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Wenn du deinen Eltern Englisch-Nachhilfe geben musst

Illustration: Lucia Götz

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Es geschah am ersten Tag unseres London-Trips beim Frühstück. Unsere Bed-and-Breakfast-Gastgeberin fragte meine Mutter, was wir denn heute vorhätten. „What are your plans for today?“, wandte sie sich an meine Mutter, die nicht damit gerechnet hatte, angesprochen zu werden, da ich von Anfang an die Kommunikation auf diesem Trip übernommen hatte. Verwirrt wedelte sie mit den Armen, schnappte nach Luft und warf wild mit irgendwelchen Ausdrücken um sich, die fern jeder mir bekannten Sprache waren. Es dauerte entsetzlich lange, bis sie den Satzkrüppel „I no Englisch“ hervor brachte. Oder zumindest so was in der Art. Immerhin aussagekräftig genug, dass unsere Gastgeberin wusste, dass sie hier keine vernünftige Antwort erhalten würde und sich mir zuwandte. Ich hingegen war noch so verblüfft, dass ich immer noch meine Mutter anstarrte, die in ihren Toast biss, als wäre nichts gewesen. Das war der Moment, in dem ich merkte, dass meine Mutter doch nicht der Fremdsprachen-Pro war, für den ich sie gehalten hatte. 

Meine falsche Annahme hatte ihren Urpsung in einem Bulgarienurlaub, als ich sieben oder acht Jahre alt war und sie an der Strandpromenade mit einem Verkäufer in einem Souvenirladen sprach. Für mich hörte sich das damals an, als sei sie eine Englisch-Expertin.

Mir war bereits vor dem England-Kurzausflug klar, dass ich vermutlich den Bärenanteil an der Organisation übernehmen würde. Nicht, weil ich es meiner Mutter nicht zugetraut hätte. Aber da ich meine Englisch-Kenntnisse nach einem längeren Auslandsaufenthalt für besser hielt, empfand ich es als einfacher, wenn ich Ausflüge, Übernachtung und so weiter planen würde. Dass ein simples Gespräch auf Englisch für meine angebliche Fremdsprachen-Experten-Mutter schon zu viel war, hat mich überrumpelt. Es folgten Tage voller Übersetzungen meinerseits, und wenn meine Mutter direkt angesprochen wurde, ein unschön anzusehendes Gestikulieren, begleitet von unverständlichen Wortfetzen und dem letztendlich unvermeidlichen „I no Englisch“. Meine Mutter, sichtlich peinlich berührt von dem Fauxpas, versuchte, ihre nicht vorhandenen sprachlichen Kenntnisse mit einem Kichern zu überspielen.

Einfach so, ohne Vorwarnung, haben wir unsere Eltern überholt

Viele Kinder erleben Ähnliches, wenn sie als Erwachsene mit ihren Eltern in den Auslandsurlaub fahren und die weder studiert noch irgendwann aus eigenen Stücken Englisch gelernt haben. 

Viele Eltern hatten schlichtweg keinen Grund dazu. An der Schule wurde Englisch zwar ab den Sechzigerjahren unterrichtet, doch nach der Schulzeit wurde es schlichtweg nicht mehr gebraucht. Auch war Englisch noch nicht so in den Alltag integriert wie heutzutage: Es gab weniger Anglizismen in ihrer deutlich weniger globalisierten Arbeitswelt, Auslandspraktika und -Semester waren nicht der Standard, englischsprachige Medien nicht einen Klick entfernt, sondern den Gang zum gut sortierten Großstadt-Bahnhofskiosk. Unsere Eltern flogen eher nicht in den Backpacker-Urlaub nach Australien, sondern fuhren mit dem VW Käfer an die Nordsee (oder nach Italien, wo auch keiner Englisch konnte). Und das, was sie sprachlich für den Urlaub im Ausland wissen mussten, schlugen sie kurz vorher nach und entgegneten Souvenirhändlern dann Ausdrücke wie „Me no Money“. Oder zeigten einfach mit den Finger im Wörterbuch auf die entsprechende Frage, um sich irgendwie zu verständigen. Auch die gute alte Hände-Füße-Kommunikation hat immer irgendwie funktioniert.

Das führt jetzt immer wieder zu Momenten, in denen plötzlich die Seiten innerhalb der Familie getauscht werden. Wir sind jetzt nicht mehr diejenigen, für die ihre Eltern nach  Preisen von Souveniren fragen. Auf einmal müssen wir ihnen helfen, um im Ausland klar zu kommen. Das klare Eltern-Kind-Verhältnis, in dem unsere Eltern uns in allem unterstützen und uns unter die Arme greifen, ist für kurze Zeit schlagartig außer Kraft gesetzt. Wir sind jetzt die Erwachsenen. Einfach so, ohne Vorwarnung, haben wir unsere Eltern überholt.

Das Langenscheidt-Wörterbuch hatte meine Mutter zu Hause gelassen und stattdessen einen Groschenroman eingepackt

Heutzutage sieht man unter den technikaffinen Elternteilen, wie sie in ihrem Online-Pons-Wörterbuch die deutschen Begriffe eintippen und damit dann vor den Einheimischen herumwedeln, in der Hoffnung, dass ihr Anliegen damit irgendwie klar wird. Nicht so meine Mutter. Denn Technik ist genauso wenig ihr Ding wie Englisch. Das einzige englische Langenscheidt-Wörterbuch, dass ich je bei uns im Wohnzimmerregal gesehen habe, stammt vermutlich aus den Achtzigerjahren und ist ungefähr so dick wie zweieinhalb DVD-Hüllen übereinander. Aber auch das hatte meine Mutter zu Hause gelassen und stattdessen einen Groschenroman eingepackt. Wozu sollte sie es auch mitnehmen? Sie hatte ja ein funktionsfähiges Kind dabei, das Englisch spricht und sich bestens in der Welt auskennt. Und da sie sonst sowieso nach wie vor vor allem in Deutschland urlaubt, scheint das Erlernen von Englisch sowieso irgendwie nutzlos.

Trotzdem: Für den nächsten gemeinsamen Urlaub nehme ich mir aber vor, ihr zumindest die Antwort auf „How are you“ beizubringen.

Noch mehr über unsere Eltern und uns:

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