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Elternkolumne: Warum Papa immer noch witzige Rundmails schreibt

Illustration: Johannes Englmann

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Es gab mal eine Zeit vor vielen, vielen Jahren, da empfingen und verschickten Menschen Rundmails. Zum Privatvergnügen. Das waren oft seltsame Kettenbriefe à la „Leite diese Mail an sieben deiner Freunde weiter, ansonsten wirst du die nächsten sieben Jahre schlechten Sex/kein Geld/nässenden Hautausschlag haben“. Oder es waren mehr oder weniger (meist weniger) lustige Witze, mal in Schriftform und in unterschiedlichen Schriftgrößen und -farben, mal mit Bildern – und immer so, dass man bis zur Pointe eine ganze Weile scrollen musste. Die Menschen fanden das witzig. Sie spielten mit E-Mails herum und probierten aus, was man damit so alles machen konnte. 

Das ist wie gesagt lange her. Aber ab und zu, da funkt diese alte Zeit in die Gegenwart hinein. Da bekomme ich eine Mail mit dem Betreff „Was zum Schmunzeln für euch“ und drin ist ein Cartoon von Uli Stein, mit Menschen mit großen Nasen oder sprechenden Tieren. Oder ein PDF-Anhang mit einem langen Witz, der mit der aktuellen Politik in Deutschland zu tun hat (und die Pointe ist irgendwas mit „Danke Merkel!“). In der Empfänger-Zeile stehen außer mir alle meine Geschwister, meine Mutter, Freunde meiner Eltern und die Mail-Adressen von Menschen, die ich nicht kenne, deren Namen aber so klingen, als seien sie mindestens 60. Und in der Absender-Zeile: mein Vater.

Papa macht das öfter: lustige Mails schicken. Ab und zu schickt er auch mal Mails, um etwas mitzuteilen, aber für gewöhnlich besprechen wir ernste Themen oder unseren Alltag telefonisch oder per Whatsapp. E-Mails hingegen scheint er hauptsächlich für Quatsch reserviert zu haben. Und Papas Umgang mit Mails zeigt mir jedes Mal einen großen Unterschied zwischen meiner Generation und der meiner Eltern. 

Für mich bedeuten Mails vor allem: Arbeit. Als Teenager habe ich sie dafür genutzt, mit Freunden zu kommunizieren, was heute nur noch selten passiert – und wenn, dann nur, um etwas zu planen, ein Geschenk für ein Brautpaar oder so. Aber der größte Teil unserer Kommunikation – und vor allem der „unseriöse“, lustige, nebenbei-humorige – läuft über das Handy, über Whatsapp oder andere Messenger. Ich würde darum niemals auf die Idee kommen, meinen Freunden „witzige“ Mails zu schicken. Und noch viel weniger würde ich eine Rundmail ohne Anlass an einen Verteiler verschicken, der aus Menschen besteht, die sich untereinander nicht kennen. Das wäre mein sozialer Tod. Alle würden mich für verrückt halten.

Für Papa sind Mails immer noch eine Möglichkeit, etwas zu teilen, das völlig egal, dafür aber lustig ist 

Mein Mail-Postfach ist, genauso wie die Postfächer meiner Freunde und Kollegen, für den schnöden Alltag da, für Bürokratie, Uni und Job. Abgesehen von gelegentlichen Insider-Witze-Nachrichten im Büro haben meine Mails immer einen Zweck. Ich verschicke sie gezielt. Seit ich von Zuhause ausgezogen bin und ein eigenes Leben angefangen habe, stecke ich den graubrotigen Rahmen dieses Lebens per Mail ab. An der Uni genauso wie im ersten Job: Als erstes wurde eine Mailadresse eingerichtet, über die fortan alles geregelt werden musste, was es zu regeln gab. Und eine Standard-Beschwerde fast aller Menschen um mich herum ist die über „zu viele Mails“.

Papa kennt das Gefühl nicht. Er hat lange gearbeitet, ohne Mails zu nutzen. Als sie aufkamen, war er schon erwachsen. Für ihn gibt es darum keine Unterscheidung in „Quatsch machen mit Mails als Teenager“ und „Seriös sein mit Mails als Erwachsener“. Denn er hat beides zum ersten Mal als Erwachsener gemacht, eventuell sogar als Rentner, und darum scheint es ihm heute immer noch völlig logisch, witzige Rundmails zu verschicken. Für ihn ist das nach wie vor eine Möglichkeit, locker zu kommunizieren. Jemanden zu überraschen. Etwas zu teilen, was völlig egal, dafür aber lustig ist (zumindest für ihn, aber unterschiedlicher Humor bei Eltern und Kindern ist noch mal eine andere Geschichte) – während ich eher eine Postkarte mit einem Witz drauf verschicken würde als eine Mail mit einem Witz drin.

Dieser Generationen-Unterschied stellt mich vor ein kleines Problem: Natürlich freue ich mich, wenn ich eine Mail von Papa bekomme. Aber ein bisschen nervt es mich auch, zwischen all den Mails, die von Penis-Spam über Geschenke-Planung für eine Freundin bis hin zu Nachrichten von Interviewpartnern und meinem Steuerberater reichen, auf einen Cartoon mit Pinguinen reagieren zu müssen. Klar, an sich könnte das auch ein „Lichtblick“ sein, das witzige Bildchen in der Masse an Mails, das einem die Arbeit versüßt. Aber meist rollt es bloß inmitten der Mail-Welle herein, und landet schnell im Papierkorb. Weil ich das Postfach nach dem Einbruch der Welle nämlich schnell wieder trocken legen will – und wenn ich Papas Witze-Mails aufheben würde, würden sie wie Pfützen da herumstehen und mit der Zeit anfangen zu müffeln. Aber das kann ich ihm natürlich nicht sagen. Weil es ihn traurig machen würde. Und wenn ich eines nicht will, dann, dass mein Papa traurig ist.

Für ihn sind Mails einfach etwas anderes als für mich. Und darum werde ich sie weiterhin lesen, die Nachrichten an mich und an Menschen, die Gerhard heißen und Ulrike. Die Nachrichten mit Cartoons und mit Witzen, die über zehn Absätze eine Geschichte erzählen, um dann zu irgendeiner Pointe zu kommen. Denn auch, wenn ich die gar nicht lustig finde, sagt sie mir: Papa denkt an dich.

Dieser Text stammt aus der jetzt-Redaktion. Damit ihr Vater nicht erfährt, dass seine Tochter seine Rundmails immer sehr schnell löscht, möchte die Autorin anonym bleiben.

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