- • Startseite
- • Eltern-Kolumne
-
•
Eltern in der Midlife-Crisis
Angefangen hat es mit dem Geruch. Von einem auf den anderen Tag roch Papa nicht mehr nach dieser Mischung aus Palmolive-Rasierschaum und Achselschweiß im Kaufhaushemd. Sondern nach Hugo Boss. Plötzlich stand eine riesengroße Flasche davon im Bad, zwischen Autozeitschriften, Klopapier und der rosa Putzi-Zahnpasta, die meine jüngeren Geschwister noch benutzen. „Riecht doch gut, oder?“ sagte er, als er das erste Mal morgens in seiner Boss-Duftwolke aus dem Badezimmer kam. „Supergut“, sagte ich, war aber ehrlicherweise mehr verwirrt als überzeugt. Denn der Kontext dieses Geruchs war irgendwie falsch. Viele Jahre später erst sollte ich verstehen: So rochen damals auch die Jungs aus der Oberstufe, in die ich zu diesem Zeitpunkt ging. Hätte ich damals einen besseren Geruchssinn gehabt – wer weiß, was unserer Familie dann erspart geblieben wäre.
Aber leider konnte ich nun einmal noch nie gut riechen. Also wurde ich erst nachdenklich, als die Sache mit den Klamotten passierte. Die waren Papa nämlich stets egal gewesen: Was Mama rauslegte, war gut. Auf einmal trug er anstatt Hemd und Krawatte allerdings Poloshirts. Erst die schlichten von Tommy Hilfiger und Lacoste, später auch die schlimmen von Camp David und La Martina. Definitiv nicht von Mama. Er fing an zu joggen, gleichzeitig auch wieder an zu rauchen und kaufte sich ein neues Auto. Und irgendwann, als er mit seinem neuen alten Saab vom Hof fuhr, eine spiegelnde Sonnenbrille ins schütter werdende, trotzdem neuerdings gegeelte Haar, da wurde mir klar: Das war wohl diese Midlife-Crisis, von der alle immer sprachen.
Die Midlife-Crisis, also das große Zweifeln am eigenen Leben, erreicht die meisten Eltern zwischen ihrem 40. und 50. Lebensjahr. Sie betrifft auch Frauen, wenn auch gefühlt würdevoller als Männer. Die fangen dann nämlich an, sich wieder auf sich selbst zu besinnen. Machen den Italienisch-Sprachkurs, von dem sie schon immer träumten, gehen auf Ü-40-Partys oder fahren in den Iran. Midlife-Crisis-Mütter, die wieder Schulmädchenröcke tragen und Leder-Leggins, um sich jung zu fühlen? Gibt es natürlich auch. Aber eben nicht so oft wie alternde Männer in großbedruckten Poloshirts. Vielleicht, weil Mütter im Gegensatz zu Vätern wissen, dass ein Neustart unmöglich ist. Dass sie immer Kinder haben werden und somit auch Verantwortung. Dass das nicht aufhört, nur weil man jetzt einen Saab hat.
Ich würde behaupten, nie mehr über meine Erwartungen ans Leben verstanden zu haben als in der Phase, als mein Vater sich in den Dieter Bohlen des Neubaugebietes verwandelte.
Als betroffenes Kind ist die Midlife-Crisis des eigenen Vaters deshalb auch so viel prägender als die der Mutter: Weil man versteht, dass dieser Mensch dort, der eigene Vater, im Kern genau so unsicher ist wie man selbst. Dass er sich auch nicht immer zurechtfindet in der Erwachsenenwelt, das Erwachsensein eigentlich nur spielt und lieber wieder jung wäre.
Das ist natürlich auch eine beängstigende Erkenntnis: Erwachsenwerden ist scheiße und nicht umkehrbar, man wird nur peinlicher, nicht jünger. Aber sie kann auch wahnsinnig lehrreich sein. Ich würde behaupten, nie mehr über meine Erwartungen ans Leben verstanden zu haben als in der Phase, als mein Vater sich in den Dieter Bohlen des Neubaugebietes verwandelte. Weil einem dann sehr klar wird, was man nicht will. Was man vor dem eigenen Elternwerden vielleicht noch erlebt haben sollte, damit man später nicht meint, es nachholen zu müssen. Und was die ersten Anzeichen sein könnten, dass man selber eine Midlife-Crisis hat. Will sagen: Die Midlife-Crisis bei den eigenen Eltern ist auch eine Art präventive Therapie für einen selbst.
Umso ärgerlicher eigentlich, dass unsere Kinder diese lehrreiche Zeit bei ihren Eltern kaum erleben werden. Wir Deutschen bekommen ja immer später Kinder, Männer durchschnittlich das erste Mal mit 35 Jahren. Bei Papas Midlife-Crisis werden sie zehn, höchstens 15 Jahre alt sein – zu jung um zu verstehen, was da gerade abgeht. Viele andere Kinder werden wiederum vielleicht gar keine Midlife-Crisis miterleben, weil sie bereits das Produkt einer solchen sind. Will sagen: Papas zweiter Frühling ist auch oft Papas zweite Ehe. Diese Kinder werden dann denken, Papa sei schon immer Saab oder Mini gefahren, oder was dann halt das coole Retroauto ist. Sie werden nie verstehen, dass dieser Fahrzeugwahl im Kern die Angst vor dem eigenen Tod zugrunde liegt.
Bis sie dann selbst ganz unvorbereitet eine Midlife-Crisis haben. Die wird nämlich nie aussterben.
Dieser Text stammt aus der jetzt-Redaktion. Damit ihr Vater nicht erfährt, dass seine Tochter gewisse Parallelen zwischen ihm und Dieter Bohlen sieht, möchte die Autorin anonym bleiben.