnen und löschen wir rigoros Dinge in diesem Archiv, weil wir dringend Speicherplatz brauchen.
Unsere Eltern stammen aus der Zeit der analogen Fotografie und der Fotoalben. Für sie war ein Foto etwas für einen besonderen Moment. Der wurde einmal festgehalten, sorgsam eingeklebt und war fortan sauber geordnet in einem Jahresalbum verfügbar. Ja, ein Album pro Jahr, das reichte. Meine Eltern haben von ihrer Hochzeit etwa zehn Bilder. Zehn! Heute werden auf Hochzeiten zehn Bilder pro Minute gemacht.
Dann kamen die Digitalfotografie und die Smartphones. Und warfen die bisherige Ordnung im Leben unserer Eltern um. Plötzlich konnten sie immer Fotos machen. Jederzeit. Das haben sie schnell begriffen und adaptiert. Sie fotografieren alles. Immer. Gerne auch mehrmals. Mit mehreren Geräten.
Ein Familientreffen, sagen wir ein Geburtstagsessen in einem Restaurant, läuft bei uns heute in etwa so ab: Man kommt an, begrüßt einander und setzt sich an den Tisch. Meine Mutter sagt: „Lass uns doch mal ein Foto machen, die Aussicht ist ja toll hier auf der Terrasse.“ Sie zückt ihr Smartphone und macht ein Foto. Dann macht sie noch eines, weil das erste verwackelt war. Dann noch eines. Das war schief und Papa hat die Augen geschlossen. Das nächste passt ihr endlich. Damit ist es aber nicht vorbei: Denn jetzt holt Mama ihr Tablet aus der Tasche. Und macht wieder fünf Fotos. Warum? Sie weiß nicht, wie man mit dem Smartphone E-Mails verschickt, will aber Tante Bärbel, die kein Whatsapp hat, auch die Fotos schicken, also muss sie das per Mail tun und braucht die Fotos auf dem Tablet, weil „da GMX geht“.
Mittlerweile habe ich Schmerzen im Gesicht vom Dauer-Fotogrinsen. Eine Erlösung für den Kiefermuskel ist nicht in Sicht. Denn jetzt muss auch Papa noch mit seiner neuen Digitalkamera Bilder machen, weil die ja viiiiel bessere Fotos macht (beziehungsweise: machen würde, wenn er wüsste, wie man den Blitz ausschaltet) und weil man mit der Speicherkarte aus der Kamera einfach in den Drogeriemarkt laufen und die Bilder entwickeln kann. Und dann den Kindern schicken. Alle. Auch das, auf dem Mamas Augen geschlossen sind, und das, auf dem der Kellner im Hintergrund steht und verwundert schaut.
Das Immer-Fotografieren haben meine Eltern also schnell für sich entdeckt. Alles darüber hinaus bereitet ihnen Probleme. Da sind dann doch die Verhaltensmustern ihrer Analog-Fotowelt hängengeblieben. Sortieren und löschen? Können sie nicht und lernen sie nur langsam. Der bislang größte Erfolg in dieser Hinsicht war es, meinen Vater zu überzeugen, keine neue Speicherkarte für seine Kamera zu kaufen, wenn eine voll ist, sondern die Bilder auf dem PC zu speichern und die Karte zu überschreiben.
Das Problem ist: Für dieses Problem gibt es nur eine Lösung. Geduld. Den Eltern erklären, wie man mit dem Smartphone Mails verschickt und wie man Fotos auf dem PC sinnvoll sortiert. Ich nehme mir das immer wieder vor. Jedes Mal, wenn ich wieder eine Drogeriemarkt-Fototasche in die Schublade lege.